Corona in den USA "Die New Yorker wurden unsichtbar"

Die deutsche Künstlerin Josephine Meckseper lebt in Manhattan. Hier spricht sie über die Auswirkungen der Krise auf den Kulturbetrieb – und darüber, was Corona mit dem Zeitgeist der Stadt macht.
Ein Interview von Ulrike Knöfel
Werk von Meckseper: "Wie in einem apokalyptischen Science-Fiction-Film"

Werk von Meckseper: "Wie in einem apokalyptischen Science-Fiction-Film"

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Josephine Meckseper

SPIEGEL: Frau Meckseper, Ihre Werke handeln oft von Protestkulturen und was sie über Gesellschaften aussagen – nun formen sich in den USA Demonstrationen ganz eigener Art. Wie nehmen Sie die wahr?

Meckseper: Die bis unter die Zähne bewaffneten Virusleugner, die sich in den letzten Wochen ohne Masken öffentlich zusammenrotten, würde ich nicht als Demonstranten bezeichnen. Sie sind eher Produkte einer systematischen Volksverdummung, Opfer einer mangelhaften Bildung in diesem Land und angestachelt durch Fox News, ein Sender, der ja fast schon ein Propagandakanal ist.  

Zur Person
Foto: Stefan Ruiz

Die deutsche Künstlerin Josephine Meckseper gilt als eine der Großen der Gegenwartskunst. Ausgebildet wurde sie in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren in Berlin und Kalifornien, seit 1992 lebt sie in New York. Immer wieder befasst sie sich mit den Ausprägungen der Gesellschaft, oft mit den Erscheinungsformen von Konsum und Protest. Ihre Werke, darunter raumgreifende Installationen und auch Filme, waren in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in vielen Museen weltweit zu sehen, in New York etwa im Whitney Museum und im Guggenheim Museum.

SPIEGEL: Auch in Deutschland gehen inzwischen Leute auf die Straße, protestieren gegen die Verordnungen, die zum Schutz der Bevölkerung erlassen wurden. Lässt sich das vergleichen?  

Meckseper: Ja, die Pandemie deckt ja verstärkt die Schwachstellen unserer westlichen Gesellschaften auf - wie beispielsweise ganze Bevölkerungsschichten zunehmend populistisch beeinflusst werden und vermehrt auf alte und neue Feindbilder zurückgreifen. Auf diese Weise erodiert etwas Kollektives, das für Demokratien so wichtig ist.

Fotostrecke

Werke von Josephine Meckseper

Foto: James Ewing/ Josephine Meckseper/ Courtesy Art Production Fund/ Foto: James Ewing

SPIEGEL: Was genau?

Meckseper: Das Einverständnis aller zu einer Welt, die sozial ist und gleichberechtigt und, wichtiger denn je, auch umweltbewusst. Die von rechts angestifteten Menschenversammlungen sind ein Barometer dafür, wie manipulationsanfällig die westliche Demokratie insgesamt ist, was auch für die kommenden US-Präsidentschaftswahlen im November kein gutes Omen ist.

SPIEGEL: Sie wohnen seit 1992 in New York, wo die Auswirkungen der Pandemie dramatisch sind. Wie erleben Sie die Stadt in dieser Zeit?

Meckseper: Das Leben hat sich schlagartig verändert und niemand von uns weiß, wie eine Existenz mit dem Virus in den kommenden Monaten oder auch Jahren hier aussehen wird. Man erfährt fast täglich, dass Bekannte aus dem Freundeskreis verstorben sind. Das ist unheimlich. Die Erfahrung der Isolation hingegen ist Künstlern nicht fremd, vor jeder großen Ausstellung verbringt man oft Monate im Atelier und in Gedanken, um dann plötzlich festzustellen, dass sich draußen längst die Jahreszeit geändert hat. 

SPIEGEL: In welcher Hinsicht hat sich die Stadt am deutlichsten verändert?

Meckseper: Typisch ist diese Geräuschkulisse hier in Manhattan: lärmende Menschenmassen, hupende Autos, Baustellen mit Presslufthämmern, die Tag und Nacht zu hören sind. Das alles verstummte schlagartig Mitte März. Die Stille, die sich plötzlich ausbreitete, ist sehr gespenstisch und nur unterbrochen durch die unerbittlichen Krankenwagensirenen, die die Opfer der Pandemie über die leeren Straßen in die Krankenhäuser transportieren. Man fühlt sich seitdem wie in einem apokalyptischen Science-Fiction-Film.

SPIEGEL: Manche vergleichen die Stimmung in der Stadt mit der nach dem 11. September 2001.

Meckseper: Am Anfang war es vielleicht so. Als Mitte März das Ausmaß der Situation und der Gefahr plötzlich allen bekannt und bewusst wurde, war es ein ähnlicher Schockzustand - wobei der 11. September vielmehr visuell traumatisierend war – das Einschlagen der zwei Passagierflugzeuge in die Zwillingstürme, die Flammen und Rauchwolken, die Menschen, die sich aus den Gebäuden stürzten, die stummen, von weißem Staub bedeckten fliehenden Menschenmassen.

SPIEGEL: Und jetzt?

Meckseper: Das Virus ist unsichtbar und auch die New Yorker wurden unsichtbar, voneinander isoliert. Nach dem 11. September waren nach zwei Wochen viele Geschäfte wieder offen, die Menschen wieder auf den Straßen. Die Solidarität war enorm und konnte sichtbar gelebt werden. Das Leben ging weiter. Genauso nach der Finanzkrise 2008 oder nach dem Hurrikan Sandy, der 2012 ganze Stadtteile überflutete und Schäden in Milliardenhöhen hinterließ. Das ist jetzt anders. So, als sei die Quintessenz dessen, was New York ausmacht, implodiert, die Lebendigkeit dieser Stadt.  

SPIEGEL: Wie würden Sie das Klima für die Kunst, für die Museen beschreiben? Was droht da?

Meckseper: Ob und wann die Museen dieses Jahr wieder geöffnet werden, ist noch unsicher. Man hört von massiven Budgetkürzungen und Entlassungen, auch in Galerien und Institutionen. Am schwierigsten wird es aber für die vielen Künstler, die keine Nebeneinkünfte haben, etwa durch Professuren oder andere Lehraufträge. Es gibt keine staatliche Unterstützung, um die Einbußen durch geplatzte Projekte, Ausstellungen, Aufträge abzumildern. Eine der wenigen privaten Initiativen, der Artist Relief, startete ein Programm für in Not geratene Künstler. Innerhalb von wenigen Tagen bewarben sich über 55.000 Künstler, der Etat reichte dann nur für knapp 1 Prozent der Bewerber.

SPIEGEL: New York ist so etwas wie die Welthauptstadt der Kunst. Wird sich das ändern?

Meckseper: Tatsächlich war New York in den vergangenen Jahrzehnten zum Dreh- und Angelpunkt der zeitgenössischen Kunst geworden. Nirgendwo leben mehr Künstler und Sammler, gibt es mehr Galerien und Museen als hier. Die nächsten drei bis fünf Jahre werden sicherlich extrem schwierig. Die Schere wird auch in diesem Bereich weiter auseinanderklaffen: Der Monopolisierungsprozess wird sich wahrscheinlich weiter beschleunigen, und durch die fehlende staatliche Unterstützung könnte es bald weniger kleinere Galerien und Institutionen geben, und einige Megagalerien könnten noch größer werden.

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