Debatte um Georg Herolds "Ziegelneger" Rassismus braucht man nicht mit Humor zu nehmen

Ein Kommentar von Elke Schmitter
Ist das Bild eine Zumutung oder bloß eine sarkastische Provokation? Wie verletzend Georg Herolds Gemälde "Ziegelneger" tatsächlich ist, sollte nicht die weiße Mehrheitsgesellschaft entscheiden.

"Der Ziegelneger" und die "Mohrenstraße" heißen die aktuellen Schau- und Schlachtplätze in der Rassismusdebatte. Der eine bezeichnet eine bemalte Leinwand im Frankfurter Städel-Museum von Gerold Herold, 1981 entstanden, das andere eine Straße in Berlin-Mitte, die ihren Namen gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt. Das Bild ist seit einer Woche in der Diskussion, die Mohrenstraße seit einigen Jahren. 

Das Herold-Werk in der Abteilung "Kunst der Gegenwart" des Städel, auf dem ein dunkelhäutiger Mann von einer fratzenhaften Gestalt in ebensolcher Gesellschaft mit einem Ziegelstein beworfen wird, sei "eine Zumutung", postete eine Besucherin auf Instagram, der Titel "offenkundig rassistisch". Die Mohrenstraße wiederum gilt ihren Gegnern als "unerträglich", eine "kolonialistische Wortschöpfung"; sie fordern eine Umbenennung. Die BVG haben das schon getan, der gleichnamige U-Bahnhof wird demnächst Glinkastraße heißen .

Beide Debatten beziehen ihre aktuelle Energie aus dem Polizistenmord in Minneapolis an George Floyd (25.5.) und den weltweiten Anti-Rassismus-Protesten im Anschluss, in Deutschland noch einmal befeuert von der Polemik der "taz"-Kolumnistin Hengameh Yaghoobifarah, welche die Polizisten als Zunft in einer besseren, nachkapitalistischen Zukunft auf die Müllhalde wünscht, wo sie dann "unter ihresgleichen" seien und keinen weiteren (rassistischen) Schaden anrichten könnten. 

Das Zauberwort, das tödliche Gewalt in Uniform in den USA mit Verwünschungen aus der Berliner "taz"-Redaktion verbindet, aber auch ein bislang nicht bemerkenswertes Ölbild der frühen Achtzigerjahre mit dem heiligen Ernst gegenwärtiger Diskriminierungsdebatten, heißt "systemische Gewalt". Was System geworden ist, das lässt sich nachweisen in Worten, in Taten und im Benehmen, inklusive dem vieldeutigen - also möglicherweise billigenden - Schweigen, der unsolidarischen Untätigkeit und dem feindseligen Blick, dem geschmacklosen Witz oder der gedankenlosen Bemerkung.

Zugrunde der Wahrnehmung liegt das Betroffensein, vor allem im Bereich der Mikroaggression: Eine weißhäutige Deutsche findet die Mohrenstraße oder das Herold-Bild möglicherweise kurios, aber nicht verletzend, und eine Andrea Müller (oder Elke Schmitter) hat vielleicht wenig Grund, die Polizei zu schmähen oder ein mehrdeutiges, ästhetisch ins Läppische spielende Bild mit Empörung zu würdigen. Also können die Privilegierten - die beim Vorwurf des Rassismus in Deutschland die Mehrheit bilden - von dieser Empörung lernen. Über ihre Gesellschaft und, in aller Regel, über sich selbst. 

Die Krux bei diesen Debatten liefert das andere Zauberwort dieses systemischen Zusammen-Denkens von fast allem, von offener Brutalität und subtiler Diskriminierung, von etablierten gesellschaftlichen Mustern und persönlichem Erleben, von ökonomischen und bürokratischen Strukturen mit Kunst, Witz und Geschichte: der Kontext. Bei ihrer Benennung, so argumentieren die Verfechter der Mohrenstraße, war deren Bezeichnung ein Willkommensgruß, die amtliche Würdigung einer Delegation westafrikanischer Repräsentanten beim brandenburgischen Kurfürsten und so das Gegenteil einer Beleidigung.

Mit seinem "Ziegelneger", so ein Repräsentant des Frankfurter Museums in eher windelweicher Dialektik, wollte der kurzzeitig den "Neuen Wilden" zugerechnete Maler und Kunstprofessor zwar provozieren - aber "wenn sich jemand verletzt fühlt, dann tut uns das leid" . Der Kontext vor vierzig Jahren war vermutlich die Provokation eines als feist und selbstzufrieden gedachten Bürgertums, das Masochismus und Kunstförderung zu verbinden wusste; den Kontext vor gut 300 Jahren können nur Spezialisten erklären. Den Kontext von heute - der ist eben dieses diffuse "die gegen die", das Gesellschaft heißt. 

Die Erlösung könnte das Zuhören sein und das Trennen vor dem neuen Zusammenfügen. Der Afrodeutsche von heute ist nicht der Mohr des ausgehenden 17. Jahrhunderts, und der "Ziegelneger" ist eine Versuchung von gestern, deren möglicher Sarkasmus gegenwärtig auf eine entzündete gesellschaftliche Oberfläche trifft. Humor ist anderswo und von den Geschädigten nicht zu verlangen.

Immerhin hilft die zuletzt von dem deutschen Soziologen Aladin Al-Mafaalani vorgetragene Einsicht, dass eine Debatte über Diskriminierung, die von den Betroffenen angerührt wird, schon ein untrügliches Merkmal von deren Emanzipation und auch Anerkennung darstellt: Die muslimische Putzfrau im Kopftuch, so sein einprägsames Beispiel, hat niemanden aufgeregt. Aber ihre Tochter, die Anwältin oder Lehrerin, sorgte 2010 für Sarrazinsche Brandreden. Deren rassistischer Gehalt übrigens wörtlich beinahe untadelig dahergekommen ist. Und in dieser rhetorischen Korrektheit, qua Amt und Statistik eine Zusammenfassung einer latenten deutschen Verachtung von Deutschen aus sehr bestimmten "fremden Kulturen", wirksamer war, als ein Straßenschild oder ein fast vergessenes Bild im Frankfurter Städel es jemals sein werden.

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