Literatur-Shootingstar Bryan Washington Was ist Zuhause?

In dem Roman »Dinge, an die wir nicht glauben« geht es vordergründig viel um Sex und japanisches Essen. Dahinter steht die Frage, was Zuhause bedeutet: Ist es ein Ort, eine Person, ein Gefühl? Und kann sich die Antwort ändern?
Autor Bryan Washington: Sprung in die Liga der neuen literarischen Stimmen

Autor Bryan Washington: Sprung in die Liga der neuen literarischen Stimmen

Foto: Dailey Hubbard

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Der Ausdruck, den Bryan Washington auffällig häufig gebraucht, lautet »emotionale Ehrlichkeit«. Er meint damit die Fähigkeit, seine Gefühle und Bedürfnisse ehrlich und respektvoll zu kommunizieren, aber auch die eigenen Emotionen bewusst zu erleben. Etwas, mit dem sich das Paar Ben und Mike in Washingtons Debütroman konfrontiert sieht – und ringt.

In »Dinge, an die wir nicht glauben« erzählt Washington von der Beziehung zwischen Ben, einem schwarzen Kindergärtner, und Mike, einem Koch mit japanischen Eltern. Beide leben seit vier Jahren im historischen schwarzen Stadtteil Third Ward in Houston zusammen und sind an einem Punkt in ihrer Beziehung, an dem sie nicht mehr wissen, ob und wie sie weiter zusammenbleiben sollen. Statt ehrlich miteinander zu kommunizieren, versuchen sie, ihre Probleme durch Sex zu lösen. Gerade als Mikes Mutter Mitsuko aus Osaka sie besuchen will, reist ihr Sohn ab, um seinen todkranken, von der Mutter getrennt lebenden Vater zu pflegen, den er seit Jahren nicht mehr gesehen hat. Ben bleibt zurück mit einer Frau, die er zuvor noch nie kennengelernt hat.

Houston, USA: Was ist Zuhause? Ist es ein Ort, eine Person, ein Gefühl?

Houston, USA: Was ist Zuhause? Ist es ein Ort, eine Person, ein Gefühl?

Foto: Prisma by Dukas / Universal Images Group / Getty Images

Der 27-jährige Autor Washington gilt als einer der neuen Shootingstars der US-amerikanischen Literaturszene. Seine Kurzgeschichtensammlung »Lot« landete vor zwei Jahren auf der Leseliste von Barack Obama und wurde mit diversen Preisen ausgezeichnet. Mit seinem von der Literaturkritik hochgelobten Debütroman gelang ihm endgültig der Sprung in die Liga der neuen literarischen Stimmen, zu denen auch der Autor und Lyriker Ocean Vuong  gehört. Die Filmrechte von »Dinge, an die wir nicht glauben« sind bereits an die Produktionsfirma A24 verkauft, die für den Oscargewinner »Moonlight« mitverantwortlich war und gemeinsam mit Washington an einer Serienadaption arbeitet.

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Washington, schwarz, homosexuell, ist ein freundlicher Mann, der gerne lacht, während er dicht vor dem Rechner in seiner Wohnung in Houston sitzt. An seinem Handgelenk baumeln zwei Armbänder, hinter ihm gerahmte Kunst. Washington wurde in Kentucky geboren, seine Familie zog, als er drei Jahre alt war, in die Metropolregion Houston. Er gebe es nicht gerne zu, aber als Kind habe er nicht viel gelesen. Nach der Highschool ging er aus Langweile in die Bücherei, dort entdeckte er die japanische Literatur, die ihn bis heute prägt.

