Bürger von Köpenick im Foyer
Auf der Bühne des Stuttgarter »Theaters der Jugend« stand links und rechts je ein schwarz-weiß-rotes Schilderhäuschen. Carl Zuckmayers »Hauptmann von Köpenick« stand auf dem Programm, aus dem die Namen Erich Ponto und Werner Finck hervorstachen.
Werner Finck, der seit einem halben Jahr dem Ensemble des »Theaters der Jugend« angehört, hatte zum ersten Male in seinem Leben eine Bühnenrolle übernommen. Er, einer der Letzten aus den gelichteten Reihen der Conferenciers alter und hoher Schule, will jetzt öfter in diesem Theater spielen, in dem letzthin die katholische Jugend so heftig und erfolglos gegen Curt Götz' »Der Lügner und die Nonne« Stellung nahm. Daneben arbeitet er an Plänen für ein literarisches Cabaret.
Erich Ponto, aus vielen Filmen in liebwerter Erinnerung, bis vor kurzem noch Intendant in Dresden, seither dort Regisseur und Schauspieler, war gekommen, um den 57jährigen ungedienten Schuster Wilhelm Voigt zu spielen. Diesen Wilhelm Voigt, der sich knapp zehn Jahre nach der Jahrhundertwende von einem Trödler in Berlin N eine Hauptmannsuniform kaufte und anzog, auf der Straße eine Handvoll Soldaten aufgriff, mit ihnen das Rathaus von Köpenick besetzte, den Bürgermeister verhaftete, den Belagerungszustand verhängte und die Stadtkasse mitnahm.
Carl Zuckmayer, der vor kurzem in amerikanischer Offiziersuniform in seiner Geburtsstadt Nackenheim am Rhein mit seinem Vater die letzte, sorgfältig für die Rückkehr des Sohnes gehütete Flasche Wein trank, hat dieses »deutsche Märchen« als knapp Dreißigjähriger geschrieben, zehn Jahre, bevor er in die Emigration ging. Der junge Regisseur Peter Hamel inszenierte das in breiten Episoden angelegte Stück, das mehr Atmosphäre als Handlung hat, bewegt und lebendig.
Erich Ponto hob die Figur des Wilhelm Voigt aus dem karikierten Milieu des Stückes heraus, gab ihr die Sentimentalität und echte Tragik. Wie der heimatlose Schuster mit seinem verschnürten Päckchen unter dem Arm mit allen Mitteln versucht, eine Aufenthaltserlaubnis (so hieß damals die Zuzugsgenehmigung) zu bekommen, wie er von der Maschinerie des Bürokratismus einfach zermahlen wird: dies macht das fast 20 Jahre alte Stück aktuell und den Zuschauer nachdenklich.
Erich Ponto spielte einen Menschen. Werner Finck als Bürgermeister Obermüller einen Typ von molièrischen Umrissen. Erich Ponto verwandelte sich, Werner Finck, schon bei seinem Auftreten wohlwollend belacht, blieb Werner Finck, obwohl er sich an den Text hielt und nur einmal einen kurzen Ausflug in die Conference über das beliebte Thema Demokratie unternahm.
Die Aufführung war turbulent, sprengte den Rahmen der Bühne, sprang in die Seitengänge und selbst ins Foyer über, wo die Bürger von Köpenick vor dem Rathaus lärmten. Werner Finck wurde belacht, Erich Ponto für Stuttgarter Verhältnisse begeistert gefeiert.
Das war in Köpenick: der Hauptmann und Schuster verhaftet den Bürgermeister *)
*) Erich Ponto als Schuster in Hauptmannuniform. Werner Finck als Bürgermeister in Bedrängnis.