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FERNSEHEN Chaos der Gefühle

»Das Ende der Beherrschung«. TV-Spiel von Gabi Kubach. ARD; Dienstag, 21.15 Uhr.
Von Klaus Umbach
aus DER SPIEGEL 3/1977

Dieses ungewöhnliche Fernsehspiel macht es seinem Publikum nicht leicht. Das Thema -- eine sich bis zur sexuellen Zuneigung steigernde Freundschaft zweier Frauen, dazwischen ein Mann -- ist nicht von der Allerweltsart. Es provoziert zum Nachdenken, man will dahinterkommen.

Die Autorin und Regisseurin Gabi Kubach, 32, ehemalige Essener Lokalreporterin und Absolventin der Münchner Filmhochschule, hat das heikle Dreiecksverhältnis in einem mutigen, klugen und sensiblen Drehbuch geschildert, aufgeschlüsselt hat sie es nicht. Auch das anschauliche Fertigprodukt weckt Neugier und Sympathie, hinterläßt aber auch Unbehagen.

Die Geschichte rollt ab wie hinter einer Klarsichtfolie: Was da passiert, läßt sich spannend verfolgen; warum es geschieht, bleibt undeutlich. Die psychologische Vorgeschichte, die es geben muß, wird nicht erzählt, nicht einmal angedeutet. Auch das Ende der Beherrschung, dramaturgisch effektvoll als Schock hochgespielt, klärt nicht. Hier geht es um einen Fall und, leider, nicht darum, was ihn dazu gemacht hat.

Bei den Recherchen zu ihrer Diplomarbeit trifft die Soziologie-Studentin Elisabeth, 31, den Bottroper Teenager Carmen, 17, der vergebens nach einer Abtreibungsklinik sucht. Spontan ist die intellektuell geschulte und scheinbar auch beherrschte Seminaristin von dem lebenslustigen, unkomplizierten Arbeitermädchen fasziniert.

Ohne, wie gewohnt, zu überlegen und ohne Rücksicht auf den Architekten Wolf. mit dem sie seit längerem zusammenlebt, fährt Elisabeth mit Carmen nach Holland. Dort wird der Eingriff vorgenommen, während einiger Ferientage teilen beide Tisch und Bett.

Mit Carmen nach Berlin zurückgekehrt, versucht Elisabeth. beide zu halten: den Freund und die Freundin. Aber das klärende, erklärende (auch für den Zuschauer hilfreiche) Gespräch zwischen ihr und Wolf findet nicht statt. Der mißtrauische, eifersüchtige Architekt zieht aus. Als plötzlich Carmens Freund Willi auftaucht, um randalierend »meine Braut« zurückzuholen, verliert Elisabeth die lange mühsam ge-

* Mit Gila von Weitershausen und Pola Kinski

wahrte Beherrschung. Sie erschlägt den Rocker mit einer Bronzestatue.

Ulla von Weitershausen, einst das schnucklige Betthäschen altdeutscher Kinowaren, spielt die von ihren Gefühlen verwirrte und von ihrem Verstand ausgetrickste Studentin Elisabeth mit scheuen, zurückhaltenden Mitteln. Die Kinski-Tochter Pola als Carmen ist, clever und vital, zugleich Gegnerin und Gefährtin: ein attraktives, herzliches Biest, das nicht ahnt, was es anrichtet. Dank dieses gemischten Doppels bleibt die Geschichte der E. unaufdringlich, geschmackvoll, bei aller Brisanz zart.

Ihr Film, sagt Frau Kubach, »ist von Frauen für Frauen gedreht«, aber er macht nicht mobil gegen die Männer, so mies sie auch wegkommen. Er ficht nicht für die Emanzipation der Frau, sondern für die der Gefühle. Er wirbt nicht einmal, aggressiv oder missionarisch. um Toleranz für Sinne wider die Norm. Er wagt sich, fern jeder lesbischen Libertinage, in scheinbare Randzonen menschlicher Beziehungen vor und streift die Schwierigkeiten, Gefühle außerhalb der gesellschaftlichen Einfriedung ehrlich auszuleben. Deshalb trifft und betrifft er, trotz seines Themas, Männer genauso.

»Ich fände es gut«, so Frau Kubachs bescheidene Interpretationshilfe. »wenn etwas von dem emotionalen Chaos, das irgendwo in dem Film drin ist, verstanden würde.« Doch wenn sieh der Zuschauer in dem psychologischen Scherbenhaufen am Ende der Beherrschung nicht zurechtfindet, weil der Film niemanden aussprechen läßt. dann droht das Geschehen das Publikum ebenso zu überfallen und ratlos zu hinterlassen wie Elisabeth.

Gabi Kubach wollte »zeigen, daß Frauen auch anders miteinander umgehen können als konkurrenzhaft oder in der gesellschaftlich legitimierten Form der Freundschaft«. Es ging ihr um die Erkenntnis der Zuschauer, »daß das Problem eigentlich nicht aus der Natur der Sache kommt, sondern aus der Kompliziertheit der Gedanken, die wir uns darüber machen«.

Schade, daß sie zur Klärung dieser komplizierten Gedanken so wenig beiträgt. Wohl aus Unwillen oder aus Angst. irgendwelche Rezepte für derlei Lebenslagen liefern, eine Frau Irene spielen zu müssen, hat sie sich die Diagnose der Situation verkniffen. Dennoch: auch so war ihr Film der Mühe wert. Klaus Umbach

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