BIBALO Da ist einer
Ich kenne Sie nicht«, schrieb ihm Autor Henry Miller, »aber ich bin völlig davon überzeugt, daß Sie das Beste daraus machen werden. Fangen Sie an.« Der Komponist Antonio Bibalo fing an: Er arbeitete Millers mystische Zirkus -Novelle »Das Lächeln am Fuße der Leiter« in ein Libretto um und vertonte es zu einer zweiaktigen Zwei-Stunden -Oper. Die erste Miller-Veroperung wurde vorige Woche in der Hamburgischen Staatsoper uraufgeführt.
Staatsopernintendant und Opernkomponist Rolf Liebermann kannte den Kollegen Bibalo auch nicht, als er vor zwei Jahren erstmals in der Partitur zum »Lächeln am Fuße der Leiter« blätterte. Aber nach dem Studium der ersten Notenblätter war es dem Neutöner-Freund Liebermann klar: »Da ist einer, der es verdient, aus der Anonymität herausgerissen zu werden.«
Nach langen, vergeblichen Recherchen bei deutschen und italienischen Musikern (Ergebnis: Bibalo gibt es nicht) machte Hamburgs Opernchef seinen unbekannten Komponisten als Italiener in Norwegen ausfindig: Der in Triest geborene Bibalo, 43, dessen slowakischer Großvater noch Bibalitsch hieß, war 1956 über London und Kopenhagen nach Norwegen emigriert, weil italienische Musikverleger und Operndirektoren (Bibalo: »Die kennen nur Puccini und Verdi") seiner an Alban Berg geschulten und von Béla Bartók beeinflußten Musik so wenig Gehör schenkten, daß Bibalo sich als Bar-Pianist auf einem Ozeandampfer und als Straßenkehrer durchbringen mußte.
Aber auch in Norwegen brachte Bibalos Musik bislang so wenig ein, daß der Komponist, der seit 26 Jahren fleißig Kammermusik und Symphonien schreibt, Heimarbeit annehmen mußte: Er kopierte die Noten erfolgreicherer Neutöner.
Erst als Bibalo, der 1963 in Oslo zum erstenmal hörte, wie seine Musik im Konzertsaal klingt, den poetischen Miller-Stoff als Oper aufbereitete, fand er Unterstützung. Henry Miller beriet ihn beim Werk, schrieb ihm einen Scheck aus und brachte den Komponisten bei einem dänischen Musikverlag unter. »Henry Miller«, sagt Bibalo, »war erregt und glücklich darüber, daß aus seinem schmalen Buch eine ganze Oper zu machen sei.«
Das tragikomische Musikstück, das Bibalo aus Millers schwärmerischer, eher zum Ballett als zur Opernhandlung geeigneten Erzählung vom Clown Augusto filterte, der das Glück und sich selbst sucht, fand bei dem - Neuton-Opern seit Jahren ständig konfrontierten - Hamburger Premieren-Publikum Anklang: Es applaudierte eine Viertelstunde lang. Debütant Bibalo kam aus der Kantine, wo er dem Erfolg oder Mißerfolg seiner ersten Oper entgegengetrunken hatte, auf die Bühne.
Bibalos »grundehrliche, nicht auf eine Aufführung hin komponierte Oper« (Liebermann) klang bei ihrer Uraufführung wie dodekaphonische Puccini -Musik. Die zwölftönige, schlagzeugstarke Italianità - vom Bibablo-Kollegen Maderna als »ungewöhnlich begabt komponierte Zwölfton-Romantik« gelobt - verstärkt mit Streicher-Lyrismen die schwärmerische und missionarische Tendenz der Miller-Prosa. »Insgesamt«, kritisierte die »Welt«, »neigt seine Tonsprache eher dazu, die Situationen zu illustrieren ... als sich zu eigenständiger Formkraft zu verdichten.«
Die Opernversion folgt Millers 1948 zu einem Zyklus von Zirkusbildern des französischen Malers Fernand Leger geschriebenen Erzählung mit nur geringen Abweichungen: Vor dem (aus Bibalo -Zeichnungen abgeleiteten) realistisch gemalten Bühnenbild wird Opern-Zirkus gemacht. Der Clown Augusto scheitert am Versuch, den Menschen statt des Gelächters das Lächeln zu lehren, und entrückt in der Manege, am Fuße einer Leiter sitzend, bei obligatem Geigenklang in die Meditation. Vom tobenden Publikum mißhandelt, vom Zirkusdirektor entlassen, bleibt ihm nur die Vagabondage. Nach Zwiesprache und Duett mit einer von Bibalo ("aus operntechnischen Gründen") zum Miller-Stoff hinzuerfundenen Dirne, die zu verfremdeter Musette-Musik um ein Bistro strichelt, findet der Clown (Heinz Blankenburg), was er suchte: sich selbst.
Doch der Finderlohn ist der Tod: Augusto, der im gesteigerten Lebensglück die Welt umarmen will, umarmt nur einen Polizisten - und wird von ihm erschossen.
Der Clown stirbt unter dem naturalistisch flimmernden Sternenhimmel, das Lied der Freude auf den Lippen und ein »engelhaftes Lächeln« im Gesicht. Schlußsatz der Oper: »Seltsam, er scheint zu lächeln. Ja, seltsam, er scheint zu lächeln.«
Auch die nur zu Beginn des Spiels stilsichere Inszenierung des vielgerühmten Hamburger Fernsehregisseurs Egon Monk ist im Land des Lächelns angekommen.
Komponist Bibalo
Oper statt Ballett
Bibolo-Premiere in Hamburg*
Lächeln statt Gelächter
* Heinz Blankenburg als Clown August.