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DICHTER Da sprach der Knecht zum Herrn

Der Maler, Schriftsteller und Spaßvogel Robert Gernhardt schlägt in seinem neuen Lyrikband »Lichte Gedichte« ungewohnte Töne an: Eine Bypass-Operation nötigte ihn zu einem poetischen Protokoll am Abgrund - Kalauer fehlen dennoch nicht. Von Volker Hage
aus DER SPIEGEL 32/1997

Ausgerechnet ihm muß das passieren, dem Dichter. Da sitzt der Fachmann für Herz und Schmerz plötzlich ungewohnter Kompetenz gegenüber: Herzspezialisten im weißen Kittel, die die Sache recht unverblümt anpacken. EKG, Blick ins Innerste mit dem Katheter ("Mein Herz auf dem Bildschirm!"). Befund: stummer Infarkt, die »Managerkrankheit« ("Eigentlich peinlich"). Empfehlung: drei Bypässe - und zwar schnell.

So kommt Robert Gernhardt im Frühsommer 1996 auf die »hot list« und per Dringlichkeitsstufe ("Bei besseren Werten / säh''s schlecht für dich aus, mein Guter!") in die Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim. Und er kommt, da er es nicht lassen kann, auf diese Weise zu 100 Gedichten, einem regelrechten Zyklus: »Herz in Not« - zum einen Teil »Prä-Op«, zum anderen, der Ärztekunst sei Dank, »Post-Op« skizziert.

Erstaunlich: Da steht sein Leben gewissermaßen auf des Messers Schneide, und Gernhardt protokolliert seelenruhig das Davor und Danach seiner Bypass-Operation. Er lernt mit Begriffen wie »rechtscoronarer Katheter« poetisch zu hantieren, findet andere wie »Pigtail-Katheter« reichlich abstrus ("Was soll das?") und dreht noch eine Pointe daraus: »Wer macht hier eigentlich die Witze?«

Wer hier die Witze macht? Zunächst immer noch er, der lyrische Luftikus, der fliegende Robert. Freilich: In diesem kleinen Herz-Zyklus, der den soeben erschienenen Lyrikband mit dem heiter-hellen Titel »Lichte Gedichte« beschließt, vergeht auch dem Spaßmacher der Spott*. »Das Leben hat mir / die Instrumente gezeigt«, so lautet sein »vorläufiges Fazit«. Was ihm auf diesen Seiten nicht mehr gelingt, das ist der muntere Reim, der doch sonst so vielen Gernhardt-Versen Rundung und Geschlossenheit gibt, auch für Volksnähe und - in literarisch prosaischen Zeiten - für eine gewisse poetische Exklusivität bürgt. Die neue Sammlung von Gedichten ist - nach »Körper in Cafés« (1987) und »Weiche Ziele« (1994) - der dritte sozusagen seriöse Lyrikband des in Frankfurt am Main residierenden Schriftstellers und Malers. Gernhardt, der im Dezember 60 Jahre alt wird, ist ein Multitalent von fast

* Robert Gernhardt: »Lichte Gedichte«. Haffmans Verlag, Zürich; 264 Seiten; 36 Mark.

beängstigendem Ausmaß: Ob Cartoon oder Ölgemälde, Bildgedicht oder Satire, ob Roman oder Erzählung, Schauspiel oder Gedicht - er ist überall bewandert, bewältigt alles ohne Blamage und Blessur.

Das ist in Deutschland, wo man Spezialisten liebt, ein Handicap - zumal im literarischen Gewerbe, wo die oft schwer errungene Leichtigkeit wenig gilt. Ein Lyriker gar, der es mit Witzen und parodistischen Einlagen hält, hat bei den Würdenträgern der Kritik und gar bei Akademien wenig zu lachen. Büchner-Preis für Gernhardt? Scheinbar absurd.

Dabei hat es in der deutschen Lyrik seit jeher neben Titanen wie Hölderlin oder Rilke ("zum Äußersten, fast Unmöglichen verpflichtet") jene intellektuell verspielte andere Linie gegeben, die verwinkelt von Heine über Morgenstern und Tucholsky bis zu Benn und natürlich Brecht reicht - der einst gegen die Furcht der Dichter opponierte, »aus dem Verstand Kommendes könne die Stimmung verscheuchen«. Gar mancher knüpft da heute an: Peter Rühmkorf ebenso wie Ernst Jandl, Ulla Hahn und Wolf Wondratschek - oder auch Ror Wolf mit seinen Moritaten. Jeder auf seine Art, doch alle spielerisch und kenntnisreich-gewitzt im Bewußtsein der Nachfolgeschaft.

