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Kunst Crash im Cabriolet

Großer Auftritt für Künstlerhelden: Eine Berliner Schau behauptet, die amerikanische Moderne sei Männersache.
aus DER SPIEGEL 19/1993

Alle warten auf die Chefs, denn ohne die Chefs läuft hier gar nichts: Die Kamerateams warten, die Aufbauhelfer, die Assistentinnen, die Restauratorin. Murmeln erfüllt den Ausstellungssaal, Unruhe, einige leisten sich entnervte Flüche. Endlich eilen die Chefs herein, eine Stunde zu spät, herrisch, hektisch, Seite an Seite.

Es kann losgehen. Ein Bild soll aufgehängt werden. Natürlich nicht irgendeines, sondern das größte, schönste, wichtigste Bild dieser Ausstellung, das »Mural« (1943) des amerikanischen Malerstars Jackson Pollock.

Die Chefs stellen sich in Position. Neun Mann wuchten, weiß behandschuht, die gut sechs mal zweieinhalb Meter große Pollock-Leinwand aus der Kiste, in der sie von Iowa hergeschafft wurde. Die Chefs dirigieren. Hierhin, dorthin, links noch etwas höher, bitte. Kameras laufen, Fotoapparate rattern. Eine Amerikanerin seufzt: »It''s so wonderful.« Ein junger Lokalreporter fragt, was das Bild denn wohl wert sei? Geraunte Antwort: unbezahlbar.

Ein Spektakel. Ein großer Auftritt, herausgeschlagen aus einem kleinen Anlaß. Auf seltsame Weise verwandelt sich alles, was die Ausstellungsmacher Christos Joachimides, 60, und Norman Rosenthal, 48, unternehmen, in ein Spektakel.

Und das nun schon seit Jahren. Immer laut, immer groß, immer aufgeregt und aufsehenerregend: Jede Ausstellung der Chefs besaß Skandalwert, ob »A New Spirit in Painting«, 1981 in London, »Zeitgeist«, 1982 in Berlin, oder »Metropolis«, 1991 ebenfalls in Berlin.

Wer so gepolt ist, auf Rummel, auf Ruhm, auf Macht, der muß sich eigentlich nach Amerika absetzen. Oder er muß sich Amerika nach Hause holen.

Genau das haben die Chefs nun getan. Für satte fünf Millionen Mark, ausgeschüttet von der Stiftung Deutsche Klassenlotterie, haben sie alles nach Berlin karren lassen, was Rang und Namen in der amerikanischen Moderne hat**.

Das jedenfalls sollen die Besucher glauben. »Natürlich wollen wir einen Kanon erstellen«, sagen die Chefs. Natürlich wollen sie, vom Feldherrnhügel am Ende des Jahrhunderts aus, darüber bestimmen, wer als bedeutender Künstler in die Geschichte eingeht. Und natürlich wird ihnen das gelingen, denn wer denkt schon darüber nach, was alles fehlt, wenn doch soviel in der Schau zu sehen ist?

Der Kanon der Chefs ist, was Wunder angesichts ihres eigenen Temperaments, der Kanon der männlichen Kraftprotze: abgesichert, marktgängig, garantiert genialisch. Viel ** »Amerikanische Kunst im _(20. Jahrhundert« bis 25. Juli im ) _(Martin-Gropius-Bau, Berlin. Vom 17. ) _(September bis 12. Dezember in der Royal ) _(Academy of Arts, London. Katalog im ) _(Prestel-Verlag; 524 Seiten; 49 ) _((Buchhandelsausgabe 118) Mark. * Mit ) _(Pollock-Gemälde »Mural« (1943). ) Malerei auf vielen Quadratmetern Leinwand, viel wuchtige Skulptur. Hingucker. Publikumsbomben. Null Grafik, null Fotografie. Think big.

Nur 5 Frauen fanden Gnade zwischen den 61 männlichen Malern und Bildhauern, Georgia O''Keeffe, Eva Hesse, Agnes Martin, Jenny Holzer und Cindy Sherman.

Mit Chauvinismus habe das nichts zu tun, behaupten die Chefs, nein, Frauen hätten früher einfach nicht die Chance zu großer Kunst gehabt. Die Schau spiegele nur die Geschichte.

Ob es denn in dieser Geschichte keine hervorragenden Malerinnen wie Helen Frankenthaler, Joan Mitchell oder Susan Rothenberg, keine großen Bildhauerinnen wie Louise Nevelson oder Louise Bourgeois gebe?

Ja, sagen die Chefs dann, die passen leider nicht in unser Programm. Ihr Programm? Immer genau die Höhepunkte zu zeigen, die entscheidenden Kraftschübe einer Entwicklung, genau die Momente, in denen »ein Künstler etwas wesentlich Neues erfindet«. In ihren Augen haben die Frauen da nichts zu bieten. Punkt.

Also alles wie gehabt: geschlossene Gesellschaft. Heldengedenkstätte. Klub der weißen Herren. Erster Vorsitzender: Jackson Pollock.

Der war, erst 44 Jahre alt, betrunken mit seinem Cabriolet gegen einen Baum gerast, nur ein knappes Jahr nach James Deans Crash, im August 1956. Postumer Heroenkult war da unvermeidlich.

