NS-LEBENSBORN Bräute des Führers
Ein bulliger SS-Obersturmbannführer, baut sich vor einer Gruppe sommerlich leicht gewandeier BDM-Mädchen auf. »Kameradinnen!«, schnarrt er. »Seid ihr wirklich Nationalsozialisten? Mit heißem Herzen? Mit ganzer Hingabe?«
»Ja!«, jauchzen die Maiden.
»Ich danke euch, Kameradinnen! Wenn ihr euch jetzt in eine Liste eintragt dann seid ihr ausgewählt, eine neue Rasse zu gründen und dem Führer Kinder zu schenken.«
Eilfertig treten die Mädchen an einen Tisch, um sich in die Fortpflanzungsliste einzutragen.
Mit dieser Szene beginnt ein neues deutsches Lichtspiel, das die Alfa-Produktion des Berliner Filmherstellers Artur Brauner mit einem Bündel Lockfragen ("NS-Striptease? Heißes Eisen? Heikles Thema?") als »die Sensation der Saison 1960/61« ankündigt. Der Film soll Mitte dieses Monats uraufgeführt werden und die Bundesbürger mit den Praktiken der biologischen Aufnordung vertraut machen, die Adolf Hitler und höhere Parteichargen einst ausgetüftelt hatten, um eine kräftige blonde Fabelrasse zu gründen. »Was Millionen nicht wußten«, verheißt ein Filmprospekt, »bringt 'Lebensborn'.«
Noch ehe der Film über Heinrich Himmlers Gebärverein »Lebensborn e.V.« der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) zur Prüfung zugeleitet worden war, ließ sich Filmfabrikant Brauner durch seine eigene Propaganda-Abteilung für seine Lichtspieltat rühmen. »Man sollte den Mut anerkennen«, schrieben die Brauner -Werber in einem Propaganda-Aufsatz, »daß ein deutscher Filmproduzent den bequemen Weg der Geschäftsschnulze verläßt und rücksichtslos in eines der dunkelsten Kapitel des Tausendjährigen Reichs hineinleuchtet.«
In der Tat haben westdeutsche Filmhersteller bislang vermieden, die Auswüchse des nationalsozialistischen Rassenwahns zu Drehbüchern zu verarbeiten - obwohl es an literarischem Material keineswegs mangelt. Aus dem 1952 veröffentlichten Himmler - Buch »Totenkopf und Treue«, das der finnische Mediziner und einstige Masseur Himmlers, Felix Kersten, verfaßte, konnten deutsche Bürger beispielsweise entnehmen, welchen Germanisierungsprozeduren sie im Fall eines für Hitler siegreichen Krieges unterworfen worden wären. Danach schwebte den NS-Züchtern unter anderem vor,
- »Frauen-Hochschulen für Weisheit und Kultur« einzurichten, um geistig und körperlich hervorragende Blondinen zu »Hohen Frauen« auszubilden und sie den höheren Parteichargen ehelich beizugeben - wovon sich Himmler einen »Jungborn« der völkischen Erneuerung versprach;
- die Doppelehe »als hohe Auszeichnung« zunächst für Kriegshelden vom Ritterkreuzträger abwärts bis zum Träger der goldenen und silbernen Nahkampfspange einzuführen und später die Einehe möglicherweise überhaupt aufzuheben, um die Zahl der germanischen Babys zu mehren;
- mit Hilfe der Lebensborn-Institution jeder für fortpflanzungswürdig erachteten deutschen Frau bis zum dreißigsten Lebensjahr zumindest ein Kind abzufordern.
»Als ich den Lebensborn (im Jahre 1936) einrichtete«, so vertraute sich der Reichsführer SS seinem Masseur Felix Kersten während des Krieges an, »ging ich davon aus, zunächst einmal einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, um rassisch einwandfreien Frauen, die unehelich gebären, die Möglichkeit zu geben, kostenlos zu entbinden und sich die letzten Wochen vor der Geburt ihres Kindes in einer harmonischen Umgebung ungestört dem kommenden großen Ereignis widmen zu können ...«
Wer »völlig minderwertigen Blutes« im Sinne des NS-Rassen-Standards war, wurde an die ordinären öffentlichen Entbindungsanstalten verwiesen. Himmler stolz zu Kersten: »Auch Ehefrauen gebären beim Lebensborn. Aber alle Frauen, ob ehelich oder nicht, werden nur mit ihrem Vornamen angeredet, nicht mit dem Titel Fräulein oder Frau, damit kein Unterschied besteht. Hier wird praktische Nächstenliebe getrieben.«
Pflichtmitglieder des eingetragenen Lebensborn-Vereins, der schließlich 18 Entbindungsheime unterhielt, waren alle hauptamtlichen SS-Führer. Der Beitrag wurde nach Familienstand, Einkommen und Kinderzahl gestaffelt. So brauchte der mit Knaben gesegnete Chef des Reichssicherheitshauptamts, Reinhard Heydrich, nur einen symbolischen Monatsbeitrag von einer Mark zu entrichten, ein unverheirateter Obergruppenführer dagegen mußte allmonatlich 250 Mark an Himmlers Gynäkologie abführen.
