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KUNST Boulevard der Dämmerung

Eine Skulpturen-Parade am Kudamm treibt die Berliner zur Verzweiflung. *
aus DER SPIEGEL 16/1987

Rosig schimmerte im Bühnenlicht das Milchgesicht des Ehrengastes, heiter schaute Eberhard Diepgen auf Künstler und Kandidaten; die bunte Welt von »Wetten, daß ...?« war ihm sichtlich ein Pläsier.

Nur als sich der ZDF-Entertainer Frank Elstner, vorletzten Samstag in der Berliner Deutschlandhalle, nach einer aktuellen Berlin-Affäre erkundigte, reagierte der Regierende Bürgermeister ungehalten: »Muß die Frage sein?« Elstner insistierte: »Wie schön finden Sie denn das Denkmal mit diesem amerikanischen Auto?« Das sei, brummte Diepgen, »nicht besonders bemerkenswert«, im übrigen werde es ähnliche Spektakel künftig nicht mehr geben. Donnernd applaudierte das Saalpublikum, Diepgens Worte waren Balsam für wunde Insulaner-Seelen.

Denn nichts und niemand hat seit langem die Berliner so in Erregung versetzt wie eine Handvoll einheimischer Künstler, die zum 750. Stadt-Jubeljahr, für 1,8 Millionen Mark Gesamtkosten den Kurfürstendamm mit monumentalen Plastiken schmücken. Für diesen »Skulpturenboulevard« schaffen acht Bildhauer - darunter Olaf Metzel, Wolf Vostell. Josef Erben - »temporäre Installationen« die Ende 1988, nach Ausstellungsschluß überwiegend in den Besitz der Künstler zurückgehen. Der Neue Berliner Kunstverein hat das Festprojekt im Senatsauftrag organisiert. Die City werde, verkündete Kultursenator Volker Hassemer zum »Ereignisraum der Kunst«, allerdings sei die Freilicht-Schau auch eine »Herausforderung an die kulturelle Offenheit der Berliner«.

Bislang sind fünf von sieben Werken aufgestellt, aber von der Urbanität, die einer Metropole würdig wäre, ist kaum noch die Rede. Im Ereignisraum toben schon lange vor der offiziellen Eröffnung

(24. April), heftige Meinungskämpfe. 76 Prozent der Bevölkerung, so ergab eine Rias-Umfrage, stehen im Widerstand und empfinden die Objekte als greuliche Mißbildungen. Bürgerinitiativen machen mobil.

Die Geschichte der Entrüstung begann am 18. März, als Ku'damm-Flaneure am Joachimstaler Platz, in Sichtweite des Witwen-Treffs Cafe Kranzler, ein monumentales Metallgerüst aus übereinandergetürmten weißroten Absperrgittern entdeckten. Der Plastiker Metzel hatte es zum Gedenken an eine krawallträchtige Demo am »13. 4. 1981« (Werktitel) errichtet. In diesem Kunst-Turm erblickten die verstörten Passanten »gar keinen Sinn«. »Schrott und Müll« sei das, skandalös mit öffentlichen Geldern finanziert. Immer wieder rotteten sich aufständische Steuerzahler zusammen, die das kritische Mahnmal als schändliches Gestänge verfluchten und den endgültigen Niedergang des ohnehin bulettenverseuchten Kurfürstendamms zum sterbenden Boulevard der Dämmerung beklagten.

Unterdessen war, am Halenseer Ku'damm-Ende, auf dem verkehrsreichen Rathenau-Platz, ein zweiter Straßenkünstler zu Werke gegangen - Alt-Happenist Wolf Vostell, der seit 1969 die Kunstwelt mit stillgelegten Autos als Vision von »Ruhendem Verkehr« überzieht. In Berlin lies er weitere »Zivilisations-Reliquien«, zwei Cadillacs, in Beton gießen. Diesen neuen Kulturschock konnten die Berliner nicht mehr verkraften. Beim Anblick der Kunst am Stau verging ihnen augenblicklich der gefürchtete Mutterwitz. Von der Krummen Lanke bis Waidmannslust erbebte die Stadt unterm Wut- und Wehgeschrei der beleidigten Bürgerschaft.

Diese Künstler, so hieß es in Zuschriften an Zeitungen und Kunstverein, seien eindeutig »der Klapsmühle in Wittenau entlaufen«. Die »Bekloppten genießen in West-Berlin Narrenfreiheit«. Die Objekte seien »eine Verhöhnung aller Steuerzahler und Demokraten«, eine »Vergewaltigung des guten Geschmacks«. Allgemeiner Tenor: »Man schämt sich für Berlin.«

Während der Neue Berliner Kunstverein »die Chaotisierung der Bevölkerung«, die »enorme Spießigkeit« des Stadtvolks beklagte, sägten und schweißten die übrigen Künstler weitgehend unbehelligt an ihren Artefakten. Das Ehepaar Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff etwa war mit einer Komposition aus himmelwärts gerichteten Chromnickel-Würsten beschäftigt, die der Berliner Schnauze gleich als »Darmverschlingung der Gaswerke« auffiel. Frank Dornseif arbeitete an einem ironischen Helden-Denkmal ("Großer Schatten mit Sockel"), Rolf Szymanski meißelte eine »Große Frauen Figur Berlin« in Marmor. Sie alle mochten ihre 50000 Mark Honorar in Ruhe verdienen. Vostell und Metzel fanden keine Gnade.

Freilich, als Regierungschef Diepgen im ZDF vom »Skulpturenboulevard« abrückte, waren auch die Plastiker »wahnsinnig getroffen« und forderten eine »Entschuldigung« (Matschinsky-Denninghoff). Der überhitzte Betonbauer Vostell empfahl einer kritischen Betrachterin psychiatrische Behandlung. Und im TV-Forum »Berliner Platz«, letzten Mittwoch in Nord III, führte die Moderatorenfrage »Ist das Kunst oder keine?« auch nur in die Irre.

»Die Kunst existiert durch ihre Existenz«, dröhnte der auto-tautologische Entsorgungskünstler

Vostell, »die Berliner verstehen überhaupt nichts«. Das Cadillac-Memorial auf dem Rathenau-Platz, monierten Bürgerrechtler, beleidige den Weimarer Staatsmann. »Ignoranten!« schleuderte Ästhetik-Professor Bazon Brock in die Contras, jeder wahre Rathenau-Kenner wisse, daß der große Politiker dem tüchtigen Vostell seinen Segen gegeben hätte. Düster beharrte die Philister-Fraktion: »Die Künstler wollen nur unser Geld!« Friedlos ging die Runde auseinander.

Eine Anregung, die auch den grämlichsten Steuerzahler sehr zufriedensteilen müßte, hat kürzlich auf einer Skulpturen-Diskussion ein westfälischer Kunsthistoriker geliefert: Nur eine einzige Art von Außenplastik sei, weil zugleich »populär, nicht dauerhaft und vor allem billig«, dem Berliner Kunstgeschmack gewachsen - der Schneemann.

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