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KUNST Deklamieren am Wetzstein

Nach den Entwürfen eines Deutschen wird in Australien eine riesige Kunstlandschaft erbaut.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Von Zeit zu Zeit bekommt der Bildhauer Otto Herbert Hajek in Stuttgart Post oder auch einen Anruf aus Australien. Er hat dann wieder die Gewißheit, daß sein jüngstes, größtes Werk termingerecht vollendet wird -- eines der größten Kunstwerke überhaupt.

Zumindest die Dimensionen dieser Schöpfung müssen, falls nichts sonst, auch noch aus 15 000 Kilometer Abstand jedem imponieren: Rund 70 mal 120 Meter breitet sich die »begehbare Plastik« (Hajek) in der Fläche aus, bis zu zwölf Meter ragt sie in die Höhe.

Hajek, 49, hat das reichlich fußballplatzgroße Gelände in Terrassen abgestuft, hier und da durch Barrieren verstellt und mit seriellen Gruppen von Betonklötzen (inzwischen schon zum Teil bunt angestrichen) besetzt. So entsteht, was der Künstler selbst eine »Stadtikonographie«, ein distanzierteres Publikum auch mal schlicht einen »Abenteuerspielplatz« ("The Australian Womens Weekly") nennt.

Am 22. März soll das Kunst-Terrain mit einem Staatsakt der Öffentlichkeit, nämlich der südaustralischen Bundesstaat-Metropole Adelaide, übergeben werden.

Danach, erwartet Hajek, werden sich eilige Adelaide-Bewohner auf dem Fußweg zwischen Arbeits- und Wohnstätten, vom Bahnhof oder von Einkaufsplätzen, die sämtlich nahe sind, gebremst und zu humanem, dem warmen Klima angemessenen Flanieren sowie zu wechselseitiger Kontaktaufnahme überredet fühlen.

Andere mögen ihr ohnehin geplantes Rendezvous in die neue Stadt-Mitte verlegen, wo überdies technisches Gerät zu mancherlei Freizeit-Kultur parat ist: Düsen für Wasserspiele so gut wie Mikrophone und Lautsprecher für Feedback-Akustik oder für Übertragungen aus den Theater- und Konzert-Gebäuden, die den Platz umstehen. Wenn es nach Hajeks Wünschen geht, werden so, mit der Schwellenangst vor Kunst, zugleich »soziale Entfernungen überwunden«.

»Mein bildnerisches Tun als Sozialhilfe für unsere Gesellschaft«, Hajek-Skulpturen als »Störmale« und »Wetzsteine des Bewußtseins": das ist eine Lieblingsidee des Künstlers. Deswegen drängt er auch auf Plätze, in öffentliche Gebäude und vom Einzelstück zum übergreifenden ästhetischen Entwurf -beides mit unübersehbarem Erfolg.

Bereits als Hajek. der aus Böhmen stammt und in Stuttgart studiert hat, noch in Bronze und borkig-tachistischen Formen arbeitete, durfte er 1963 acht große Reliefs für die West-Berliner Kirche Regina Martyrum gießen. Doch erst seine zu eckiger Geometrie und leuchtender Primärfarbigkeit gewandelte Produktion ist ein rechter Begriff für deutsche Kunst am Bau geworden.

Hajek-Plastik dieses Stils und entsprechend flächiger Fassaden- und Raumdekor schmückt Kirchen in Schwaben und Westfalen, die Universitäten von Freiburg und Saarbrücken, die ADAC-Verwaltung in München und die Stadthalle in Lahnstein.

Gegen die dabei unausbleibliche Gefahr, daß Kunst zum nichts als schmuckhaften Design verflacht, geht Hajek mit der irritierenden Idee seiner »Farbwege« an: roter, blauer oder gelber Streifen, die sich gleichsam als Markierungen eines freischweifenden Geistes ohne Form-Rücksicht über Skulpturen und Environments ziehen -- so über das 1964 bei der Documenta gezeigte, anschließend auf einem Schulgelände in Frankfurt installierte Freiluft-Arrangement »Frankfurter Frühling«.

Berichte aus Frankfurt geben Hajek die Gewißheit. daß sein pädagogisch-künstlerisches Konzept funktionieren kann. Er hat erfahren, daß Jugendliche im »Frühling«-Garten »sich befreiten, automatisch Gruppen bildeten, sich wie am Areopag hinstellten und deklamierten«.

Eine solche Bühnen-Situation auch für Adelaide vorzusehen, lag den Planern dort zunächst ganz fern. Museumsdirektor John Baily war 1972 vom lokalen »Festival Centre Trust« nur mit der Suche nach einem Künstler beauftragt worden, der den Belüftungsschacht einer unterirdischen Studiobühne würdig durch ein monumentales »Zeichen« kaschieren könnte. Hajeks öffentliche Werke waren auffällig genug, um den weitreisenden Emissär just auf diesen Künstler zu verweisen.

1973 erstmals nach Adelaide eingeladen, lieferte der Bildhauer aber weit mehr als einen Entwurf für das gewünschte Mal. Er machte sich und dem vom südaustralischen Premier Don A. Dunstan beschirmten Trust bald klar, die »eigentliche Aufgabe« sei es, die Plastik auch »in den Raum der Architektur« und schließlich »in den gesellschaftlichen Raum zu integrieren«.

Die Australier akzeptierten den spontan erweiterten Plan und setzten auf diese Weise -- wie enthusiastisch oder skeptisch man Hajeks Arbeit auch bewertet -- selbst ein Zeichen. Für die 1,2-Millionen-Einwohner-Region ist die Kultur-Investition von rund 44 Millionen Mark enorm.

Es sollte, folgt man australischen Einsichten, dabei nicht bleiben. Zwar hält es die »Canberra Times« für möglich, daß Premier Dunstan übertrieben hat, als er den deutschen Gast-Artisten »einen der führenden Bildhauer dieses Jahrhunderts« nannte. Doch das steht für die Zeitung fest: »Wir brauchen mehr Künstler wie Otto Hajek.«

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