Während des Krieges, als die Verluste an der Rußlandfront den deutschen Männerbestand empfindlich reduzierten, fiel dem Lebensborn-Verein eine weitere Aufgabe zu. Er wurde angewiesen, in den besetzten Ostgebieten »rassisch wertvolle« Kinder liquidierter Widerstandskämpfer auszuheben und deutschen Pflegeeltern zuzuführen, »um die Germanisierung voranzutreiben« (Himmler-Biograph Frischauer).
Im Mai 1943 ließ Himmler schließlich »unter der Hand durchsickern, daß sich jede unverheiratete Frau, die allein steht, aber sich nach einem Kind sehnt, vertrauensvoll an den Lebensborn wenden kann ...« (Kersten). Himmler versprach, »nur wirklich wertvolle, rassisch einwandfreie Männer als Zeugungshelfer« an vereinsamte sehnsüchtige Frauen weiterzuempfehlen.
»Sie werden sehen«, prophezeite er dem Masseur Kersten, »was wir nach dem Kriege daraus machen.«
Ehe diese Pläne freilich in großem Stil verwirklicht werden konnten, traten in Nürnberg die Kriegsverbrecher-Tribunale der Alliierten zusammen. Die Spitzenfunktionäre des Lebensborn-Vereins hatten sich wegen vorsätzlicher verbrecherischer Kindesentführung zu verantworten. Sie wurden - zumindest in diesem Anklagepunkt - freigesprochen. (Das alliierte Gericht stellte fest, daß der Lebensborn nur bedingt in die Kinderumsiedlungsaktion aus dem Ausland eingeschaltet worden sei.)
Die reichsinternen Lebensborn-Bemühungen um die Vermehrung der deutschen Babys (Medizin-Schriftsteller Thomas Regau: »der hitlersche Kaninchenstall") interessierte die Nürnberger Richter nicht sonderlich. Und so blieb bis heute amtlich ungeklärt, ob und in welchem Umfang tatsächlich deutsche Frontkämpfer und deutsche Nachwuchsfrauen planmäßig gepaart wurden.
Die mangelhafte Dokumentation minderte freilich nicht den Eifer, mit dem sich der Berliner Filmproduzent Brauner dieses Themas annahm, nachdem die Münchner Illustrierte »Revue« einen Lebensborn-Bericht des Serien-Autors Will Berthold veröffentlicht hatte. »Das ist kein Roman«, beteuerte Berthold. »Was hier geschrieben wird, ist kaum faßbare Wahrheit.«
Sicherheitshalber startete der Filmproduzent eine eigene Fakten-Suche. Brauner: »Natürlich haben wir recherchiert. Unsere Kinderschwester hatte eine Freundin von 68 Jahr', die kannte sogar die 'Braunen Schwestern'. Und dann hatten wir da einen Mann, der hat eidesstattlich versichert, daß er von der Front abkommandiert und zwei Kinder gezeugt hat, für die er heute Alimente zahlen muß, und deshalb klagt er andauernd gegen den Staat.«
Brauners Pressebeauftragter Hans -Joachim Wehling belichtet indes: »Das scheint aber nicht zu stimmen.« Brauner habe zwar die Idee gehabt, erläuterte Wehling, den Prozeß des Frontkämpfers zu finanzieren, doch hätten sich bei einem Verhör des Mannes »sehr starke Zweifel« ergeben. Wehling: »Die beiden Kinder hatte er offenbar während eines normalen Urlaubs gezeugt.«
Wie schwierig es für Brauner unter diesen Umständen war, die zum Teil recht obskuren Lebensborn-Berichte für den Film aufzuarbeiten, erhellt daraus, daß er im Laufe der mehrjährigen Vorarbeiten etwa ein Dutzend Drehbücher verfertigen ließ. Die inzwischen vom Regisseur Werner Klingler abgedrehte Endfassung sucht Himmlers Zuchtpläne am Beispiel einer »Experimentalgruppe« von 30 BDM-Mädchen zu illustrieren, die »in idealistischem Gefühlsüberschwang« in ein Lebensborn-Heim einrücken und sich bei der Sonnwendfeier mit ausgesuchten Frontkämpfern liieren dürfen.
