KAISERSCHNITT Caesaren-Wahn
Wie immer, wenn Prominenten -Kinder zur Welt kommen, enthielten die Berichte aus der Klinik auch medizinische Details. Genau eine Stunde und 27 Minuten nach ihrem Eintreffen im Washingtoner Georgetown-Hospital, so meldeten die amerikanischen Zeitungen in der vergangenen Woche, habe Jacqueline ("Jackie") Kennedy einem fünfeinhalb Pfund schweren Knaben das Leben geschenkt - drei Wochen früher als erwartet und: »durch eine Kaiserschnitt-Entbindung«.
Dem gleichen operativen Eingriff, so hieß es weiter, habe sich die zukünftige First Lady schon einmal unterworfen, bei der Geburt des ersten Kennedy-Kindes, der drei Jahre alten Caroline. Jackie Kennedy, 31, gehört mithin zu jenen fünf Prozent amerikanischer Mütter, die in letzter Zeit wiederholt Diskussionsthema auf medizinischen Kongressen waren, weil die Gynäkologen ihnen bei der Entbindung chirurgische Hilfe zuteil werden ließen.
Zahlreiche amerikanische Ärzte sind nämlich der Meinung, die Zahl der Kaiserschnitt-Geburten habe in den Vereinigten Staaten erheblich stärker zugenommen, als vom Standpunkt der Medizin zu verantworten sei. Erst kürzlich gab der Armee-Arzt Riva, Chef-Gynäkologe des berühmten Washingtoner Walter-Reed-Hospitals, auf einem Ärztetreffen seiner Besorgnis Ausdruck.
»Für einen Arzt ist es wesentlich einfacher«, erklärte der renommierte Geburtshelfer, »einen Kaiserschnitt zu machen als bei einer normalen Geburt zu assistieren, und viele Frauen fordern den Eingriff sogar. Sie vergessen dabei, daß es sich um eine größere Operation handelt, die nur ausgeführt werden sollte, wenn sie unbedingt erforderlich ist.«
Der Militärarzt untermauerte seine Warnung mit eindeutigen Zahlen. Im Gebiet von New York beispielsweise habe sich die Rate der Schnitt-Entbindungen in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt. Sechs von hundert Babys kämen dort mittels Kaiserschnitt zur Welt.
Der Eingriff in den Geburtsvorgang, den Dr. Riva auch heute noch als
»schwere Operation« gewertet und entsprechend selten angewandt sehen möchte, gilt als einer der ältesten ärztlichen Kunstkniffe. So wird bereits von dem im siebten vorchristlichen Jahrhundert in Rom herrschenden König Numa Pompilius berichtet, er habe befohlen, daß keine Frau, die vor der Entbindung starb, beerdigt werden durfte, ohne vorher durch den Schnitt entbunden zu haben.
Die Bezeichnung Kaiserschnitt dagegen geht nicht auf die römischen Kaiser zurück. Eher könnte der Begriff »Kaiser« - was freilich umstritten ist
auf die Operation zurückgehen. »Denn das Wort Caesar«, schreibt der deutsche Gynäkologe Professor Martius, »und damit auch unser deutsches Wort 'Kaiser' kommt nach (dem Römer) Plinius von caedere = schneiden und soll nach der Auffassung des Historikers daher rühren, daß der erste der Caesaren aus dem Mutterleib herausgeschnitten wurde.«
In Deutschland gehörte die Kunst der operativen Geburtshilfe schon im Mittelalter zum Rüstzeug der Hebammen. Als erster Arzt, erfahren die Medizinstudenten in ihren Vorlesungen, habe der Wittenberger Jeremias Trautmann im Jahre 1610 den Kaiserschnitt an einer lebenden Frau praktiziert.
Später wurde die riskante Operation beispielsweise fast immer dann versucht, wenn »ein erhebliches Mißverhältnis zwischen Becken und Kind« bestand (so Professor Stoeckel, der Nestor der deutschen Gynäkologie). Der Eingriff, bei dem die Bauchdecke und die das Kind umschließende Gebärmutter aufgeschnitten werden, führte relativ häufig zum Tod der Mutter.
