Das Plakat zur Coronakrise "Ich wollte die Menschen wachrütteln"

Der Illustrator Mathieu Persan entwarf ein Plakat, mit dem er die Franzosen aufforderte, zu Hause zu bleiben. Seither ist die Grafik tausendfach verbreitet worden. Was steckt dahinter?
Ein Interview von Britta Sandberg
"Bleibt zu Hause" - deutsche Version des Plakats von Mathieu Persan

"Bleibt zu Hause" - deutsche Version des Plakats von Mathieu Persan

Foto: Mathieu Persan
Zur Person
Foto: privat

Der Illustrator Mathieu Persan, 41, entwirft Buchtitel für französische Verlage und arbeitet für verschiedene Wochenmagazine. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Montreuil bei Paris. Sein Plakat zur Coronakrise, mit dem er die Franzosen auffordert, daheim zu bleiben, ging viral. Persan hat es mittlerweile kostenlos in verschiedenen Sprachen zum Download  bereitgestellt.

SPIEGEL: Herr Persan, vergangenen Freitagnachmittag haben Sie das Plakat "Restez à la maison" gezeichnet. Am Abend zuvor hatte Präsident Macron in einer Rede an die Nation die Franzosen genau dazu aufgefordert: vernünftig zu sein und zu Hause zu bleiben. Hatten Sie das Gefühl, das reichte noch nicht?

Persan: Mein Eindruck war, dass nur wenige begriffen hatten, wie ernst die Lage ist. Eine gute Freundin von mir ist Ärztin. Sie hatte mich am selben Tag angerufen und gesagt, sie mache sich große Sorgen, die von der Regierung angekündigten Maßnahmen würden nicht ausreichen. Zu dem Zeitpunkt gab es ja noch keine Ausgangssperre, Restaurants und Cafés waren noch geöffnet. Diese Freundin kümmert sich um Dialysepatienten, die besonders gefährdet und anfällig für das Virus sind. Sie sagte, die Franzosen müssten unbedingt zu Hause bleiben. Und sie riet mir eindringlich, das auch zu tun. Kurz bevor ich die Kinder dann von der Schule abgeholt habe, zeichnete ich das Plakat. Um ganz ehrlich zu sein: Das Ganze hat nicht länger als eine halbe Stunde gedauert.

Französische Version des Plakats: "Das Ganze hat nicht länger als eine halbe Stunde gedauert."

Französische Version des Plakats: "Das Ganze hat nicht länger als eine halbe Stunde gedauert."

Foto: Mathieu Persan

SPIEGEL: Inklusive der Vorschläge, die Sie auf dem Plakat zum Zeitvertreib machen: im Wohnzimmer tanzen, alte Freunde anrufen, mit den Kindern spielen?

Persan: Ja, das ging echt schnell. Wichtig war mir, dass das Ganze keinen alarmistischen Ton hat, ich wollte die Leute wachrütteln, aber nicht ängstigen. Deshalb habe ich auch dieses kleine, eher idyllische Haus gezeichnet. Ich habe den Entwurf dann am selben Tag noch über die sozialen Netzwerke verbreitet. Und schon am Wochenende verbreitete er sich viral, wie ich mir das nie vorgestellt hätte.

SPIEGEL: Bekommen Sie seither auch offizielle Anfragen, das Plakat benutzen zu dürfen?

Persan: Täglich, bis heute, aber jeder, der will, kann es nutzen, das ist ja der Sinn der Sache. Ich stelle es allen kostenlos zur Verfügung. Am Anfang dachte ich, die Leute hängen es in ihren Hausfluren auf. Aber Gemeinde und Städte haben mich mittlerweile gebeten, andere Formate zu erstellen, weil sie es großflächig plakatieren wollen. Sogar das Rote Kreuz in Frankreich setzt es ein, der nationale Gesundheitsdirektor tut es auch. Es ist wirklich erstaunlich und freut mich sehr. Meine Eltern sind Lehrer, sie haben immer wieder betont, dass sie etwas Nützliches, Sinnvolles mit ihrer Arbeit leisten. Das konnte ich jetzt endlich auch tun.

SPIEGEL: Seit Dienstag gibt es das Plakat auch auf Deutsch .

Persan: Ein Freund von mir hat es übersetzt. Er glaubt, dass in Deutschland die Gefahr nach wie vor unterschätzt wird und die Politiker dort noch nicht entschieden genug vorgehen. Und ich muss sagen, diesen Eindruck teile ich.

SPIEGEL: Wird es von Ihnen weitere Botschaften in dieser Krise geben?

Persan: Ich arbeite schon an neuen Entwürfen, lassen Sie sich überraschen. Diese Pandemie wird uns noch lange beschäftigen, so schnell geht das jetzt nicht vorbei.

SPIEGEL: Glauben Sie, dass die Corona-Pandemie Dinge verändern wird?

Persan: Einen solchen Schock, wie wir ihn jetzt erleben, wie ihn die ganze Welt spätestens in ein bis zwei Wochen mit einem absoluten Stillstand erleben wird, hat es seit den Weltkriegen nicht mehr gegeben. Ich hoffe, dass wir nach der Pandemie mit neuen Erkenntnissen aufwachen. Zum Beispiel jener, dass wir Dinge nicht in China produzieren lassen sollten, wenn wir das auch hier in Europa tun können. Dass wir anders, flexibler arbeiten können. Dass Wachstum nicht alles ist und ein langsamerer Rhythmus im Leben auch seine Vorteile hat.

SPIEGEL: Und bis dahin tun Sie all die Dinge, die Sie auf Ihrem Plakat empfehlen?

Persan: Ich arbeite wie immer von zu Hause, allerdings unter erschwerten Bedingungen, weil die Kinder ja nicht zur Schule gehen können. Und zwischendurch tanze ich im Wohnzimmer. Das habe ich aber auch schon vor der Krise getan.

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