Er hatte seit Mitte der vierziger Jahre das Enfant terrible gegeben, exzessiv im Leben und im Arbeiten. Wie er seine Farben ungestüm auf der Leinwand verspritzte, Malerei als Ejakulation, war er der Inbegriff des mannhaften Schöpfers, egomanisch, nur sich selbst verpflichtet, der, wie er sagte, »Malerei als Entdeckung des Ich« betrieb.

Seine Bilder, über und über mit Schlieren, Chiffren, Tropfspuren bedeckt, schleuderten die Kunst aus Raum und Zeit heraus, aus dem braven Anfang und Ende, Oben und Unten aller anderen Malerei. Sie kündeten von Apokalypse, von Chaos, Tod und Geheimnis - Bilder, so schwer und gewichtig wie alles, was je aus Europa herübergekommen war, und doch ganz anders, in Amerika erlebt, erdacht und erschaffen.

Pollock war der Neuanfang, den Amerikas Kunst brauchte, um sich endlich ernst zu nehmen, er und die anderen wilden Kerle des Abstrakten Expressionismus, die jahrelang mit ihm in der Cedar Tavern am University Place saßen und soffen, Barnett Newman und Mark Rothko etwa.

Gewärmt durch den Schnaps, gestärkt durch den Machismo ihres Männerzirkels, wagten sie, die Söhne der Neuen Welt, den Aufstand gegen den Vater Europa. Das ging nicht leise, das ging nur mit einer »Kunst des Spektakels, der Übersteigerung und der Kraft«, so David Anfam im Katalog.

Kunst nach dem Herzen der Chefs also. Pollock und Co. beherrschen denn auch in Berlin das Allerheiligste, den großen inneren Lichthof, zu dem alle Wege der Ausstellung führen. Sie beherrschen die Achse, um die sich die Ausstellung dreht: Alles andere findet entweder vorher oder nachher statt.

Vorher: Da gab es schon ungezählte Versuche, das Amerikanische an Amerika zu fassen, da gab es Edward Hopper, den kühlen, sachlichen Maler der Einsamkeit der Städte, der stummen Menschen in einer Welt, die zu groß, zu schnell, zu fremd geworden war.

Seine Bilder tasteten die schmerzhafte Schnittstelle zwischen amerikanischem Traum und amerikanischem Alptraum ab, die Stelle, an der klar wird, daß Amerika das große Versprechen von Weite, Jugend, Unschuld, Wohlstand, Glück nicht halten kann.

Da gab es auch die frühen Maler der Wolkenkratzer, Fabriken und Straßenschluchten, die Präzisionisten Charles Sheeler, Charles Demuth, Joseph Stella, Georgia O''Keeffe, die noch das Hohelied der Moderne sangen.

Die Metropolen erforschten sie für ihre Malerei, zersplitterten sie, wie sie es bei den Kubisten gelernt hatten, setzten sie wieder zusammen, ein Amerika aus steilen Linien, scharfen Kanten, krassen Untersichten. Wo die Häuser in den Himmel wachsen, lernen die Menschen ein anderes Sehen.

Aber das Amerikanische an dieser amerikanischen Kunst interessiert die Macher in Berlin nicht. Die Selbstvergewisserung eines Landes, tastend, fragend, irrend - unwesentlich, so ihr Urteilsspruch, denn sie habe nicht zur Sprache der modernen Kunst beigetragen. So kommt sie nur am Rande vor - oder auch gar nicht, wie die Regionalisten Grant Wood und Thomas Hart Benton, wie Sozialrealist Ben Shahn.

Es ist ein einfacher Urteilsspruch, den die Chefs mit einem ebenso einfachen Trick absichern. Sie blicken »aus europäischer Sicht« auf das, was sich jenseits des Atlantiks ereignet. Aus sicherer Entfernung also, weit weg von der Gesellschaft, mit der sich die Kunst herumplagt, aus einer Entfernung, in der sich, so hätten es die Chefs gern, »die Wahrnehmung auf das Wesentliche« scharfstellt, auf die reine Ästhetik, auf das L''art pour l''art.

Da bleibt dann übrig, was nahtlos in die gängigen Avantgarden paßt, die Pop-art etwa, die Concept-art und die Minimal art, die alle in der Ausstellung ausgiebig gefeiert werden: immer noch ein Held, immer noch ein Höhepunkt, immer noch eine neue Erfindung, bis in allerjüngste Zeit. Bis zum Graffiti-Pinsler Keith Haring, zum Kitschier Jeff Koons und zum freundlichen Figurenbastler Jonathan Borofsky.

Doch diese »europäische Sicht« ist nicht klarer, sondern trüber. Sie nimmt nur wahr, was sie kennt, was sie einordnen kann, was sich auf dem internationalen Parkett behauptet hat. Sie nimmt nur Kunstmarktkunst wahr, made in the USA, aber nicht amerikanische Kunst. Und nicht Amerika.

Als die Kameras aufhörten zu surren und die Fotoapparate aufhörten zu rattern, als die Zuschauer sich zerstreuten, da legten die neun Mann vorsichtig das Bild zurück in die Kiste aus Iowa. Das Ganze war nur eine Generalprobe. Aber die Chefs hatten ihr Spektakel.

** »Amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert« bis 25. Juli imMartin-Gropius-Bau, Berlin. Vom 17. September bis 12. Dezember inder Royal Academy of Arts, London. Katalog im Prestel-Verlag; 524Seiten; 49 (Buchhandelsausgabe 118) Mark. * Mit Pollock-Gemälde"Mural« (1943).

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