DESCHNER Brei im Mund
Kaum hat er seinen letzten Kulturkampf ausgefochten, da schwillt ihm abermals der Kamm.
»Daß man heute Schriftsteller 'macht', wie eine Abführpille oder einen Politiker, wissen Sie alle«, offenbart Karlheinz Deschner, 40, ein gutes Jahr nach Veröffentlichung seiner rabiat antiklerikalen Kirchengeschichte »Abermals krähte der Hahn«. Und er erläutert denen, die noch nichts davon wußten: »Nieten werden zu Mediokritäten, Mediokritäten zu Talenten, Talente zu Genies, und manchmal wird sogar ein Uwe Johnson über Nacht 'berühmt'.«
Nach dem. Vorbild seines 1957 erschienenen polemischen Essay-Taschenbuchs »Kitsch, Konvention und Kunst« (Auflage bis heute: 170 000 Exemplare), in dem er zur Schadenfreude des Lese -Publikums über die Veteranen deutscher Innerlichkeit (so über Hesse, Carossa und Bergengruen) Gericht hielt, bereitet Deschner nun auch etlichen zeitgenössischen Zunftbrüdern ein selbstherrliches Autodafé: Im renommierten Lines Verlag erscheint dieser Tage Deschners neue Anklageschrift »Talente - Dichter - Dilettanten"*.
Seine Hauptopfer: Ingeborg Bachmann, Hans Magnus Enzensberger, Uwe Johnson. Sein Urteil: Maßlos überschätzt.
Überschätzt, in der Bundesrepublik wie im Ausland, von »Katholiken, Protestanten und Kommunisten«, sind nach Deschners Geschmack auch die Bücher Heinrich Bölls mit ihrer »Kraut-und-Rüben-Prosa«, ihrem »Gemütsmuff« und ihrem »grauenhaften Quatsch«.
Überschätzt findet Deschner in seinen zitatreichen Stilanalysen die »Stupiditäten«, »Schludereien und Albernheiten« Gerd Gaisers, der zwar »etwas geschickter als Böll« erzählen kann, aber dennoch »nachlässig, umständlich, obsolet und ridikül« schreibt.
Und auch Max Frisch, der vor allem als Dramatiker ein unbezweifelbares Talent, doch ohne einen Funken Genie« ist, verdient laut Deschner das Lob nicht, das ihm seit Jahren zuteil wird. Frischs epische »Landschaftspinseleien« könnten »ohne Stilbruch, ... in Aufsatzbüchern für die Unterklasse glänzen«, und überhaupt hat Frischs Prosa »etwas Flaches, Flott-Vordergründiges«, kurz: »etwas Kurorthaftes«.
Zu Deschners Glück jedoch gibt es noch wahre deutsche Dichter in, Deutschland, die nichts mit den modernen »Stilingenieuren« gemein, haben, die »keine Literatur - aus der Retorte« ziehen und unbeirrt »an eine innige Wechselwirkung zwischen Mensch und Natur« glauben.
Aber gerade solche Poeten von »naturhafter Vitalität« wie der Historienerzähler ("Kolumbus vor der Landung") und stellvertretende Chefredakteur der »Rhein-Neckar-Zeitung« Emil Belzner und der romantische Romancier Ernst Kreuder ("Die Gesellschaft vom Dachboden") werden im zeitgenössischen Literaturbetrieb nicht genügend gewürdigt: »Das Intuitive, Inspiratorische gilt heute ... nicht viel.«
Für Karlheinz Deschner, der selbst als Erzähler ("Die Nacht steht um mein Haus") durchfiel und sich nun als Kritiker zielstrebig zwischen alle Stühle fallen läßt, gilt es noch. Zwar findet er, beckmesserscharf, in Belzners Epen genügend Grammatikfehler, doch er schätzt dessen »kosmisch-seelische Verwobenheit und Harmonie« nicht minder als den »fernen grünen Hörnerklang des Seins«, den die verschrobenen, zivilisationsfeindlichen Roman-Käuze Ernst Kreuders vernehmen.
