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FORSCHUNG Chemisches Weltwunder

Eine Vision Jules Vernes wurde erfüllt: Mit Hilfe von Licht spaltet ein österreichisches Chemiker-Ehepaar Wasser und erzeugt Wasserstoff -- womöglich die Energiequelle der Zukunft.
aus DER SPIEGEL 30/1976

Sir George Porter, Chemiker und Direktor der Royal Institution in London, wunderte sich: »Wie, in aller Welt, kann das funktionieren?« Und auch das britische Wissenschaftsblatt »New Scientist« bemerkte: »Warum es funktioniert, ist immer noch ein Rätsel.«

Das wissenschaftliche Staunen gilt einem neuartigen Verfahren, das von einer österreichisch-amerikanischen Forschergruppe an der University of North Carolina jüngst entwickelt worden ist. Im Labor gelang den Chemikern, was schon Jules Verne, der Welt treffsicherster Technik-Prophet, vor mehr als einem Jahrhundert erträumt hatte: die Gewinnung von reinem Wasserstoff. also einem idealen Energieträger, aus simplem Wasser -- mit Hilfe des Sonnenlichts.

Wenn das Verfahren sich auch in industriellem Maßstab bewähren sollte, wäre es in der Tat die Lösung für kommende Energieprobleme. Denn einerseits ist reiner Wasserstoff als Treibstoff nach Ansicht vieler Experten der einzig mögliche Ersatz für die schwindenden Erdölvorräte. In vielen Ländern rollen schon Versuchsfahrzeuge, in denen der extrem umweltfreundliche neue Treibstoff getestet wird.

Zugleich aber könnte das nun vorgeschlagene Verfahren auch das bisher unbewältigte Problem der wirtschaftlichen Nutzung von Sonnenenergie auf der Erde lösen: Die Sonnenenergie würde -- wie vor Millionen Jahren in den Erdöl- und Kohlelagerstätten -- im Wasserstoff als chemische Energie gespeichert und damit transportabel; die Kraft der Sonne könnte also in den Wüstengebieten gewonnen und in den Industrie-Zonen genutzt werden.

Gewöhnliches Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufzuspalten, ist ein besonders schwieriges Unterfangen, sobald es um Tonnenquantitäten geht. Keines der üblichen Verfahren -- etwa Elektrolyse, die Anwendung von Hitze und Druck oder der Einsatz von Bakterien ist bislang hinreichend wirtschaftlich.

Nach einem besseren Weg suchen seit längerem mehrere Forschungsgruppen in der Welt, darunter auch der Engländer Porter und das North-Carolina-Team, dessen Kern von dem Chemiker-Ehepaar Hertha und Gerhard Sprintschnik gebildet wird.

Im Mülheimer Max-Planck-Institut für Strahlenchemie, wo das aus Graz stammende Doktoren-Ehepaar drei Jahre tätig war, hatten die Sprintschniks im Frühjahr letzten Jahres den amerikanischen Chemieprofessor David G. Whitten kennengelernt, der sie für das Problem der Wasserspaltung zu begeistern wußte.

Um ihr Forschungsziel, die Spaltung des Wassers mittels Sonnenlichts, zu erreichen, suchten die drei Forscher nach einem geeigneten Katalysator, also einer Substanz. die den gewünschten Prozeß in Gang setzt und hält, scheinbar ohne sieh dabei zu verändern. Als brauchbar erwies sich schließlich ein »Metallkomplex«, bestehend aus dem seltenen Metall Ruthenium sowie einer Substanz namens Bipyridyl, einem Benzolabkömmling. Das platinähnliche Ruthenium gilt neuerdings als Geheimtip auf dem Gebiet der Katalyse. Erst jüngst gelang es Chemikern. mit Hilfe dieses Metalls auf einfache Weise Stickstoff in Ammoniak, den Ausgangsstoff für Kunstdünger, umzuwandeln -- eine Synthese, für die bislang extrem hohe Temperaturen und hoher Druck vonnöten waren.

Seiner molekularen Struktur nach, so erläutern die Forscher, ähnelt ihr Ruthenium-»Komplex« dem Chlorophyll, jenem grünen Pflanzenfarbstoff. der gleichfalls Sonnenenergie in chemische umzuwandeln vermag.

Wurde der Ruthenium-Katalysator in einem einschichtigen ("Monolayer«-) Dünnfilm auf eine im Wasser liegende Glasplatte gebracht und mit einer 1 00-Watt-Quecksilberdampflampe bestrahlt, ergab sich das (einstweilen noch) chemische Weltwunder: »Eine fortdauernde Produktion von Gas wurde beobachtet« (so das Sprintschnik-Team in einem Bericht des »Journal of the American Chemical Society").

Von einer Glasplatte, etwa halb so groß wie eine Din-A-4 Seite, strömten dabei innerhalb von 24 Stunden rund 500 Kubikmillimeter Knallgas ab, ein Gemisch aus Wasserstoff und molekularem Sauerstoff. Um ganz sicher zu gehen, machten die Chemiker die Probe; sie entzündeten das Gasgemisch -- und siehe da, es knallte.

Wenngleich sie die zugrunde liegenden Prozesse noch nicht bis ins letzte geklärt haben, halten die Forscher die Reaktion auch theoretisch für »durchaus plausibel«. Offenkundig ist ein sogenannter Elektronentransfer im Spiel, ein Austausch subatomarer Partikel zwischen Ruthenium-Komplex und Wasser, angeregt durch das Sonnenlicht.

Noch bewegen sieh die Arbeiten von Whitten und den Sprintschniks. die mit den Platten gelegentlich auch auf dem Balkon ihres Institutsgebäudes experimentieren, nach eigenen Aussagen »im Mikromaßstab«. Zugleich aber erklärten die drei Wasserspalter, ihre Methode sei »extrem vielversprechend für die Umwandlung von Sonnenenergie«.

Denn die Sonne als Energiespender gibt es umsonst. Und das unscheinbar graue Rutheniumpulver. das zur Katalyse gebraucht wird, kostet zwar 4700 Mark das Kilogramm, aber dafür reicht es auch weit.

So schwärmte Hertha Sprintschnik am Telephon schon von riesigen Wasserstoff-Generatoren: Die Dünnfilmbeschichtung mache es möglich, mit einem Kilogramm des strumpfgrauen Metallpulvers eine Glasfläche von 400 mal 400 Meter zu beschichten.

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