BIOGRAPHIEN Depressiver Marschall
Seine überragende Persönlichkeit, seine einzigartige Größe, seine Tapferkeit, seine unglaubliche Lebenskraft -- sie alle machen einen Autor wahrhaft demütig.«
Der Verdacht, dieses emphatische Geständnis, mit dem der englische Militärhistoriker Roger Parkinson seine Biographie des Gebhard Leberecht von Blücher, Fürst von Wahlstatt, alias »Marschall Vorwärts« (1742 bis 1819), beginnt, könnte ein Übersetzungsfehler sein, ist leider falsch*.
Der Übersetzer der jetzt erschienenen deutschen Ausgabe hat sich sehr genau an den englischen Text gehalten, und auch dieser Satz entspricht dem Original: »Blücher war in der Tat eine Gestalt von Churchillschem Format.«
Etwa 280 Seiten weiter erfährt man dann, daß soviel demütige Verehrung für den Haudegen Blücher in England nicht ohne Tradition ist. Als der
Roger Parkinson: »Bücher. Der »Marschall Vorwärts«. Paul List Verlag. München: 368 Seiten: 29,80 Mark.
Marschall im Juni 1814 London besuchte, spannte ihm schon in Dover die begeisterte Menge die Pferde seines Wagens aus und zog ihn selbst. Die Frauen gierten nach einer Locke seines »silberweißen Haars« und nach seinen »schnurrbärtigen Küssen«. Die Universitäten von Oxford und Cambridge dekorierten ihn mit Doktorhüten, und wenn Blücher in die Londoner Oper ging, »wurde die Aufführung sofort unterbrochen, alles erhob sich und schrie donnernd »Hurra!«.
Das alles spielte sich noch vor Waterloo ab. Was hätten die Briten wohl danach mit dem Marschall Vorwärts gemacht? Nur das weiß man: Die erste Blücher-Biographie überhaupt erschien in London bereits im Jahre 1815, die erste deutsche erst 1833.
Woher kommt diese Wertschätzung für einen preußischen Kriegshelden? Die Antwort, die Parkinson gibt, ist reichlich simpel. Es erscheine eben alles an Blücher »fast überlebensgroß«, und damals wären die Engländer fasziniert gewesen von dem Kontrast, den »seine rauhe, erdhafte Redeweise mit dem Hauch des Militärischen ... zu der üblichen gekünstelten und oft geistlosen Konversation bei Hof und bei Galadiners« bildete.
Als Beleg erzählt Parkinson folgende Anekdote: Während eines Essens saß Blücher neben einer Dame, die »versuchte, ihn in ein Gespräch zu ziehen, während er seine Suppe löffelte. Schließlich wischte er sich den Schnurrbart und sagte durch einen Dolmetscher: »Madame, was für wundervolle weiße Hände haben Sie doch. Worauf sie geziert erwiderte, sie trage Kalbslederhandschuhe«, um ihre Hände zu schützen. Blüchers Antwort: »Lady, ich trage Kalbslederhosen, aber sie tun gar nichts für meinen Arsch.«
Kaum zu glauben, daß das alles gewesen sein soll, was die Engländer an Blücher begeisterte. Allerdings, auch der Marschall selbst muß wohl manchmal den Eindruck gewonnen haben, die Briten würden für ihn die gleiche Bewunderung empfinden wie für ein exotisches Monster: »Ich muß über mich selbst wachen, daß ich nicht zum Narren werde.«
Auch Parkinson beschreibt -- ungewollt -- eher eine Kriegsmaschine als einen Menschen. Als Blücher am 12. September 1819 starb, war er 76 Jahre alt. Nur knapp 13 Jahre verbrachte er im Krieg, doch für den Militärhistoriker zählt nur diese Zeit. Ausführlich berichtet Parkinson, und man hat den Eindruck, mit glühenden Wangen, von Scharmützeln und Schlachten und von Blücher als Kampfmaschine mittendrin, deren Größe proportional zur Zahl der Toten wächst.
Sichtlich erleichtert ist Parkinson immer wieder, wenn er auf wenigen Seiten die Friedensjahre in Blüchers Leben hinter sich gebracht hat. Aber auch dann ist an ihm alles »fast überlebensgroß": seine Trunksucht, seine Weibergeschichten, seine Verluste beim Kartenspiel.
Auch Blüchers Depressionen, sie überfallen ihn stets dann, wenn Frieden ist. sind monströs: Nach der Niederlage Preußens im Jahre 1807 und nach dem Sieg über Napoleon 1815 litt er jedesmal unter dem Wahn, als Strafe für seine Sünden mit einem Elefanten schwanger zu sein.
Parkinson findet das lediglich »exzentrisch«, und er beschließt seine Vermutungen über die möglichen Gebrechen seines Helden -- unter anderen auch Schizophrenie und Geschlechtskrankheit -- mit der lapidaren Feststellung: »Jedenfalls war er sehr krank.«