Deschner, Dr. phil. und Försterssohn aus Tretzendorf am Main, ist sich allerdings darüber klar, mit seinen Urteilssprüchen allein zu stehen. Die von ihm gehaßten Kritiker, etwa der »Fatzke« Siegfried »Melchinger, der. »Faselhans« Werner Weber und Walter Jens, der »den größten Mist« verteidigt, sind durchaus anderer Ansicht, und Deschner weiß: »Hat man sich in Deutschland einmal darauf geeinigt, einen Schriftsteller für bedeutend zu halten, ist man sich lange einig.«
Solcher Rezensenten-Eintracht nach Deschners Vorstellung ist es offenbar zuzuschreiben, daß Ingeborg Bachmann als gute Lyrikerin angesehen wird.
Wohl weiß auch Deschner einige halbwegs gelungene Bachmann-Zeilen zu
würdigen, doch im übrigen erkennt er in der Lyrik- und Prosa-Produktion der »femme marine (Seekuh)« nichts als »trostloseste Stümpereien« und »gespreizten Galimathias«. Sein Vorschlag: »Gib's auf, Bachmann.«
Für jenen »barbaroglottischen Pommern, der das häßlichste Deutsch unserer Zeit schreibt«, hat der souveräne Försterssohn noch Wüsteres parat. Deschner entdeckte nämlich nicht nur in Uwe Johnsons »Drittem Buch über Achim« neben »zweihundert Grammatikfehlern (Minimum!)« eine »Stilblütensammlung, ohnegleichen« - er entdeckte auch, daß »unser Ausdruckskünstler« Johnson dem »Kretin immer noch näher steht als dem Genie«.
Johnsons Deutsch ist »oft erheiternd doof- aber doch öfter doof als erheiternd«; es ist, Deschners Deutsch zufolge, von einer »einmalig miesen, total verkrüppelten, doch durchaus fingerfertig fabrizierten Diktion«; es ist schlicht »der Einbruch des Proletentums in die Literatur«.
Ursprünglich hatte Deschner bei seinem derzeitigen Amoklauf auch noch Graß rupfen wollen. Aber das »schlüpfrige, spießige, pornographische Kunstgewerbe« des »momentanen Obergenies der Gruppe 47« - Deschner: »Lauter Schleimscheißer« (Limes-Verleger Niedermayer: »Die Polemik gegen die Gruppe 47 wurde vom Verlag etwas entschärft") - blieb dann doch unberücksichtigt. Statt dessen wurde die Polemik gegen den »angeberischen Gestus« und den »fingerfertigen Eklektizismus« Hans Magnus Enzensbergers länger und länger. Sie füllt nun über ein Viertel des Buchs.
Deschner hat sich und seinen Lesern mit besonderer Sorgfalt »das Bild eines im gestreckten Galopp hinterherjagenden ehrgeizigen Epigonen« gezeichnet, der als Lyriker »im stärksten Maße von Brecht und Arp« abhängig ist. Nirgendwo in der lyrischen und essayistischen Arbeit des »Schlampers«, »Snobs« und »Gecken« Enzensberger findet er »schöpferische Kraft«, sondern nur »kraftlose Exaltation« und bestenfalls »talentierte Technik«. Mit einem Wort: »Dieser Mann hat Brei im Mund.«
Was Deschner im Mund hat, zeigt beispielhaft ein Deschner-Wort über den Stil Heinrich Bölls »Circutiöse Soliloquien, monotone Paraphrasen, soignierter Schmus, ausgelaugte Lokutionen, negligeantes Wiederholen«.
Deschner-Verleger Niedermayer sieht gefaßt voraus: »Es wird viel Ärger geben, aber Beleidigungsklagen sind wohl nicht zu erwarten. Bei Enzensberger bin ich allerdings nicht sicher.«
* Karlheinz Deschner: »Talente - Dichter -Dilettanten. Überschätzte und unterschätzte Werke in der deutschen Literatur der Gegenwart«. Limes Verlag, Wiesbaden; 388 Seiten; 12,80 Mark.
Deschner-Opfer Enzensberger, Ingeborg Bachmann, Johnson: »Es wird Arger geben ...
Autor Deschner
aber Klagen werden nicht erwartet«