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Subventionen »DAS THEATER IST VERROTTET«

Die Sparpolitik der Städte fordert das erste prominente Opfer unter den deutschen Bühnen: In dieser Woche soll das Berliner Abgeordnetenhaus die vom Senat angeordnete Schließung des Schiller Theaters bestätigen. Schon jetzt droht weiteren Bühnen die Abwicklung. Besonders gefährdet: die hoch subventionierten Opernhäuser.
aus DER SPIEGEL 35/1993

Das Bild hat symbolische Kraft: Auf der Bühne des Berliner Schiller Theaters erklimmen dunkle Gestalten eine steile Treppe. Kaum sind sie oben, wird ihnen der sofortige Abstieg befohlen.

Vergebliche Mühe. Regisseur Einar Schleef, Mythologe des deutschen Theaters, probt sein »Faust«-Projekt. Die Premiere ist für Mitte Oktober angesetzt. Doch wird es dazu kommen?

An diesem Donnerstag steht das Schicksal des Schiller Theaters auf der Tagesordnung des Berliner Abgeordnetenhauses: Ein Beschluß des Senats zwingt die Parlamentarier zur womöglich folgenreichsten kulturpolitischen Entscheidung der Nachkriegszeit. Geht es nach dem parteilosen Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, so werden die »Staatlichen Schauspielbühnen« (Schiller Theater, Werkstatt und Schloßpark Theater) unverzüglich abgewickelt.

Allen Protesten gegen eine Schließung der einst so angesehenen Theater kann der Senat nur rote Zahlen entgegenhalten: Mit 41,3 Millionen Mark pro Jahr belasten die Staatlichen Schauspielbühnen derzeit die Landeskasse, und das bei einem Fehlbetrag von über sieben Milliarden Mark für 1994. Eine Liquidierung der Staatlichen Bühnen wäre da nur von symbolischem Wert, käme aber einem Dammbruch gleich: Weitere Schließungen sind plötzlich denkbar.

Tatsächlich hat der Kulturkampf ums Schiller Theater längst auf andere Bühnen übergegriffen. Roloff-Momin analysiert finster: »Hier stehen jetzt noch alle um die brennende Hundehütte Schiller Theater rum und sehen nicht, daß auch die Scheune brennt.«

Eine Ost-Berliner Bühne, etwa das Maxim Gorki Theater, könnte als nächste betroffen sein. Besonders gefährdet sind auch die drei Berliner Opernhäuser: Deutsche Oper, Linden-Oper und Komische Oper verschlingen die Hälfte der Zuschüsse für die Staatstheater, nämlich mehr als 200 Millionen Mark im Jahr. Götz Friedrich, 63, Intendant der Deutschen Oper, will Etatkürzungen nicht mehr hinnehmen: Die Politiker sollten endlich damit aufhören, »die Kultur als Sparschwein zu betrachten« (siehe Seite 177).

Zur Disposition steht das subventionierte Theater schlechthin. Begrüßt wird dieser Trend nur von privaten Produzenten wie Friedrich Kurz, der Berlin einmal zur Musical-Hauptstadt Deutschlands machen möchte.

Die Zukunft des Schiller Theaters liegt vorerst in den Händen der Politiker. Während die SPD den Senatsbeschluß vom Juni nach wie vor trägt, regt sich bei den Berliner Christdemokraten Widerstand. Uwe Lehmann-Brauns, kulturpolitischer Sprecher der Fraktion, will das Theater retten und hat dabei angeblich »die Hälfte« der CDU-Parlamentarier hinter sich. Eine Mehrheit gegen die Auflösung der Staatlichen Schauspielbühnen käme so allerdings auch noch nicht zustande.

Ob das Abgeordnetenhaus schon am Donnerstag abstimmen wird, scheint fraglich. Für eine Vertagung sprechen zwei Gründe: *___Am 23. September wird in Monaco über die ____Olympia-Bewerbung Berlins entschieden. Nachrichten über ____einen massiven Kulturabbau kämen höchst ungelegen. *___Ein langsames Ausbluten des Theaters könnte noch vor ____der endgültigen Entscheidung die letzten Reste von ____Protest verstummen lassen.

In mehr als 40 Nachkriegsjahren sind die Zuschüsse für das deutsche Subventionstheater stetig gestiegen, während die Kasseneinnahmen stagnieren. Intendanten haben es inzwischen mit sechs Tarifsystemen und sechs Gewerkschaften zu tun. »Das deutsche Theatersystem ist verrottet«, meint Gerhard Ahrens, Künstlerischer Direktor des Schiller Theaters.

Der Todeskampf dieser Bühne hat immerhin eines bewirkt: Seit Jahren wird erstmals ernsthaft über Reformen diskutiert. In einem Acht-Seiten-Papier wagt sich die Leitung des Schiller Theaters auf bislang verwehrtes Terrain: Die Techniker sollen, so der wichtigste Vorschlag, auf ihren Schichtdienst verzichten und im sogenannten geteilten Dienst arbeiten.

Bisher kamen beispielsweise die Bühnenarbeiter morgens zur Probe und standen, nach kurzer Aufbauarbeit, den Rest ihres Acht-Stunden-Tages nur noch in Bereitschaft. Den Abbau der Kulissen übernahm dann eine zweite Schicht. Bei geteiltem Dienst darf der Intendant die Arbeiter in der Ruhezeit nach Hause schicken. Allein das Schiller Theater könnte so 32 Stellen sparen, immerhin knapp zwei Millionen Mark im Jahr.

Doch diese Planspiele beheben nicht jenes Hauptproblem des Subventionstheaters, das Treppen-Steiger Schleef letzte Woche so beschrieb: »Man muß sich hinsetzen, es wird dunkel, und dann fängt die Langeweile an.«

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