Gernhardts Gedichte sind auch da, wo sie naiv tun und sich Kinderreimen nähern, kopfgesteuert: Das Zeitgenössische, geradezu Gegenwartsverliebte an ihnen rührt aus einer immensen Beherrschung umlaufender Töne einerseits und tradierter Muster andererseits - und deren wagemutiger Vermengung. Eine »Vermischung von hehren Inhalten und schnödem Jargon« hat das der Dichter, der auch Theoretiker ist, selbst genannt. Klugheit und Keckheit machen den unverkennbaren Gernhardt-Ton aus, der viele Formen kennt und gegeneinander ausspielt.

Das läßt sich jetzt anhand einer zweiten, noch vor den »Lichten Gedichten« publizierten Gernhardt-Edition im größeren - fast schon historischen - Zusammenhang bestaunen. Der Lyriker hat es nicht länger nötig, seine Arbeit als Pointenlieferant (etwa für die Ulknudel Otto) und TITANIC-Verseschmied zu verstecken: In einer mehr als 500 Seiten umfassenden Sammlung seiner »Gedichte« bekennt er sich zum vollen Poesiespektrum, einschließlich der Jugendsünden und Blödeleien*. Im Taschenformat wird Gernhardt-Lyrik aus 40 Jahren präsentiert - von den ersten Schülergedichten 1954 bis zum 1994 publizierten »Mäusegedicht«. Da führt einer vor, wieviel Spieltrieb und wie viele Umwege nötig sind, um zu sich selbst zu kommen.

Gernhardts Triumph: wenn Verse aus seiner Feder sich an den Wänden der Frankfurter Uni wiederfinden. Oder im STERN als »Gedicht der Woche« zu anonymem Volksgut erklärt werden wie dieser Vierzeiler: »Es sprach der Herr zum Knecht: / Mir geht es schlecht. / Da sprach der Knecht zum Herrn: / Das hört man gern.«

Ein wenig holprig im Versmaß? Nicht bei ihm, wie der Dichter im Kommentar nachweist - schließlich steht die handwerkliche Ehre auf dem Spiel. Das Gernhardt-Original lautete nämlich leicht abweichend: »Der Herr rief: Lieber Knecht, / Mir ist entsetzlich schlecht! / Da sprach der Knecht zum Herrn: / Das hört man aber gern.« Nuancen nur, auf die der Autor aber Wert legt.

Ein anderer Gernhardt-Schlager, von geradezu klassischer Vollkommenheit, ist das freche, 1972 erstmals veröffentlichte »Gebet": »Lieber Gott, nimm es hin, / daß ich was Besond''res bin. / Und gib ruhig einmal

* Robert Gernhardt: »Gedichte. 1954-1994«. Haffmans Verlag, Zürich; 544 Seiten; 36 Mark.

zu, / daß ich klüger bin als du. / Preise künftig meinen Namen, / denn sonst setzt es etwas. Amen.« Der fröhlich zur Schau gestellte Größenwahn verhinderte noch 1991 (nach einem Zeitungsabdruck) nicht, daß erboste Christen wütende Drohungen ausstießen - etwa mit Hinweis auf Paulus'' Brief an die Galater: »Gott läßt sich nicht spotten.«

Als Gernhardt ein anderes Mal die heiligste Gedichtform mustergültig bediente und zugleich beschimpfte ("Sonette find'' ich so was von beschissen"), erhielt er ebenfalls viel böse Leserpost, aus der eine Beschimpfung herausragte: »Goethe ist tot! Schiller ist tot! Klopstock ist tot! Robert Gernhardt lebt! Wozu?« Das hätte mit diesem Ingrimm fast von ihm selbst sein können.

Er ist ein populärer Lyriker, keine Frage. Die Zahl der eingängigen, ins Volksvermögen driftenden Gernhardt-Verse ("Dich will ich loben: Häßliches, / du hast so was Verläßliches") ist Legende. Sogar den Sprung in die BILD-Zeitung hat er lässig geschafft. Ende 1994 lud das Blatt ihn, den Meister des Wohlklangs, zum lyrischen Fazit einer Leserpoeten-Aktion ein, bei der endlos und kräftig gereimt worden war. Gernhardt zog sich leicht grimmig aus der Affäre, indem er nach bewährter Art dem Affen Zucker gab und sich gleichzeitig darüber lustig machte:

Der deutsche Dichter reimt nicht mehr -

so stand es jüngst in BILD.

Da griff das Volk zur Schreibfeder

und dichtete wie wild.

Schier 23tausendmal

kam Post in diesen Tagen

Durchweg gereimt: Was will die Zahl

dem Freund der Dichtkunst sagen?

Was immer deutsche Dichter schreim,

davon stürzt das Gedicht nicht eim.

Lieb Vaterland magst ruhig bleim -

fest steht und treu die Wacht am Reim.

