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THEATER Bühne frei für Barbaren?

Der brutale Angriff junger Rechtsradikaler auf eine Schauspieltruppe in Halberstadt verschärft den Kulturkampf, der in Ostdeutschland zwischen Neonazis und Theaterleuten tobt. Viele Künstler verstehen sich als letztes demokratisches Aufgebot gegen rechte Ideologen.
aus DER SPIEGEL 25/2007

In Weimar findet der Angriff der braunen Horden auf der Theaterbühne statt. »Draußen sind SA-Trupps auf dem Platz. Die Arbeitslosen schwenken Fahnen. Und der Kiosk ist Propagandazentrale«, beschreibt ein Mädchen mit strähnigem Haar und zitternden Gliedern den Blick aus ihrer Plattenbauwohnzelle irgendwo im deutschen Osten des Jahres 2007. »Waffen und Munition werden verkauft. Da stinkt's nach Vernichtungslust.«

Das Mädchen ist die Heldin in Tine Rahel Völckers Theaterstück »Die Höhle vor der Stadt in einem Land mit Nazis und Bäumen«. Im Weimarer E-Werk berichtet es von einer Neonazi-Braut, die »Deutschland!« schreit »wie eine böse Mutter nach ihrem Kind« und von alptraumstumpfen braunen Gesellen, die jederzeit zuzuschlagen bereit sind. Zum Glück ist das Mädchen nur eine Kunstfigur.

In Halberstadt war der Alptraum dagegen vorvergangenes Wochenende blutige Realität. Mal wieder. Mitten in der Nacht, im Anschluss an die Premierenfeier der »Rocky Horror Show«, wurden im Nordharz die Mitglieder eines Theaterensembles Opfer rechtsradikaler Schläger. Mindestens acht Täter, so der Polizeibericht, schlugen gegen drei Uhr morgens fünf Theaterleute krankenhausreif, wohl weil sie einen der Schauspieler, der einen Irokesenschnitt trug, »als Linken identifiziert und danach losgeprügelt haben«, wie es ein Beamter formulierte.

Klar waren die Schlagzeilen und die Empörung groß nach der Nacht von Halberstadt, klar zeigten sich Politiker und Künstler schockiert. Aus vielen Theatern gab es Solidaritätsadressen gegen »rechtsradikale Dumpfheit« und das »Zerschlagen fremder Gesichter mit Schlagringen und Stiefeln«, wie es beispielsweise in einer Sendschrift des Magdeburger Schauspiels an die verletzten Kollegen des Nordharzer Städtebundtheaters hieß.

Manchen Kulturschaffenden aber gilt der Fall als Fanal in einem nicht erklärten Krieg: Es sei »ein Kulturkampf im Gange« zwischen Rechtsradikalen und Theatermenschen, behauptet zum Beispiel der Dramaturg Matthias Wolf, der seit zehn Jahren am Theater Neubrandenburg-Neustrelitz arbeitet. Er sagt, dass gerade in der Provinz Theaterleute von den Rechtsradikalen als natürliche Feinde begriffen würden. Weil sie Lehrstücke wie

»Biedermann und die Brandstifter« spielen. Und weil sie zum Protest aufrufen, wenn, so ist es in Neustrelitz geschehen, die Rechten Gedenkkränze für die Opfer des Holocaust »nachts einsammeln und vors Büro der PDS kippen«, wie Wolf berichtet.

»Wir verkörpern eine demokratische Kultur, einen wichtigen Faktor im öffentlichen Diskurs«, glaubt der Dramaturg. Oft sei er nah dran aufzugeben, mit Rechtsradikalen noch Diskussionen führen zu wollen: »Die erreichen Sie kaum noch. Die haben den zivilgesellschaftlichen Konsens aufgekündigt.« Und drangsalierten deshalb auch und gerade die Theaterhäuser.