Emotionale Unaufrichtigkeit

Das Geheimnis des Erfolges verdankt er auch der emotionalen Ehrlichkeit, mit der er seinen Figuren begegnet. Mike und Ben werden nicht ausschließlich definiert von ihrer Sexualität, ihrer Herkunft, ihrem HIV-Status, ihren Fehlern und Erfolgen – Washington negiert all das aber auch nicht. Die Stärke des Romans liegt in der Komplexität seiner Figuren, die einfach nur sind und versuchen, ihr Leben zu leben. »Natürlich wäre es aus marktstrategischen Gründen besser gewesen, eine Geschichte zu schreiben, in der die Figur von dem Gefühl gekennzeichnet ist, deplatziert in einem Land zu sein, das auch ihr Land ist«, sagt Washington. »Aber darin läge eine emotionale Unaufrichtigkeit, und es wäre die langweiligere Geschichte.«

Stattdessen spürt er, wie bereits zuvor in seinen Kurzgeschichten, der Frage nach, was genau eigentlich Zuhause bedeutet. Ist es ein Ort, eine Person, ein Gefühl? »Mich interessiert, wie sich die Antwort darauf immer wieder ändert. Was und wer eine Person in einem bestimmten Kontext ist und wie sie sich unter Umständen in einem neuen Kontext verändert.«

In die Beziehung von Ben und Mike, die dachten, mit der jeweiligen anderen Person ihr Zuhause gefunden zu haben, schleicht sich im Laufe der Erzählung eine Distanz ein, sowohl geografisch als auch emotional. Gleichzeitig nähern sich Mikes Mutter und Ben an. »Mitsuko und ich entwickeln so was wie ein abendliches Ritual. Sie kocht. Ich hole Teller und Besteck. Wir essen zusammen an der Theke. Später wische ich über die Ablage, während Mitsuko abwäscht«, schreibt Washington. Kochen, gemeinsam Mahlzeiten einnehmen – so könnte Fürsorge aussehen, so können sich Gemeinschaften entwickeln. Aber wer kümmert sich um Mitsuko? Gegen Ende des Romans gehen Mitsuko, Mike und Ben essen, zum ersten Mal öffnet sie sich, erzählt von ihrem Leben – weil sie erlebt, was es bedeutet, von anderen umsorgt zu werden.

Die Küche Japans

Eine zentrale Rolle im Roman spielt die japanische Küche. Nattō, Korokke, Hähnchen-Dashi, Okayo, Omuraisu – alles Gerichte, die im Roman auftauchen. »In der US-amerikanischen Literatur essen die Menschen nie und haben auch keinen Sex«, sagt Washington, »und ich wollte eine Geschichte schreiben, in der diese Dinge primäre Handlungsstränge sind.« Er kennt Japan von regelmäßigen Reisen, besuchte vor der Pandemie einmal im Jahr Freunde. Irgendwann habe er Gemeinsamkeiten zwischen der Stadt Osaka und Houston erkannt. »Ich kann es nicht richtig beschreiben, es ist eine Wärme, die ich an beiden Orten fühle.«

Osaka, Japan: Eine Wärme, die Washington an diesem Ort spürt

Osaka, Japan: Eine Wärme, die Washington an diesem Ort spürt

Foto: Jacob Jung / Moment Editorial / Getty Images

Diese Wärme, diese Herzlichkeit, versucht Washington auch in Bildern einzufangen. Es ist eine visuelle Komponente, die im Gesamtgefüge Sinn ergibt, weil es sich um Fotos handelt, die Mike aus Osaka an Ben nach Houston schickt. Ein Spiel mit dem Buch als Objekt – das erinnert an die Romane von Teju Cole oder Yōko Tawada.

»In der US-amerikanischen Literatur essen die Menschen nie und haben auch keinen Sex«

Die Lässigkeit, mit der Bryan Washington seine Figuren, seine Geschichte, seine Bilder zeichnet, macht ihn derzeit zu einem der interessantesten Autoren. In einem Essay über Freundschaften und Beziehungen , den Washington für die »New York Times« geschrieben hat, steht: »Früher habe ich einen großen Teil meiner Zeit damit verbracht, diese Beziehungen zu definieren, aber jetzt sind mir Definitionen ziemlich egal. Die Sache mit der queeren Freundschaft ist, dass sie amorph und endlos ist und sich über alle Grenzen hinwegsetzt, die man ihr aufzuerlegen versucht.« Diese Haltung der Verweigerung jeglicher Definition schafft einen grenzenlosen Reichtum an Geschichten, die oft schmerzhaft zu lesen sind, aber letztendlich etwas Besonderes ermöglichen – nämlich Menschen einfach sein zu lassen.

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