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PROPHEZEIUNGEN Chinesen vor Jerusalem

Ein Wiener Professor analysierte die Apokalypse des Johannes. Danach dringen die Chinesen bis nach Israel vor und wird New York vernichtet.
aus DER SPIEGEL 23/1971

Charles de Gaulle und Konrad Adenauer setzten, wie man weiß, nicht geringe Hoffnung in die Möglichkeit eines russisch-chinesischen Krieges. Während des östlichen Bruderstreits wollten sie, so sagt man. Europas Kommunisten einmal tüchtig abbürsten.

Freilich, der listige Plan der beiden Alten war von vornherein ohne Chance. Schon aus der Bibel nämlich kann, wer will, erfahren, daß Russen und Chinesen dereinst vereint im Solde des Antichrist zum Endkampf um das Gottesreich gegen den Westen antreten werden. Bei Armageddon wird ein Chinesenheer vernichtet werden: rundherum nicht weniger als 200 Millionen Mann. So steht es für den, der lesen kann, in Vers 16 des neunten Kapitels der Geheimen Offenbarung des Johannes: »Die Zahl der Streitmassen des Reiterheeres war zwanzigtausend mal zehntausend: ich vernahm ihre Zahl.« Wer anders als die Chinesen sollte so viele Krieger auf die Beine bringen?

Adenauer und de Gaulle müssen diese und andere Stellen der Offenbarung, die man auch die Apokalypse nennt, glatt übersehen haben. Entschlüsselt und mitgeteilt hat sie jetzt jedoch ein Wiener Professor namens Kurt Becsi, der auch sonst kein unerfahrener Mann in literarischen und gelehrten Dingen ist. 15 Jahre lang war er Generalsekretär der österreichischen Unesco-Kommission und verfaßte auch, wie der Wiener

* Ottonische Buchmalerei um 1000.

Verlag Paul Zsolnay berichtet, »völkerverbindende Dramen«. Heute ist er Vorstand des »Instituts für österreichische Dramaturgie«.

Daß ein »furchtbarer Atomschlag des Westens« die nach Israel eingedrungenerL 200 Millionen Chinesen vernichten wird, ist laut Becsi im 20. Kapitel der Johannes-Apokalypse beschrieben Dort heißt es nämlich im neunten Vers: »Und Gott ließ Feuer vom Himmel fallen, und es verzehrte sie die Chinesen nämlich -- laut Becsi*.

Es mindert gewiß nicht das Verdienst des Wiener Professors, daß andere scharfsinnige Bibelleser schon vor ihm die Heilige Schrift als eine Art von Handbuch der nuklearen Pyrotechnik entlarvt haben. So stellte der bekannte schweizerische Gastronom Erich von Däniken in seinem landauf, landab beliebten Werk »Erinnerungen an die Zukunft« die interessante Theorie auf, daß der Bericht von der Vernichtung Sodoms und Gomorrhas im 1. Buch Mose, Kapitel 19, Vers 24 bis 26, in Wirklichkeit die Reportage eines Atomangriffs göttlicher Astronauten sei. Tatsächlich ist die Übereinstimmung zwischen der apokalyptischen Vision des Johannes und der Mose-Passage verblüffend. Mose: »Da ließ der Herr Schwefel und Feuer regnen von dem Herrn vom Himmel herab auf Sodom und Gomorrha --

Daß sich an diese Übereinstimmung der Bibel-Lese Dänikens und Becsis auch verlegerische Hoffnungen knüpfen mögen (vom Däniken-Werk verkaufte der Econ-Verlag inzwischen mehr als eine halbe Million Exemplare), wird Kenner des Büchergeschäfts schwerlich überraschen. Der Markt für Okkultes ist da. Am Rande der verwalteten Welt bilden sich allenthalben Subkulturen der Mystik und der Mystifikation. »Allensbach« ermittelte, daß mehr als die Hälfte der Bundesbürger »außergewöhnliche Informationen über Gegenwärtiges und Zukünftiges« für möglich halte, und der Freiburger Parapsychologe Professor Hans Bender meint, daß die »Unsicherheit der Zeit« das Interesse an Okkultem fördere.

Freilich ist auch wahr, daß die Bücher Mose, vor allem aber die Johannes-Apokalypse zu allen Zeiten sensiblen Gemütern Anlaß zu prophetischen Visionen gegeben haben. Zumal in der Apokalypse geschieht Furchtbares und Gewaltiges: das Auftreten des Antichrist, die Vernichtung der Hure Babyion. die End-Schlacht bei Armageddon.

Die Apokalypse entstand um 95 nach Christus. Sicher ist sie auch ein revolutionäres Pamphlet gegen den Kaiserkult. Haßobjekt des Autors -- eines Mannes namens Johannes. der möglicherweise nicht mit dem Jesus-Jünger und nicht mit dem Evangelisten glei-

* Kurt Becsi »Aufmarsch zur Apokalypse«. Paul Zsolnay Verlag, Wien; 346 Seiten; 26 Mark.

chen Namens identisch ist -- war vor allem Rom, das er »Babylon« nannte: »die große Hure«.

Die Visionen und Anspielungen des Apokalyptikers Johannes verarbeitet Becsi zu einem Kolossal-Epos der aktuellen Politik, vor allem des amerikanisch-sowjetischen Gegensatzes, den er, höchst beängstigend« die »apokalyptische Dialektik« nennt. Amerika und Rußland erkennt der Professor als die »Tiere im Dienste des Drachens« wieder, welche Johannes im 13. Kapitel geschildert hat Das »Tier aus dem Meer« sind die USA, und das »Tier aus dem Lande« ist die UdSSR. Die »große Hure Babylon« ist nicht mehr Rom. sondern New York.

Die apokalyptische Dialektik wird meint Becsi -- nahezu unvermeidlich zum dritten Weltkrieg führen, zur Vernichtung fast aller Städte Amerikas, Rußlands und Chinas. Das Schlußschlamassel der Weltgeschichte scheint komplett zu sein. Doch Becsi läßt hoffen: »In der atomaren Flammenwüste New Yorks wird die neue soziale und christliche wie kosmische Geistigkeit Amerikas geboren.«

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