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VERLAGE Das Ende der Fahnenstange

Turbulenzen beim Zürcher Haffmans-Verlag: Der langjährige Vertriebsleiter geht, und ein wichtiger Geldgeber droht abzuspringen.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Bescheidenheit war seine Sache nie. Als Gerd Haffmans sich 1982 vom Schweizer Diogenes-Verlag trennte und unter seinem Namen ein eigenes Unternehmen gründete, versprach er, eine neue literarische Generation vorzustellen, die »die Führungsrolle im gegenwärtigen deutschsprachigen literarischen Schaffen« übernehmen sollte. Autoren wie Robert Gernhardt, Eckhard Henscheid und Hans Wollschläger standen ihm zur Seite.

Das mit der Führungsrolle klappte nicht ganz, doch immerhin hat Haffmans, 53, den Verlag bis heute über die Runden gebracht. Gelegentlich geriet sein Verlagsschiff ins Schlingern, etwa als 1992 die Bilanz durch die Taschenbuchproduktion zu stark belastet wurde. Immer aber stellte sich rechtzeitig ein Geldgeber ein, der Gefallen am Wirken des Verlegers und am Glanz des kleinen, aber feinen Verlags mit dem Raben als Wappentier fand.

Seit Mitte vergangener Woche ist die Welt im Zürcher Steinfels-Areal, wo das Unternehmen seit 1995 seinen Sitz hat, nicht mehr in Ordnung. Völlig überraschend wurde dem Vertriebs- und Werbeleiter Peter Haag, 37, einem bedächtigen und qualifizierten Strategen, der seit zwölf Jahren im Haus ist und an der positiven Bilanz im Geschäftsjahr 1996 wesentlichen Anteil hat, der Stuhl vor die Tür gesetzt. »Mich hat das kalt erwischt«, sagt Haag, der - plötzlich ganz förmlich per »Sie« - schriftlich gebeten wurde, seinen Schreibtisch noch am selben Tag zu räumen.

Mehr noch als die Trennung von Haag könnte für den Zürcher Verlag die damit einhergehende Verärgerung eines Frankfurter Geldgebers zum Problem werden. Der Geschäftsmann Thomas Eimer, 51, hat Haffmans Anfang 1995 ein langfristiges Darlehen in Höhe von einer Million Schweizer Franken eingeräumt, er wäre sogar bereit gewesen, daraus - zusammen mit Haag - eine Beteiligung zu machen. Die Gespräche darüber waren weit gediehen, Haag hatte im Vertrauen auf die anstehende Beteiligung das Arbeitsverhältnis vorsorglich von sich aus gekündigt. Doch eine endgültige Antwort auf das Angebot blieb beharrlich aus.

Eimer, der dem Verlag zwischenzeitlich noch einen weiteren Kredit zur Verfügung stellte, beklagt eine seit längerem mangelhafte Kommunikation und verspätete Zinszahlungen. Der Rausschmiß von Haag, der auch das Ende der Beteiligungspläne bedeutet, hat ihn verärgert: Gleich am nächsten Tag schaltete er einen Schweizer Anwalt ein, um prüfen zu lassen, ob eine vorzeitige Kündigung des bis 1999 laufenden Darlehens möglich ist: »Die sollen begreifen, daß das Ende der Fahnenstange erreicht ist.«

Verleger Haffmans in Zürich versteht die ganze Aufregung nicht. Von einer Krise könne »überhaupt nicht« die Rede sein, sagt er. »Der Verlag steht hervorragend da.« Für ihn, einen Mann der raschen Entschlüsse, der auch gleich noch einer jungen Lektorin fristlos kündigte, ist das alles »eher ein Generationskonflikt«. Zwar habe er eine Teilhaberschaft Haags durchaus erwogen, doch ihm nicht zusätzlichen Einfluß auf das Programm zugestehen wollen. Den Verdacht, daß ihn dabei Furcht auch vor Machtverlust geleitet habe, weist der Verleger von sich.

Hinter sich weiß Haffmans seinen zweiten großen Geldgeber: Jan Philipp Reemtsma, der zu einem Viertel am Unternehmen beteiligt ist - und die schwarzen Zahlen des vergangenen Jahres, die zum großen Teil auf Sammelverkäufe an Buchversand-Unternehmen zurückgehen: So wurde allein eine Shakespeare-Ausgabe fast 40 000mal verkauft.

Solche Aktionen, besonders aber Ramschverkäufe, schätzen die Gegenwartsautoren nicht besonders. Auch wegen des »unberechenbaren« Umgangs mit seinen Büchern fühlt sich der Schriftsteller Henscheid ("Die Vollidioten") dem Haus nur noch vage verbunden. Sein nächstes Buch wird bei Reclam erscheinen. Henscheids Kollege Wollschläger ("Herzgewächse") fühlt sich bei Haffmans ebenfalls nicht mehr gut aufgehoben. Das Verhältnis sei abgekühlt, wobei er dem Verleger persönlich gegenüber immer noch die »alten freundschaftlichen Gefühle« habe.

Jeder literarische Verlag lebt von und mit seinen Autoren - das gilt zumal für ein Haus wie Haffmans, das bei seinem Publikum zuweilen Kultstatus erreichte, indem Verleger und Autoren nach außen fast wie eine Einheit wirkten. Die Schriftsteller schauen daher mit Bangen auf die Turbulenzen und hoffen, daß der Krach mit Haag und der Konflikt zwischen Eimer und Haffmans den Verlag nicht in finanzielle Bedrängnis bringen werden.

Vor allem der Allroundkünstler Robert Gernhardt ("Wörtersee") wünscht, daß es sich nicht um eine Krise, sondern »ein Kriseln« handelt. Mit ein wenig Pathos sagt er: »Ich brauche diesen Typus von Verlag.«

Im Herbst wird bei Haffmans ein neuer Lyrikband von ihm erscheinen. Hinter dem fröhlichen Titel »Lichte Gedichte« verbergen sich freilich Verse mit finsterer Erfahrung: Gernhardt berichtet darin von einer bedrohlichen Herzerkrankung.

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