PREISE Contergan und Rilke
Die Preisrichter tagten von neun Uhr früh bis nachts halb eins. Dann hatten sie 1837 Bilder betrachtet und beurteilt - je zwei pro Minute.
Resultat des Schnellverfahrens: 173 Gemälde wurden für die Ausstellung »Deutscher Kunstpreis der Jugend 1966« in der Baden-Badener Kunsthalle zugelassen; der Preis selbst, begehrt und umstritten wie keine zweite deutsche Kunst-Belohnung, wurde dreigeteilt - keiner der 712 Einsender war der Jury einzeln 10 000 Mark wert.
Denn ihre Gewohnheit, jeweils nur einen Künstler auszuzeichnen, hatte in den vergangenen Jahren wenig Beifall gefunden.
1964 zum Beispiel erhielt der aus 467 Malern ausgewählte Wahlberliner Karl Horst Hödicke den - 1951 zunächst als regional baden-württembergische Nachwuchs-Prämie gestifteten - Preis in voller Höhe. Hödickes Bilder hätten jedoch - so die »Zeit« - »bei irgendeiner repräsentativen Kunstschau ... nicht die geringste Chance gehabt, sie wären mit Sicherheit ausjuriert worden«.
Ähnlich klang das Echo im vergangenen Jahr (113 Bewerber), als die Jury nach elf Wählgängen dem Hamburger Bildhauer Jochen Hiltmann für eine polierte Metallkugel namens »Stereo d'Elefante« (Elefantenkot) gleichfalls volle 10 000 Mark zuteilte. Im Stuttgarter Landtag stellte daraufhin CDU-Abgeordneter (Karlsruhe-Land I) und Diplom-Landwirt Ernst Kühnle die Frage, ob das Parlament bei der Preisverteilung, »einem Sachverständigengremium« überhaupt die letzte Entscheidung überlassen darf«. Kühnle: »Wir werden mit Recht dafür verantwortlich gemacht, weil wir das Geld, dazu geben.«
Eine so hohe Summe wie heute stand für den Kunst-Nachwuchs nicht immer bereit. Anfangs warfen die Stifter - Stuttgarter Verbände und Behörden - nur 4500 Mark aus und scheuten nicht einmal vor 50-Mark-Preisen, sogenannten »Belobungen«, zurück.
Erst seit 1959 ist der Preis - nunmehr überregional für Künstler zwischen 25 und 35 Jahren ausgeschrieben - mit 10 000 Mark dotiert, die vom Land Baden-Württemberg, den Städten Stuttgart, Mannheim und Baden-Baden aufgebracht werden. Dafür dürfen die Städte abwechselnd die Werke der Preisbewerber ausstellen.
Baden-Badens kunsthallen-Direktor Dietrich Mahlow, dem der »Verband Bildender Künstler Württemberg« ein »unverhülltes Vorkämpfertum für die abstrakte und absolute Kunst« unterstellt, zeigt in diesem Jahr vor allem Pop-Art in amerikanischer Machart. Typische Bild-Titel: »Mao und die Gymnasiasten«, »Porträt meines Küchenschranks«, »Steppdecke oder Tropenregen«, »Gut Strom«.
Preiswürdig unter dieser Mode-Ware hatte die Jury vor allem die Bilder des in Baden-Baden lebenden Grieshaber-Schülers Dieter Krieg, 29, gefunden. Kriegs Gewinn: 5000 Mark. Weitere Preise (3000 und 2000 Mark) erhielten der Hamburger Elektro-Bastler Klaus Geldmacher, 26, und der Berliner Op-Mann Jobst Meyer, 26.
Krieg, der noch im vergangenen Jahr in der Baden-Badener Kunsthalle als Aufseher diente (Monatsgehalt: 320 Mark), malt verquollene und verrenkte Männchen ohne Kopf; sie erinnern an, Mißgestalten des irischen Papst-Malers Francis Bacon und des deutschen Biennale-Vertreters 1966 in Venedig Horst Antes.
Angesichts dieser Krieg-Monstren mußte FAZ-Kritikerin Ursula Binder -Hagelstange gleichzeitig an Beckett, Rilke und Contergan denken; das Preisgericht prämiierte in ihnen »ein dem Menschen entfremdetes Menschenbild«.
Gleich nach der Ehrung brach Krieg, aus: Hinter der französischen Grenze, fern von Festrednern und Monstre-Männchen, feierte er mit elsässischem Bier und Tischfußball.
Maler Krieg, Krieg-Bilder: Preis für den Aufseher