Tatsächlich scheinen die Rechten in der ostdeutschen Provinz eine Doppelstrategie zu verfolgen. Sie versuchen, ihre kruden Thesen in Jugendclubs, Nachhilfeeinrichtungen oder Zeltlagern zu verbreiten. Und sie verhindern durch Drohungen und unsanften Druck Kulturveranstaltungen, die nicht mit ihrem Menschenbild kompatibel sind. »In Großstädten gibt es zivilen Widerstand auch als Kulturbegriff«, sagt Anetta Kahane von der Berliner Amadeu Antonio Stiftung, die sich gegen Rechtsradikale engagiert. »In ländlichen Gegenden dagegen schrecken viele Menschen schon im Vorfeld zurück, Räume, Geld oder irgendwie Unterstützung zu geben für Kultur- oder Aufklärungsprojekte, weil sie sich nicht Ärger mit Rechten einhandeln wollen.«

Durch derlei vorauseilenden Gehorsam ist auch Halberstadt berüchtigt geworden, wo am Tatort der jüngsten Neonazi-Attacke vergangene Woche gutmeinende Bürger vor eingetrockneten, mit Kreidekreisen markierten Blutflecken ein bisschen Demonstrationsstraßentheater aufführten. Im Frühjahr 2006 hatte der Landkreis Halberstadt wegen Drohungen von Rechtsradikalen ein Konzert des Liedermachers Konstantin Wecker verhindert. Es gab Proteste gegen das präventive Einknicken - und, wie auch jetzt wieder, viele unfreundliche Medienberichte über Halberstadt. Etliche Reisegruppen aus dem Westen haben nun ihre Buchungen für den Harz storniert.

Die Halberstädter Schauspieler erzählen mit ernsten Gesichtern, dass viele Bürger das Drama möglichst schnell vergessen machen möchten. In der Stadt leben fast 40 000 Menschen. Die gewaltbereite rechte Szene wird auf 60 Personen geschätzt. Die aber wollen den Spielplan der öffentlichen Wahrnehmung bestimmen und attackieren alle echten und vermeintlichen Widerstandsnester.

Das ist im Osten an vielen Orten so. »Wir in Sachsen wissen, dass wir in den Rechten unsere Feinde haben«, sagt Karl-Hans Möller, Chefdramaturg in Chemnitz. »Und die Rechten wissen das auch.«

Es ist ein Kampf vor allem um junge Köpfe, der da geführt wird. In den Schauspielhäusern und in Schulen lehren Schauspieler und Regisseure das Einmaleins der Menschlichkeit. Mit Toleranz-Klassikern wie »Nathan der Weise«, »Biedermann und die Brandstifter« oder dem »Tagebuch der Anne Frank«. Oder mit zeitgenössischeren Stoffen, die »Hallo Nazi« heißen, »Ich knall euch ab!«, »Eins auf die Fresse« oder »Amoklauf ein Kinderspiel«.

Nach einer Vorstellung von »Papa, was ist ein Fremder?« wurde der Chemnitzer Theatermann Möller auf einem Schulhof massiv bedroht, als er mit zwei Schauspielern und einem Pfarrer nach Hause

fahren wollte: »Die Rechten haben unser Auto umstellt.«

Von einer schon länger zurückliegenden Schlägerei in Meiningen berichtet der inzwischen an vielen großen Bühnen erfolgreiche Schauspiel- und Opernregisseur Sebastian Baumgarten. »Da waren plötzlich 12, 15 Kerle da, die beschlossen hatten, uns linke Kulturzecken zusammenzuschlagen, und das dann auch taten.« Gerade in kleineren Orten genüge es schon, sich ein wenig anders anzuziehen, um Anstoß zu erregen, sagt Baumgarten; »stets spürt man die Bereitschaft, allen Abweichenden zu zeigen, dass sie da nicht hingehören«.

Baumgarten erinnert daran, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit rechten Ideologien durchaus komplexer sein kann, als in Lehrstücken explizit Neonazis auf die Bühne zu stellen. So zeige er in seinem »Wozzeck« in der Dresdner Semperoper, »was Faschismus im Kleinbürgerlichen bedeutet«.

