Das phallische Maß aller Dinge
Marielouise Janssen-Jurreit, 35, aktives Mitglied der Frauenbewegung, veröffentlicht in diesen Tagen bei Hanser das historisch-theoretische Buch »Sexismus. Ober die Abtreibung der Frauenfrage«.
Der Phallus als der »Signifikante ohnegleichen«, wie ihn der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan beschwört, entmachtet sich also selbst -- ganz ohne Frauenrevolution; von einer elektrisch betriebenen Wurstsäge geköpft, fällt er vom Körper des Helden -- zielgerade in Richtung Öffentlichkeit.
»Meine Irrationalität«, rationalisiert der italienische Regisseur Marco Ferreri seine Film-Idee, »ist eine Irrationalität aus Liebe zu anderen.« Das demonstrierte er bereits in seinem früheren Werk, dem »Großen Fressen«- mit einem großen Getöse explodierender Därme und der geilen Genußsucht alternder Männer, die sich in den Tod wie in eine Delikatesse reinschlemmen.
Feirreri hat diesen neuen Film über eine scheiternde Paarbeziehung, die mit der Selbstkastration des Helden endet, so angelegt, daß Kritiker beiderlei Geschlechts sich dem Zwang zu geschlechtlicher Überparteilichkeit enthoben fühlen können. Dabei wollte er eigentlich eine Frauengeschichte erzählen. »Aber eine Frau, so wie sie ist, was ist das?« Deshalb hat er doch lieber einen über sich und
die Frauen monologisierenden Mann gewählt, um seine Überzeugung vom unaufhaltsamen Untergang der Institution des Paares zu inszenieren.
Gérard (Gérard Depardieu) ist Ingenieur in einer petrochemischen Fabrik, die durch einen Arbeitsstreik stillgelegt ist. Seinen Sohn -- einen speckwulstigen überfütterten Säugling -- zieht er allein groß, bis eine Affäre mit der Werks-Kindergärtnerin beginnt. Valérie (Ornella Muti) entscheidet sich spontan für Gérard.
Ihr Freund (Michel Piccoli), ein verlebter Playboy. der eine intelligente, fast feministische Frauenphilosophie mit seiner Frau-als-Spielzeug-Praxis lässig-liberal verbindet, verhält sich tolerant und produziert Apercus über Abschied und Regen.
Gérard fühlt sich bedroht von Valéries Fürsorge gegenüber seinem Sohn. Seine mühsam aufgebaute Vater/Mutter-Funktion wird durch ihre Anwesenheit sofort in Frage gestellt. Valerie und seine getrennt von ihm lebende Ehefrau führen ihm aufdringlich vor, daß eine Frau jederzeit einem Vater überlegen ist an einfühlsamer madonnenhafter Mütterlichkeit.
Seine große Zärtlichkeit erschreckt das Kind. Hilflos brüllt er etwas über die Wichtigkeit des Samens und .Fleisch von meinem Fleisch«. Er möchte mehr über Valerie erfahren und bricht ihren Koffer auf, was sie als Vertrauensbruch empfindet.
Der junge Gérard Depardieu spielt mit imponierender Eindringlichkeit sexuelle Barbarei, selbstbezogene männliche Sensibilität und frauenvernichtende Brutalität. Er beherrscht mit seinem muskulös-aggressiven, in seiner Nacktheit völlig ungenierten und hemmungslosen Körper die Leinwand, daß seine Partnerinnen optisch weggequetscht und eingeklemmt erscheinen. Er koitiert im Rhythmus eines Preßlufthammers und mit dem weggetretenen Gesichtsausdruck eines Fußball-Fans. Seine Super-Potenz und die Impotenz der Trabantenstadt-Architektur, in der sein Appartement liegt, bilden eine Zwangseinheit -- Ausdruck einer sterilen Machismo-Kultur, in der es um den längsten, härtesten, stärksten Schwanz geht, das phallische Maß aller Dinge.
Die Endlösung des Paar-Problems, die Ferreri gewählt hat, spekuliert auf den Schock, auf die publikumswirksame Botschaft vom Herrn, der seinen Penis abschneidet. An einer Stelle des Films schaltet Gérard den Farbfernseher ein, und prompt erscheint eine aggressive Feministinnen-Demonstration. Daraufhin macht ihm seine Freundin Vorhaltungen, daß er zu wenig zärtlich und zu sehr auf seinen Penis fixiert ist.
Während in den 50er Jahren unser Familienminister Wuermeling räsonierte, daß Frauenfreiheit in letzter Konsequenz im Uranbergwerk in der Ostzone ende, führt sie nunmehr direkt zur Entmannung.
Ferreri hat seinen Film bis zur Unglaubwürdigkeit symbolisch überfrachtet. Gérard hat eine komplette Ausstattung an Virilitätsattributen mitbekommen. Er fährt ein blitzendes Motorrad; der Sohn hat natürlich bereits eine Spielzeugpistole, und der Vater baut ihm zusätzlich eine Riesenkanone aus Sperrholz. Die Kastration wird thematisch an mehreren Stellen vorbereitet. Gérard schneidet sich in Hand und Finger und zwingt Valerie, das Blut aus seinen Verletzungen zu lecken.
Je deutlicher und differenzierter Gérard sich entwickelt, desto verschwommener und gesichtsloser wird seine Partnerin. Diese Valérie, die sich nach zehn Sekunden Bekanntschaft an den Busen fassen, mit »Püppchen« anreden läßt, die gehorsam leckt, was er ihr in den Mund steckt, blutende Finger, seinen Penis oder ein mit Stachelwülsten besetztes altes Präservativ, die all diese Bemächtigungsakte passiv hinnimmt -- ist das die gefährliche, sich emanzipierende Frau, die umgelernt hat und den Mann in einen Rollenkonflikt hineintreibt, wie Ferreri behauptet?
Ein bißchen unglaubwürdig, diese Geschichte. Die Kastration Gérards scheint nämlich psychologisch gar nicht im Zusammenhang mit Emanzipation zu stehen, sondern eher jenen Kultbandlungen zu ähneln, in denen sich die Priester der Galli entmannten oder die Hindu-Priester sich den Phallus abschneiden, um der mütterlichen Göttin ähnlicher zu werden.
Dafür spricht auch, daß Ferreri darauf besteht, nur eine bestimmte Graphik für die Filmwerbung zu verwenden. Gérards Kopf bildet das Scham-Dreieck in einem Frauen-Akt, den Mund schmerzvoll geöffnet. Orgasmus-. Geburts- oder Todesschrei in die Traumstille des Uterus? Ein hervorragend photographierter Film über ein Männerproblem, der Frauen in Wut und Vergewaltigungsängsten zurückläßt.