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RAFFALT Dame im Herzen

aus DER SPIEGEL 43/1966

Für den Privatbankier Ignaz Sperling ist es »eine schöne bayrische Blamage«. Bayernkönig Ludwig der Löwe winkt gelassen ab: »Das ist doch nichts Neues. Das liefern wir doch dauernd.«

Die majestätischen Worte fallen in einer bayrischen Komödie, die das Münchner Residenztheater am letzten Sonntag zum erstenmal spielte. Titel: »Das Gold von Bayern«. Autor: der Passauer Papstwahl-Dramatiker Reinhard Raffalt, 43 ("Der Nachfolger").

Das komische Stück belebt, geschickt und gescheit, bayrische Vergangenheit und einen historischen Bankrott: Im Jahre 1872 hatte die Münchner Schauspielerin Adele Spitzeder mit einer Schwindelbank 30 000 Gläubigern fast zehn Millionen Gulden abgewonnen und fidel vertan.

Raffalt war der geldgewandten Künstlerin 1960 in einem Essay des »Münchner Merkur« begegnet. Während er in Rom orgelte, vom Heiligen Stuhl reportierte, fürs Auswärtige Amt Schuhplattler nach Asien leitete und den »Nachfolger« schrieb, trug er die Dame im Herzen.

Den »Nachfolger« zog Raffalt damals vor, weil er »in einem Milieu spielte, wo ich mich wirklich auskenne«. 1962 sagte er dem AA ade und drang »langsam ins Münchner Milieu ein« - Voraussetzung für »Das Gold von Bayern«.

Denn Raffalt plante keine »sozialkritische Satire der siebziger Jahre«, sondern etwas »Zeitgenössisches": »Alle möglichen Spielarten des bayrischen Charakters« sollten ans Rampenlicht kommen - vor allem die »abstruse Mischung von guten und schlechten Seiten«. Außer der Spitzeder sind die Personen »frei erfunden« (Raffalt).

Die historische Spitzeder, Produkt einer Schauspieler-Ehe, hatte keine Fortüne in der darstellenden Kunst. Sie ging in die Schweiz und wurde aus ihr bald verwiesen - wegen ungewöhnlicher Finanzmanöver.

Wieder in München, eröffnete die Spekulantin ein Unternehmen, das alsbald zur Kategorie der »Dachauer Banken« oder »Sandbanken« gezählt wurde: Sie lockte Geldgeber mit extrem hohen Zinsen, die sie nur zahlen konnte, weil immer mehr Kunden kamen.

Die Spitzeder erwarb bald ein Palais, hängte fromme Sprüche an die Wand und ein großes Goldkreuz um den Hals. Eine Wallfahrt sämtlicher Spitzeder -Gläubiger nach Altötting konnte das Erzbischöfliche Ordinariat verhindern.

Die Schwindelbank brach, als die Münchner Finanzbehörden 60 Spitzeder -Kunden überredete, ihre Depositen abzufordern. Bayern geriet in die Nähe eines Staatsbankrotts, verarmte Gläubiger entleibten sich, und die Spitzeder mußte ins Zuchthaus.

Raffalt reizte die »magische Kraft« der Frau: »Die Leute haben überhaupt nicht zu rechnen angefangen.« Zu den Kunden, erforschte der Autor, war sie »fetzengrob«. Bayrische Reaktion: »Wenn jemand so grob ist, dann meint er es ehrlich.«

Auf der Bühne erlebt die Spitzeder nun bessere Zeiten - etwa die von 1830. Ihr König, Ludwig der Löwe, ist Damen gut und erinnert an Ludwig I., der seine Schönheiten malen ließ und den die Tänzerin Lola Montez um den Thron brachte.

Auch der Spitzeder-Lebenslauf ist Lieb und Lust. Der König bestellt die Bankhalterin zur Audienz, und wenig fehlt zu einer galanten Romanze. Gleichwohl muß der Staatsmann den Mann unterdrücken und- die schöne Betrügerin verhaften lassen.

Da aber stehen Bayerns Bauern auf und rütteln an Ludwigs Thron. Der bedrängte König tilgt 'die Schulden der Spitzeder und läßt sie vom Gefängnis ins Damenstift St. Florian ziehen.

Raffalt, seit September dramaturgischer Berater am Residenztheater, ist in das Münchner Milieu tief eingedrungen. Denn seine Biedermeier-Bayern äußern sich häufig bitter.

»Wo man hintritt«, sagt einer, »knirscht ein Depp.« Und ein anderer über einen Staatsdiener: »Er ist ein Bayer auf dem Pulverfaß. Falls es explodiert, hat er sich vorgenommen, schwerhörig zu sein.«

Raffalt-Stück »Gold von Bayern"*

»Schöne bayrische Blamage«

Dramatiker Raffalt

»Wo man hintritt, knirscht ein Depp«

*Eva Vaitl und Axel von Ambesser in der Münchner Uraufführung.

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