Er finde es stark übertrieben, gleich von einem Kulturkampf zwischen Rechtsextremen und Theaterleuten in Ostdeutschland zu sprechen, sagt der Regisseur Armin Petras, der in Chemnitz und im thüringischen Nordhausen gearbeitet hat und nun das Berliner Maxim Gorki Theater leitet. »Aber Halberstadt war keine Überraschung für mich. Die Rechten kämpfen gegen alles, was Phantasie und Mehrdeutigkeit und Buntheit verkörpert. Egal, ob es Punker sind oder Künstler.«

Petras berichtet von einem indischstämmigen Theatermann aus Cottbus, der wegen ständiger Anfeindungen durch Neonazis die Stadt verlassen habe, »das ist seit 15 Jahren gang und gäbe in Ostdeutschland in den kleineren Städten«. Und er weist darauf hin, dass die Theater dort oft die einzigen Orte seien, wo sich nicht rechtsradikal gesinnte junge Menschen treffen können: »Das Theater übernimmt dort Aufgaben, die früher Familie und

Schule hatten und mit denen sie heute überfordert sind«, so Petras. »Wenn man im Osten in einer Kleinstadt auf sich allein gestellt ist, wo sonst soll man noch kulturelle Identität entwickeln außer im Theater und im Theaterjugendclub?«

Senftenberg zum Beispiel. In der Stadt im Südosten von Brandenburg marschiert, direkt gegenüber vom Theater, ein junger Kerl mit kurzgeschorenen Haaren und Springerstiefeln mit weißen Schnürsenkeln, Erkennungszeichen der Neonazis, durch die Mittagssonne. Im Theater selbst aber, einer ehemaligen Schulturnhalle, ist das andere Senftenberg zu besichtigen. Seit 2004 wirbelt hier Intendant Sewan Latchinian, ein umtriebiger Idealist mit armenischen Vorfahren. Seine Neue Bühne erzielt mit einem Mini-Etat von 3,7 Millionen Euro einen Riesenerfolg: 2005 wurde sein Haus von der »Theater heute«-Kritikerjury zu einem der »Theater des Jahres« gewählt, sensationell für eine Provinzbühne.

In der vorigen Spielzeit kamen 60 000 Besucher zu den Vorstellungen, ein Rekord. Senftenberg hat 28 000 Einwohner, es gehört zu einem der ärmsten Landkreise Deutschlands. Das Theater sei »für das soziale Klima in einer Stadt verantwortlich«, sagt Latchinian. Er erzählt, wie eines Tages an seiner Wohnungstür ein Jugendlicher klingelte: Er wolle »zum Obersturmbannführer« - offenbar der Spitzname eines Nachbarn.

Deshalb setzt Latchinian nicht nur Aufklärungsklassiker wie »Nathan der Weise« oder, für die nächste Saison, »Das Tagebuch der Anne Frank« auf den Spielplan, sondern tritt mitunter auch auf der Straße gegen die Neonazis an. Als die Rechten im Dezember 2005 einen Aufmarsch durch

Senftenberg planten, pinselten seine Theatermaler »Nazis raus!« auf die theatereigene Litfaßsäule vor dem Bahnhofsportal und befestigten an der Fassade eines leerstehenden Plattenbaus ein riesiges Plakat mit dem Slogan: »Für Demokratie und Toleranz! Senftenberg gegen Nazis«. »Seitdem hat es hier keine weiteren Aufmärsche gegeben«, sagt Latchinian.

Für die Stärkung des demokratischen Bewusstseins in den neuen Bundesländern sind solche Aktionen kleine Triumphe. In vielen Orten engagieren sich Theaterleute in lokalen Bündnissen für Toleranz und gegen rechts.

Zugleich aber konstatiert etwa ein Verfassungsschützer in Mecklenburg-Vorpommern ein zunehmendes Engagement der Rechtsextremen in Bürgerinitiativen, der Jugendkultur und Protestbewegungen. In Rostock verteilte die NPD Flugblätter gegen Sparmaßnahmen an der Universität; und auch an den bunten Protest gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm versuchte die NPD anzudocken. In der Argumentation der Rechten werde »jedes Problem zu einem Versagen des demokratischen Rechtsstaates hochstilisiert«.

