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ROBOTER Das Biest

aus DER SPIEGEL 18/1964

Schrecken packt die Besucher der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (US-Staat Maryland), wenn er mit sanftem Surren auf sie zukommt. Er gleicht einer überdimensionalen Hutschachtel aus Maschendraht. Mit einem ausgestreckten Stahlarm und mit unsichtbaren Fühlern tastet er sich durch Korridore und Büros, jedem Aktenschrank, jeder herumstehenden Coca -Cola-Flasche und jeder Sekretärin einstweilen sorgsam ausweichend.

Der unheimliche Roboter ist friedfertig, so jedenfalls versichern seine Konstrukteure, die Physiker der Johns -Hopkins - Forschungsgruppe »Anpassungsfähige Maschinen« ("Adaptive Machines"). Einziger Lebenszweck des 100 Pfund schweren elektronischen Apparats ist, sich ohne Zutun seiner Hersteller am Leben zu erhalten.

»Mobile Automaton« - so der offizielle Name der elektronischen Hutschachtel - weiß in der Tat alle Probleme des Roboter-Seins in seiner Instituts-Umwelt zu meistern.

Geht der Energie-Vorrat in seinen zwölf Silber-Kadmium-Akkumulatoren zur Neige, tastet der Roboter sich an den Wänden entlang, bis seine Sensoren eine Steckdose erfühlt haben. Zwei Kontaktstäbchen in seinem Arm stellen dann die Verbindung her. Und wenn die Batterien wieder voll sind, wandert die Kreatur aus Blech und Draht planlos zu neuen Korridoren.

Acht kleine Stummelfüße bewahren den rollenden Roboter vor jähem Treppensturz. Kommt er einer Treppe zu nahe, dann fällt einer der Stummelfüße um ein Stück herunter und löst im elektronischen Gehirn den Befehl zur Umkehr aus. Auch alle Unebenheiten auf den Roboter-Wanderwegen werden mit diesen Stummelfüßen auf mögliche Gefahren abgetastet.

Panik überfällt den Schlurf-Automaten, sobald er sich - in einem Treppengeländer oder in herumhängenden Kabelschnüren - unversehens verheddert. Sein sonst so harmonisches Surren wird zum häßlichen Schnarren, wenn er dann hektisch vor- und zurückrollt, seinen Arm schüttelt und wie ein Rollschuhläufer eine Pirouette dreht, um sich aus der verfänglichen Situation zu befreien.

Das Hutschachtel-Kompendium aus Transistoren und Relais besitzt annähernd die Intelligenz einer Ameise. Die Wissenschaftler betrachten es als Vorläufer einer neuen Generation von elektronischen Geräten, wie sie in naher Zukunft beispielsweise zum Abtasten des Meeresbodens oder der Mondoberfläche nützliche Dienste leisten sollen.

Der rollende Automat, der sich regelmäßig nach achtstündiger Tageswanderung raumsparend in einer Ecke zur Ruhe stellt, wird noch fortlaufend verbessert. Demnächst wollen die Ingenieure ihn mit elektronischen Augen ausrüsten, die ihm die Suche nach batterie-füllenden Steckdosen noch erleichtern und seinen ziellosen Büromarsch vollends sicher machen sollen.

Freilich, so sicher sich die Wissenschaftler vor ihm fühlen können, manche von ihnen wünschen den elektronischen Zauberlehrling auch bei Tage lieber in die Ecke.

»Wenn die Angestellten des Instituts ihn ... heransurren hören«, so berichtete vorletzte Woche die »New York Herald Tribune«, »werfen sie schnell ihre Tür ins Schloß. Sie möchten nicht, daß er in ihr Büro geschlurft kommt.« Das leise Unbehagen der Johns-Hopkins-Wissenschaftler wird auch in dem Rufnamen deutlich, den sie dem elektronischen Eindringling beilegten: Die Physiker nennen ihn »das Biest«.

Wander-Roboter »Mobile Automaton«

Leises Unbehagen

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