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MODE Charme der Bourgeoisie

Mit gestreiftem Edel-Strick hat sich das italienische Ehepaar Missoni in die Kleiderschränke von Mode-Snobs eingenistet.
aus DER SPIEGEL 19/1976

Branchenkenner reihen sie international am oberen Dutzend des Mode-Olymps ein. »Die Missonis«, fand die »International Herald Tribune«, »sind ein fester Begriff.«

Ihr Ruhm basiert auf immer neuen melierten Streifen, bunt und sanft wie Regenbogen, und auf der Handwerkskunst, Wolle, Baumwolle und Rayon so luftig wie Netze oder so knubbelig wie Teppiche federleicht zu verstricken. Ein dünner Jerseyrock mit einem dünnen Jäckchen kostet freilich rund 750 Mark.

Ehemann Ottavio, 55, erfindet die Strickstoffe in der Fabrik auf den Hügeln zwischen Mailand und Varese. Ehefrau Rosita, Mitte vierzig, entwirft die Kleider. »Sie sind die einzigen Modemacher«, analysiert die Londoner »Times«, »die mit ihren Textilien berühmt wurden, und nicht wie die anderen mit ihrer Silhouette.«

Wer harmlos auf der Straße an einer Missoni-Ausrüstung vorbeigeht, wird sich danach nicht unbedingt den Kopf verrenken. Wo Restaurantgäste, wenn die Mohairgewänder der Pariser Trikoteuse Sonia Rykiel auftauchen, noch immer vor Staunen die Gabeln klappernd auf die Teller sinken lassen, da gleiten die Missonis eher still vorbei.

»Sie zwingen ihren Stil nicht auf«, lobt die Zeitschrift »EIle«. »Sie liefern den diskreten Charme der Bourgeoisie und ermuntern zu einem Schuß Bohéme.« Der Schuß Bohéme besteht aus kleinen Tricks -- aus aufgekrempelten Ärmeln oder knopflosen Mänteln, die nur zusammenhalten, wenn man die Hände in die Taschen bohrt.

Trotzdem erkennen Kenner die Missoni-Kluft sofort, zumindest an einem geknoteten Streifenschal aus Rayonspitze, einer Art Trademark (75 Mark). Die »New York Times« ortete das Italiener-Paar schon seit zwei Jahren als »jüngstes Glied in der Statussymbolkette«. Die deutsche Importeurin Elisabeth Stettmaier glaubt: »Wenn sich zwei Missoni-Kleider auf dem Golfplatz treffen, denn freuen die sich.«

Zum Sprint in die Spitzenklasse verhalf den Missonis, daß sie die Modebedürfnisse der wohlhabenden und nicht gerade backfischigen Kundenschicht frühzeitig erhaschten. Die Missoni-Kundin bleibt mühelos zwanzig Jahre lang dreißig. Missoni-Jerseykleider sind nahezu saisonlos und reisen knitterfrei und weit, besonders in amerikanische Luxus-Kaufhäuser.

Außerdem können sich Ottavio und Rosita rühmen, die heute so beliebte Puzzle-Mode miterfunden zu haben. Deren Regeln verlangen, daß man seine Bekleidung täglich neu zusammenstellt und möglichst vielerlei Blusen, Pullis und Jackenähnliches übereinanderzwängt. Zu diesem Zweck liefern die Missonis pro Saison rund 60 Einzelstücke, bis hin zu farbigen Seilgürteln, an denen Kristallkugeln klunkern. Wer genug Missonis im Schrank hat, ist bis einschließlich Mitternacht autark. »Man kann alles mixen, wie man will«, staunt die »International Herald Tribune«, »es fällt immer auf wundersame Art zurecht.«

Zweimal im Jahr pilgern die Fans zur großen Modenschau nach Mailand. Während die meisten italienischen Couturiers vergeblich versuchen, den Parisern die Rosinen aus dem Kuchen wegzuschnappen, wälzen sich zu den Missonis die Einkäufen und Modereporter in dicken Pulks.

Die Zuschauerreihen im Hotel an der Piazza delta Reppublica sind besät mit Missoni-Stricks. Wer noch die Maschenart »Flammenstich« vom Vorjahr oder gar die »Pfeffer und grobes Salz«-Masche von vor zwei Jahren trägt, fühlt sich aber deshalb nicht unmodisch, sondern eher adelig. Er zeigt, daß er der Gemeinde schon seit längerem gläubig angehört.

Unisono schmücken die gestreiften Strickschals in den künftigen Modefarben (Purpur, Scampi und Pflaume> die Besucher-Hälse. Das Wirk-Werk wird an der gestrengen Eingangskontrolle (die Missonis werden heftig kopiert) als Geschenk kredenzt und von den Zuschauern selbst bei brütender Hitze sofort umgebunden, als litten allesamt an kollektiven Halsweh.

Obwohl die Missonis ihr Repertoire schon länger um Seidenblümchen und Einfarbiges erweitert haben, schwillt bei den Defilées der Beifall wild an, sobald wieder Streifen (zum Beispiel bei Kapuzenmänteln) über den Laufsteg schwänzeln. Während das mäkelige Modevolk anderen Designern ständig Neues abverlangt, von seinen Missonis will er immer wieder Streifen.

Jubelnd umhalst es dann den graublonden, 1,82 Meter großen Ottavio, wenn der nach der Schau im hauseigenen Streifenpulli wie ein Gladiator herbeistürmt und dabei die kleine Rosita mit Athletenarmen fast zerquetscht. Ottavio war Studentenweltmeister und Olympionike im 400-Meter-Lauf. Sein erstes kommerzielles Strickstück war ein Trainingsanzug.

Damit rings um die reiche Welt nun der komplette Missoni-Look garantiert ist, verteilt das besonnene Ehepaar seine Ware (100 000 Einzelstücke pro Saison) über exklusive Verkaufspunkte mit detailliertem Warenlager, 14 davon in Deutschland. Überfluten wird sie den Markt nie. Die Produktion (200 Stricker) deckt knapp die Nachfrage. Elisabeth Stettmaier, die vor sechs Monaten im Münchner Luitpold-Block eine noble Missoni-Boutique etablierte, weiß: »Die Ware bleibt immer heiß.«

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