Durch verbesserte Chirurgie und Anästhesie sowie die Anwendung der Antibiotika konnten die Gefahren der Schnitt-Entbindung - in erster Linie Wund-Infektion, aber auch Thrombose und Embolie - weitgehend gebannt werden. Parallel zum Sinken der Sterblichkeitsziffer beim Kaiserschnitt, die gegenwärtig kaum noch ein Prozent erreicht, stieg deshalb auch in Deutschland die Zahl der Fälle, in denen sich die Ärzte zur Schnitt-Entbindung entschlossen.
In den USA allerdings nahmen die Kaiserschnitt-Entbindungen noch rascher zu. In jüngster Zeit ist der Kaiserschnitt bei Amerikanerinnen der höheren Gesellschaftsschichten sogar regelrecht zur Mode geworden, was vor allem darauf zurückzuführen sein mag, daß eine Schnitt-Entbindung weniger schmerzhaft ist und die Chance bietet, der Mutter gleichzeitig durch eine plastische Operation die jugendliche Figur zu erhalten. Als Beispiel für diese Entwicklung führte Geburtshelfer Dr. Riva eine Privatklinik in Manhattan an, in der während des vergangenen Jahres der Kaiserschnitt bei nicht weniger als 20 Prozent der Geburten angewandt wurde.
Der deutsche Professor Heinrich Martius nennt derartige Praktiken bissig »Caesaren-Wahnsinn«, und der Amerikaner Riva warnte vor der Ärzteversammlung: »Eine solche Chirurgie ist gewagt, für Mutter wie Kind.« Noch immer, so erläuterte der Gynäkologe, gebe es keine sichere Methode, das Alter des Kindes exakt zu bestimmen. In dem Bestreben, sicherzugehen, könne der Arzt zu früh operieren und auf diese Weise ein Kind auf die Welt bringen, das erst unter erhöhtem Risiko in einem Brutkasten lebenstüchtig gemacht werden müsse.
Außerdem, erklärte Riva, verliere eine Mutter bei einer Schnitt-Entbindung mehr als doppelt soviel Blut wie bei einer natürlichen Gehurt, so daß das Risiko einer Blutübertragung einkalkuliert werden müsse. Schließlich sei auch die Genesung schwieriger; eine Mutter müsse nach dem Kaiserschnitt gewöhnlich dreimal so lange wie nach einer normalen Entbindung im Krankenhaus bleiben.
Dr. Riva forderte die versammelten Ärzte auf, durch eine Anti-Kaiserschnittpraxis die Zahl der Schnitt -Entbindungen zu senken. In seinem Wirkungsbereich, der gynäkologischen Abteilung des Walter-Reed-Hospitals, wo wöchentlich 40 Kinder geboren werden, sei es bereits gelungen, die Kaiserschnittrate zu halbieren und sie auf nur noch 1,5 Prozent zu drücken. (In der Bundesrepublik werten die Gynäkologen eine Rate von drei bis vier Prozent als üblich.)
Der Washingtoner Arzt möchte sogar das Kaiserschnitt-Dogma der amerikanischen Medizin aufweichen, das besagt:
Wenn der Kaiserschnitt einmal angewandt wurde, muß er auch bei jeder folgenden Geburt angewandt werden ("once a section, always a section"). Er rät sogar allen Frauen, die bis zu viermal durch Schnitt entbunden haben, zur natürlichen Geburt.
Im Walter-Reed-Hospital kommen schon, so berichtete Dr. Riva, drei Viertel der Kinder, die nach dem amerikanischen Lehrsatz eigentlich durch Kaiserschnitt geboren werden mußten, auf natürliche Weise zur Welt.
Wöchnerin Jacqueline Kennedy, Tochter
Gewagte Operation?