Aber hält er den Reim nicht tatsächlich hoch? Ist er denn - Parodie hin oder her - mehr als ein Verseschmied? Hinter der Gernhardtschen Forschheit sind Selbstzweifel kaum verborgen. In seiner Lyrik finden sich immer wieder Versuche einer Standortbestimmung, wie etwa unter der Überschrift »Auch eine Ästhetik« in den - reim- und schnörkellosen - Zeilen: »Will nicht die Grenzen der Kunst erweitern. / Habe eher Angst, mich in ihr zu verlieren. / Fühlte in kleinerer Kunst mich viel wohler. / Stapf'' dennoch pfeifend querbeet durch die große.«

Ist das nur ein fauler Trick? Macht sich »der kleine dichter, mindere poet« (Jandl über Jandl) vielleicht nur klein, um größer zu erscheinen?

Auch in seinen »Lichten Gedichten« hadert und kokettiert Gernhardt mit seiner Rolle: »Der Künstler geht auf dünnem Eis. / Erschafft er Kunst? Baut er nur Scheiß?« Seinen Neid auf die von den großen Feuilletons favorisierten Kollegen stellt er schamlos aus: Mal sei Peter Handke dran, mal Durs Grünbein - »Du, mein Freund? Du wirst niemals das Thema.« (Ach nein?)

Spielerisch nähert er sich den lyrischen Ahnen: »Tu''s noch einmal, Benn« heißt ein Titel, Brecht taucht auf, und Günter Eich wird mit einer modernen Version des legendären »Inventur«-Gedichts Referenz erwiesen. Doch die eigene Poetik versteckt sich eher in Versen über Maler und deren Kunst, wie in der »Ballade von der Lichtmalerei«. Gernhardts Ratschlag: »Leg etwas in das Licht und schau, / was das Licht mit dem Etwas macht«. Die Fackel der Malerei (zu ergänzen: und der Poesie) werde weiter getragen und leuchte, »solange ein Mensch zu fixieren sucht, / was im Licht mit den Dingen geschieht«.

Das will auch der Lyriker Gernhardt, bei aller vordergründigen Bescheidenheit und allem Spaß, ganz ernsthaft erreichen: die kleinen Dinge groß zum Leuchten zu bringen. Goethes berühmter Ausruf »Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!« hat Gernhardt vor Jahren einmal skeptisch zitiert - und doch will es scheinen, als gebe er ihm klammheimlich mit dem Titel »Lichte Gedichte« auch ein wenig recht.

»Viel und leicht« heißt ein Blick in die Natur, ein Moment des stillen Glücks, »Dämmerung« eine Alltagsskizze - in solchen Gedichten hat Gernhardt sein künstlerisches Vorhaben am besten umgesetzt. Auch von der Liebe und ihren Mißgeschicken weiß er zu erzählen - vom ganz normalen Ehebruch bis hin zur Bezauberung durch ein Mädchen im Speisewagen. Und dabei gelingt ihm dann wie nebenbei ein Grundsatzgedicht (Titel: »Eigentlich nicht"), so schlicht und schön, daß selbst der gewiefteste Interpret in der FAZ-Rubrik »Frankfurter Anthologie« dem kaum etwas hinzuzufügen hätte:

Das nennt man nicht eigentlich suchen,

wenn man schon weiß, wo was ist.

Das nennt man nicht eigentlich finden,

wenn man es gar nicht vermißt.

Das nennt man nicht eigentlich lieben,

wenn man den Liebling erpreßt.

Das nennt man nicht eigentlich halten,

wenn man ihn fallenläßt.

Dann wieder einer der Kalauer, von denen Gernhardt auch jetzt nicht lassen kann: »Das Eichhorn hüpft von Grab zu Grab, / ein Glück, daß ich noch keines hab.« Das ist so eine Stelle, die sich gleich ins Gedächtnis schmeicheln will. Gerade darum gibt Gernhardt noch eins drauf: »Heute noch Eichhorn, morgen schon Leichhorn.« Nur die Vermengung aller Stile scheint es ihm möglich zu machen, den Dichter zu geben - und ihn glaubwürdig und fürs Publikum erträglich zu verkörpern.

»Lichte Gedichte": Nicht leichte, kleine Gebilde sind das, sondern helle, kluge, klare Verse. Die Strophen aus dem Krankenhaus fügen sich dem Gemisch wie selbstverständlich ein, da ist kein Bruch. Der lyrische Kosmos des Robert Gernhardt hat immer alles enthalten: das Schwere und das Leichte, das Dunkle und das Lichte.

Und er selbst gibt sich und dem Leser im »Klinik-Lied« mit auf den weiteren Weg: »Beim Aufdernaseliegen / gib bitte nicht den Heitern - / versag nicht auch beim Scheitern.«

* Robert Gernhardt: »Lichte Gedichte«. Haffmans Verlag, Zürich;264 Seiten; 36 Mark.* Robert Gernhardt: »Gedichte. 1954-1994«. Haffmans Verlag,Zürich; 544 Seiten; 36 Mark.

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