Der Autor und Filmemacher Andres Veiel hat sich jahrelang mit rechtsradikaler Gewalt in Ostdeutschland beschäftigt. Sein Dokumentarstück »Der Kick« über den Mord dreier rechtsgesinnter Jugendlicher an einem jungen Mann in Brandenburg, gerade in einer erweiterten Buchfassung erschienen, wird neuerdings auf mehreren ostdeutschen Bühnen angesetzt**.

Veiel sieht in Ostdeutschland tatsächlich rechtsradikale Kulturkämpfer am Werk, »aber das sind gerade nicht die marodierenden Fußtruppen mit ihrer Wut gegen alle, die anders aussehen, die dem Männlichkeitsbild nicht entsprechen, die links oder schwul oder offensichtlich Ausländer sind«.

Die gefährlicheren Akteure, etwa NPDnahe Funktionäre, tarnten sich besser. »Die kommen im Anzug in die Diskussionen, um ihre Ansichten zu verbreiten«, sagt Veiel, der zu manchen Veranstaltungen unter Polizeischutz antreten musste. Er plädiert trotzdem für den Dialog: »Es lohnt sich, mit allen zu reden, die nicht mit offener Gewalt drohen. Mit der Kraft des besseren Arguments kann man manches Parolengebäude schnell zum Einsturz bringen.«

An der Theaterbasis werden am Sinn dieses Dialogs manchmal Zweifel laut. Petra Weimann, Theaterpädagogin am Theater Vorpommern in Greifswald, klingt jedenfalls leicht resigniert, wenn sie über ihre Arbeit mit Jugendlichen spricht. Sie frage sich manchmal, »inwieweit Theater überhaupt wirken kann bei Leuten, die schon indoktriniert sind« mit rechtsradikalem Gedankengut. Bei vielen Schülern beobachte sie »eine große Gleichgültigkeit«. Als Schulklassen etwa eine Aufführung des »Tagebuchs der Anne Frank« in Greifswald besuchten, »wurde an den unpassendsten Stellen gelacht«, berichtet die Theaterpädagogin.

Ähnliches schildert ihr Kollege Hans-Dieter Heuer in Magdeburg. Es werde ihm »manchmal heiß und kalt, nicht nur wenn Schüler von den alltäglichen Schikanen der Rechten erzählen«. Ihn schaudere auch, wenn selbst Gymnasiasten freimütig ihre Angst vor Fremden bekundeten. »Die reden, als ob sie unter 50 Prozent Fremden leben würden, dabei sind es hier gerade mal 3,5 Prozent.«

Die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland ist nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz im Jahr 2006 leicht zurückgegangen. Angestiegen aber ist die Zahl rechtsextrem motivierter Gewalttaten, davon allein 455 Fälle von Körperverletzung mit fremdenfeindlichem Hintergrund. Im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Anstieg um 41 Prozent.

Zur Aufklärung der brutalen Attacke in Halberstadt hat die Polizei inzwischen eine zehnköpfige Sonderkommission »Theater« gebildet. Am Freitag vergangener Woche saßen vier Tatverdächtige in Haft; gegen zwei von ihnen hat die Staatsanwaltschaft bereits Anklage erhoben.

Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Ermittlungen sind trotzdem erlaubt: Im städtischen Polizeirevier lagen Werbezettel aus mit einer Internet-Adresse für Kleidung der Marke »Thor Steinar«. Die erfreut sich gerade in der rechten Szene großer Beliebtheit. Im Gästebuch der Theater-Homepage behaupten verbitterte Mail-Schreiber: »Halberstadt ist zur rechten Hochburg Deutschlands mutiert. Die Stadt wird daran kaputtgehen.«

Ganz so schlimm soll es nicht kommen. Die Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters wollen weitermachen.

MARKUS DEGGERICH, WOLFGANG HÖBEL,

MARTIN WOLF

* Alexander Junghans (r.), Mitglied des NordharzerStädtebundtheaters, mit Intendant André Bücker im Krankenhaus vonHalberstadt.* Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters Weimar.** Andres Veiel: »Der Kick. Ein Lehrstück über Gewalt«. DVA,München; 288 Seiten; 14,95 Euro.

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