Die Bettgenossenschaft wird jeweils vom Heimleiter »auf wissenschaftlicher Grundlage« bestimmt. Auf die Frage eines SS-Mannes: »Dann hat das Kindermachen mit Liebe wohl nicht mehr viel zu tun, wie?«, raunzt der Züchter: »Ich habe nichts gegen Liebe zwischen geeigneten Partnern. Aber für schwüle, sinnliche Erotik ist bei uns kein Platz mehr ...«
Unappetitlicher nehmen sich im Brauner-Film die Dialoge unter den Zuchtmenschen beiderlei Geschlechts aus: - »Du bist großdeutscher Zuchtbulle Nummer eins und gehst für Führer und Partei in die Betten.« - »Ich verbitte mir diese Witze! Ich bin Nationalsozialist!« - »Hoffentlich weißt du, wie man Mutter wird.« - »Theoretisch schon.« - »Mensch, du bist doch schon siebzehn! Noch keiner dran gedreht?« - »Kommt mir vor wie 'ne Brutanstalt ...« - »Wir sind hier alle Bräute des Führers!«
In diesem Milieu haben Brauners Filmleute das Schicksal zweier ethisch vorteilhafter Figuren angesiedelt, die im deutschen Film schon zur Schablone geworden sind: eines antinationalsozialistischen Ritterkreuzträgers (Joachim Hansen) namens Klaus und einer gläubigen BDM-Führerin namens Doris (Maria Perschy).
Während die Maiden im Lebensborn -Heim sorgfältig untersucht werden ("Ziehen Sie sich aus, alles!"), erlebt Held Klaus SS-Untaten in einem polnischen Dorf. Seinem Unmut darüber macht er im Kreise von Kameraden Luft. Wenig später findet er sich mit einem anderen Ritterkreuzträger auf dem Transport: Er selbst ist vor das Kriegsgericht zitiert, der andere zum Lebensborn abkommandiert worden. Als der Reisegefährte bei einem Partisanen-Überfall getötet wird, schlüpft Klaus in dessen Uniform, verscharrt die Leiche und fährt ins Lebensborn-Heim.
Bei einem Liebesgeflüster im Bootsschuppen vermag der Offizier die BDM-Braut Doris politisch zu bekehren. Da nun beide, laut Brauners Werbetext, »mit Abscheu und Ekel diesen widernatürlichen Rummel um das Schönste und Höchste, was einer Frau beschert werden kann, die Mutterschaft, verfolgen«, entfliehen sie dem »Inferno menschlicher Verderbtheit«.
Der Ritterkreuzträger wird auf der Flucht erschossen, BDM-Braut Doris eingekerkert und zum Tode verurteilt. Da sie bereits schwanger ist, wird die Hinrichtung bis zur Entbindung ausgesetzt. Kurz nach ihrer Niederkunft im Frühjahr 1945 - das Kind wird ihr sogleich entwendet - bricht das Nazireich zusammen.
Das Finale des Films ist im Drehbuch so umschrieben: »Doris irrt über die Landstraßen, auf der Suche nach ihrem Kind.« Sie vermag es nicht zu finden. Jedoch: Im Straßengraben erspäht sie ein totes Flüchtlingspaar. »An der Brust der Frau aber hängt ein etwa zweijähriges Kind. Fast nackt und bloß, weint es vor Hunger und vor Verlassenheit. Doris beugt sich herunter und nimmt das Kind mit einer unendlich zarten Bewegung ... Eine Welle von Glück geht über ihr Gesicht ...«
Diese NS-Liebesmär empfand selbst das Westberliner Boulevardblatt »BZ« als »überflüssig und geschmacklos«.
Produzent Brauner hingegen: »Der Film wird ganz anders, als alle denken. Er wird euch genauso überraschen wie 'Rosemarie'.«
Spielfilm »Lebensborn": Striptease in der Brutanstalt
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