Die Selbstinszenierung der CDU-Kandidaten Drei Prinzen beim Schaulaufen

Warten auf den Auftritt – die Masken sind noch nicht gefallen: CDU-Kandidaten Röttgen, Merz, Laschet (v. l.)
Foto: Michael Kappeler / dpaFür geschichtsbewusste Theaterfreundinnen und -freunde sind die Berliner Messehallen, in denen die CDU am Samstagvormittag ihre Kandidaten für den Vorsitz der Partei antreten lässt, ein legendenumwobener, fast heiliger Ort. Sie erinnern sich sofort an den jungen, nahezu nackten Bruno Ganz und an einen legendären Männerwettstreit im Februar 1974. Dort, wo jetzt Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen nacheinander mit blaugrauer, rosafarbener und lila Krawatte ans Rednerpult treten und die Führung von Deutschlands Christdemokratie beanspruchen, wetteiferten damals in einer theaterhistorischen Aufführung der thebanische König Pentheus (Bruno Ganz) und der Griechengott Dionysos (Michael König) lehmverschmiert und mit notdürftig bedeckten Genitalien um die Macht.
»Die Bakchen« hieß die Aufführung der Berliner Schaubühne, die vor knapp 47 Jahren in einer Halle des Messegeländes präsentiert wurde. Und wie damals geht es auch heute bei der CDU darum, einen Sieger »mit Efeu zu bekränzen«, wie es im Stück des Euripides heißt.
Triumph des Traumbilds über den Geist?
Damals wie heute spielt das Stück in einem Quarantäne-Saal. Für die Inszenierung des ersten fast vollständig virtuellen Parteitags einer deutschen Partei hat der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak eine blaugraue Arena bauen lassen, in der alle Anwesenden, wie er stolz versichert, »unter amtsärztlicher Kontrolle« stehen. Klaus Michael Grübers Inszenierung der »Bakchen« spielte seinerzeit gleich in einem Krankenhaus mit weiß getünchten Wänden. »Bühne frei!« ruft Ziemiak beim Auftritt von jedem der drei Konkurrenten um den CDU-Chefposten am Samstagvormittag. Aber besitzt das, was dann geschieht, wirklich die Wucht einer griechischen Tragödie? Hat Armin Laschets Sieg über Friedrich Merz in der Stichwahl an diesem Januartag des Jahres 2021 einen ähnlichen dramatischen Wumm wie das Grübersche »Bakchen«-Spektakel in den Siebzigern? Die »Frankfurter Allgemeine« lobte den Schaubühnenhit von damals immerhin erst vor ein paar Wochen wieder als »Triumph des verschwommenen Traumbilds über den klaren Geist«. So ähnlich könnten die Fans von Friedrich Merz dereinst über die heutige Niederlage ihres Idols urteilen.
Trotzdem fällt der Bühnenauftritt des Kandidaten-Triumvirats Laschet, Merz und Röttgen eher ins komische als ins tragische Fach. Jeder der drei Herren im CDU-Theater spricht zwar von den Grausamkeiten der Welt, mit der sie selbst und ihre »Freundinnen und Freunde«, wie man hier in schöner Einigkeit die Zuhörerschaft nennt, konfrontiert sind. Laschet redet von Krankheitsgeißel (Corona), giftigen Lügen (Trump) und Gewalt (der Rechtsterroristen) und berichtet: »Ich denke auch an den Kohleausstieg.« Merz fragt: »Wie kommen wir heraus aus dieser Zeit?« Röttgen klagt: »Die Demokratie ist weltweit unter Druck.« Das ist alles harter Stoff. Aber keineswegs der Sound, in dem sich Tragödiendichter ausdrücken.
Ein Clownslächeln im Gesicht des Kandidaten Merz
Vor allem aber wird es von jedem der drei Akteure mit einem Körper- und Mienenspiel dargeboten, das weniger Besorgtheit als Heiterkeit signalisiert. Norbert Röttgen strahlt am Mikrofon, als könne er es selbst nicht glauben, dass er es bis aufs Podest geschafft hat. Armin Laschet tritt am Ende seiner Wahlrede neben das Rednerpult und zeigt mit schiefem Grinsen die Bergmann-Erkennungsmarke seines Vaters. Und selbst der sonst allezeit konsequent sorgenvoll dreinblickende Friedrich Merz zaubert, als er irgendwas von »Mut und Zuversicht« in den leeren Saal spricht, ein Clownslächeln in sein Gesicht.
Jeder deklamiert im CDU-Theater für sich, allein dem Publikum zugewandt, selbst als die drei Männer, von denen einer hier zum Fürsten erwählt werden soll, an einem gemeinsamen Pult stehen. Was die Regiekunst angeht, kann man die Vorführung eindeutig dem Frontaltheater des 21. Jahrhunderts zuordnen, das weit weg ist vom kollektivseligen Beschwörungs- und Verschwörungsspiel der goldenen Schaubühnenjahre. Und was die Vorbilder aus der Theaterliteratur betrifft, so könnte jeder der drei Kandidaten einen der Prinzen abgeben, die in Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig« um die schöne Portia werben.
Röttgen als frohgemuter, aber chancenloser Prinz
Friedrich Merz besetzt ideal die Rolle jenes Kerls, der Portias wegen in die Stadt gereist ist und von ihr wegen seines zur Schau gestellten Stolzes so beschrieben wird: »Er tut nichts als Stirnrunzeln, als wollt er sagen: Wenn ihr mich nicht haben wollt, so lasst es.«
Norbert Röttgen darf den stets frohgemuten, aber chancenlosen Prinzen spielen, von dem Portia sagt: »Wenn eine Drossel singt, so macht er sogleich Luftsprünge.«
Und Armin Laschet verkörpert perfekt den venezianischen Prinzen Bassanio, dem bei Shakespeare schließlich die Gunst Portias zufällt. Bassanio zweifelt in seinem Jubel, als er endlich die Wahl gewonnen hat, »ob kein Trug mein Auge blendet, bis ihr bestätigt, zeichnet, anerkennt« und gesteht: »Verwirrung ist in meinen Lebensgeistern.«
Ein wenig benommen wirkte auch Laschet nach seinem Sieg am Samstag in der CDU-Arena von Berlin. Er trug kein Efeu im Haar, als er die Delegierten und seine unterlegenen Mitbewerber beschwor, jetzt allen innerparteilichen Zwist ruhen zu lassen. Blickte er nicht sogar ein bisschen verzagt? Vielleicht sollte sich Armin Laschet an das halten, was Bruno Ganz damals im Männerwettkampf der »Bakchen« in der Rolle des Pentheus in die Messehalle brüllte: »Wer glücklich ist, darf keine Furcht haben!«