
Geschlossene Gesellschaft Ich kann nicht aufhören zu rauchen


Rauchen: Sich Sorgen machen und die eigene Ohnmacht akzeptieren.
Foto: Julian Stratenschulte/ dpaWas macht Corona mit dem Leben? In dieser Reihe schreiben Künstler, Autorinnen und Denker über die großen Fragen in der Krise.
Videostatements zu Corona. Enttäuscht ziehe ich an meiner Zigarette. Ich hatte ja wirklich nicht viel verlangt. Solche Leute hatten doch auch in der Vergangenheit nie etwas gesagt, das mir irgendwie weitergeholfen hätte. Ich habe ihnen weder eine treffende Analyse abverlangt, noch nur einen Hauch von Empathie erwartet. Es würde mir völlig ausreichen, wenn sie sich einfach überhaupt nicht zur aktuellen Situation äußern würden.
Jedenfalls kann ich so beim besten Willen nicht aufhören zu rauchen.
Aber fangen wir mal ganz von vorne an: Ich habe es versucht. Der Grund liegt auf der Hand: Die Beatmungsgeräte werden knapp. Jetzt erinnern mich täglich die Push-Benachrichtigungen meiner Nichtraucher-App an meinen Misserfolg. Ich zweifle an ihrer Seriosität, aber sie behauptet, dass sich mein Husten und meine Kurzatmigkeit mittlerweile um zwölf Prozent reduziert hätten. Ich wäre nun 17 Tage, 13 Stunden und 43 Minuten Nichtraucher und hätte 110,44 Euro gespart.

Dita Vollmond/ HMB-Media/ imago images
Danger Dan, bürgerlich Daniel Pongratz, Jahrgang 1983, ist Rapper und Mitglied der Antilopen Gang. Als die Coronakrise kam, war die Gruppe gerade auf Tour für ihr neues Album "Abbruch Abbruch", das in den Top Ten der deutschen Charts landete. Vor Kurzem veröffentlichte Danger Dan auf YouTube den Song "Nudeln und Klopapier" , in dem er Hamsterkäufe thematisiert.
Noch sieben Tage, bevor die App anfing zu zählen, war ich mit der Antilopen Gang auf Tour. Wir spielten die Lieder aus unserem neuen Album "Abbruch Abbruch" und ein großes Banner mit dem Albumtitel prangte - rückblickend zynisch - über den Bühnen, die wir betraten. Jeden Abend sprang ich ins Publikum. Stagediven. Ich ließ mich von Hunderten ungewaschenen Händen durch die Hallen tragen. Den Begriff "Social Distancing" kannten wir noch gar nicht und die Idee, nun mit dem Rauchen aufzuhören, lag in weiter Ferne. Ich hatte einfach andere Sorgen.
"Abbruch Abbruch" als sich selbst erfüllende Prophezeiung
Sogenannte Besorgte Bürger zum Beispiel. Zum Tourauftakt distanzierte sich ein stammelndes AfD-Mitglied der Stadtverordneten Versammlung Cottbus in einem blamablen Videostatement von unserem Konzert in seinem Kaff. Dass mir wenige Tage später dann ganz anders gestimmte Videos Fremdschamesröte ins Gesicht treiben sollten, hätte ich nicht ahnen können.
Und plötzlich war dann alles anders. Unser letztes Konzert in Winterthur fühlte sich falsch an. Ein Drittel der Leute, die Eintrittskarten gekauft hatten, kam erst gar nicht. Das Konzert am nächsten Tag in Bern wurde verboten. Wir hätten es aber auch selbst nicht mehr verantworten können. "Abbruch Abbruch" wurde zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Zuhause angekommen begebe ich mich freiwillig in Isolation. Die folgenden Tage verbringe ich überwiegend mit Klavierspielen und damit, mir rauchend Sorgen zu machen. Ich finde es völlig angebracht, sich zu sorgen. Von mir aus um die eigene Gesundheit, um die der Eltern, um die Freunde, die nun alle arbeitslos sind, um die Frauen, die nun aus Kapazitätsgründen von den Frauenhäusern abgewiesen werden, um Moria, als Sinnbild dafür, wie schnell das Leid anderer Menschen egal wird, wie scheinheilig man von 'Social Distancing' spricht, wenn Tausende von Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht werden.
Wie soll ich mich an den ethischen Diskussionen über den Zeitpunkt der Rückkehr zur "Normalität" beteiligen, wenn in der Debatte solche Orte einfach ausgeklammert werden? Die Normalität war doch schon vorher besorgniserregend gewesen. Vielleicht gehört zu ihr auch bald die sich ankündigende Wirtschaftskrise, die jetzt schon die Ärmsten der Armen trifft und deren Ausmaß noch nicht abzusehen ist. Es wird scheiße. Niemand kann genau sagen wie scheiße es wird, aber alle Vorzeichen stehen auf "sehr scheiße".
Keiner muss gleich in Panik verfallen, aber man darf sich durchaus Sorgen machen. Unangebracht ist es, so zu tun, als läge in dieser Scheiße tatsächlich noch irgendetwas Positives, in die Richtung: Jetzt müssen wir uns alle entschleunigen und das tut uns ja so gut. Wenn sich nächstes Mal jemand in meinem Umfeld ein Bein bricht und wochenlang ans Bett gefesselt ist, versuche ich, mit demselben Argument Trost zu spenden.
Nein, ich finde es anständiger, sich Sorgen zu machen und die eigene Ohnmacht zu akzeptieren. Lediglich meine Form, mich zu sorgen, nämlich ganz viel zu rauchen, erscheint mir angesichts dieser Lungenkrankheit überholt.
Ich versuche es also. Zumindest installiere ich mir schon mal die besagte App und lege motiviert meine Zigaretten in eine Schublade.
Eine Pushnachricht empfiehlt mir, mich abzulenken. Internet. Facebook ist zurück, toll, schon fünf Minuten geschafft. Überall Videostatements. Xavier Naidoo driftet offenbar in eine Psychose ab, das war knapp, nochmal fünf Minuten geschafft. Cro sitzt mit seiner Pandamaske in einer balinesischen Villa und stellt fest, ein Virus aus der Zukunft sei gekommen, um uns dabei zu helfen, uns zu entschleunigen. Er ist zuversichtlich, denn jetzt müssen wir uns alle auf sogenannte wahre Werte zurückbesinnen. Dass er diese dann auch noch erklärt, ist demaskierend: Es ginge ihm insbesondere um seine persönliche Freiheit, aber auch darum, verspielt und verträumt bleiben zu können. Zumindest scheint in seiner Traumwelt samt balinesischer Villa kein Platz zu sein für einen globalen Blick auf die Tragödie, in die die Menschheit gerade hineingeraten ist.
Als ich wieder zu mir komme, ist die Schublade offen, ich sitze auf dem Sofa und habe eine Zigarette im Mund. Auf der App steht: zwölf Minuten.