Der Chor will nicht knieend singen
Es hat den Anschein, als würde der Dirigent Otto Klemperer seit einiger Zeit vom Mißgeschick verfolgt. Vor wenigen Wochen wurde er beim Studium der Jazzmusik in New York von zwei Negern überfallen, die ihm versprochen hatten, ihn in einen Klub mit der besten Jazzmusik des Negerviertels zu bringen.
Sie schlagen den 62jährigen Dirigenten, der herzkrank ist, nieder und beraubten ihn seiner Barschaft in Höhe von dreißig Dollar. Erst in der Morgendämmerung wurde Klemperer bewußtlos in einer Straßenecke aufgefunden.
Otto Klemperer, der gebürtige Breslauer, der nach seinen Stationen als Kapellmeister in Hamburg, Barmen, Straßburg, Köln und Wiesbaden 1927 als Generalmusikdirektor an die Staatsoper Berlin gekommen war, war 1933 nach USA emigriert. Er leitete dort sechs Jahre lang die Philharmonie von Los Angeles.
1939 mußte er sich wegen eines Gehirntumors operieren lassen, der als Folge eines 1932 erlittenen Sturzes entstanden war. Klemperer blieb zunächst teilweise gelähmt. Erst nach einem Sanatoriumsaufenthalt konnte er als Gastdirigent in den Großstädten wieder auftreten.
Im vergangenen Jahr kehrte er nach Europa zurück. In Rom dirigierte er mit großem Erfolg, in Mailand mußte sein Konzert wiederholt werden, in Paris begeisterte er das Publikum und ebenso in Interlaken und Amsterdam. In Baden-Baden wurde er, der als erster der emigrierten großen Dirigenten wieder den Weg über den Rhein gefunden hatte, stürmisch gefeiert.
Die Reihe dieser Erfolge wäre schätzungsweise in Paris, wo Klemperer die vier ersten Vorstellungen der Lohengrin-Aufführung dirigieren sollte, fortgesetzt worden. Aber wie bei seinem Jazzstudium in New York, kam ihm nun auch in Paris ein Mißgeschick in die Quere.
Klemperer ließ bei der Probe den Chor in einer Szene auf den Knien singen. Dem Chorführer sagte dies keineswegs zu. Es gab ein kleines Renkontre.
Darauf kam Georges Hirsch, Direktor der französischen Staatsbühne, zu Klemperer und erklärte ihm, daß der Chor seine Anordnung nicht verstehe. Der Direktor gab dem Dirigenten den Rat, krankheitshalber von der Stabführung abzusehen. Man würde ihm sein Gehalt von 8333 Dollar zahlen.
So geschah es nach der Hirschschen Darstellung, und so lasen es die Pariser und einige Leute mehr in der Welt. Das Ergebnis war zunächst, daß viele Telegramme und Briefe kamen, die sich nach dem Gesundheitszustand von Otto Klemperer erkundigten.
Aber Klemperer war weder krank, noch damit einverstanden, den Lohengrin nicht dirigieren zu dürfen. Er schickte Direktor Hirsch ein Attest, das den einwandfreien Zustand seiner Körperkonstitution und seines Nervensystems bescheinigte.
Daraufhin hat Direktor Hirsch jede Bezahlung abgelehnt. Klemperer hätte sich nicht an die Abmachung gehalten. Klemperer hat daraufhin seinerseits die Pariser Oper auf 25 000 Dollar verklagt. Man ist nicht nur in Paris auf das Ergebnis des Prozesses gespannt.