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Der Dichter geht stiften

Nahaufnahme: Peter Handke fliegt in das Kosovo, um Serben 50 000 Euro zu überreichen. Reiseleiter ist Claus Peymann.
Von Renate Flottau
aus DER SPIEGEL 16/2007

Die Kulisse ist bizarr: ein Pfarrhof - darin ein grunzendes Schwein, ein Verschlag mit flatternden Brieftauben, eine Ziege, die ihre Jungen säugt. Dazwischen aufgebaut ein provisorischer Holztisch. Hier, in der serbischen Enklave Velika Hoča im Kosovo, will Schriftsteller Peter Handke sein Preisgeld für den alternativen Heinrich-Heine-Preis übergeben.

Ein eher ungewöhnlicher Vorgang, wie der Laudator, der Hamburger Schauspieler Rolf Becker, gesteht, doch dafür sei »deutsche Staatsräson« verantwortlich. Diese habe verhindert, dass Handke den ihm 2006 von einer unabhängigen Jury zuerkannten und dann nach öffentlichen Protesten von ihm abgelehnten Heine-Preis der Stadt Düsseldorf erhielt. Handkes poetischer Blick, der den Serben treu blieb, habe nicht zum offiziellen Feindbild Serbien gepasst. Ein Sakrileg, das über 500 Donatoren motivierte, einen Berliner Heine-Preis in Höhe von 50 000 Euro zu stiften.

Noch allerdings steht die angereiste Festgemeinde, darunter Claus Peymann, Intendant des Berliner Ensembles, orientierungslos im Pfarrhof zum Heiligen Stefan. Man wartet auf den orthodoxen Abt Petar aus dem nahen Kloster. Er wird gerade informiert, dass er als Schirmherr vorgesehen ist. Handke vertreibt sich die Wartezeit, indem er versucht, mit Münzen ein im Gras aufgestelltes buntes Osterei zu treffen.

Die Zeremonie beginnt ohne Abt - dafür mit einem bühnenreifen Plädoyer zur Verteidigung des verstorbenen serbischen Diktators Slobodan Milošević durch die 81-jährige Ost-Berliner Schauspielerin Käthe Reichel. Milošević sei plötzlich als kriminell eingestuft worden, und man habe entschieden, »er müsse im Gefängnis bleiben, bis er krepiere«, ruft die Brecht-Interpretin den Versammelten zu. Wenn dies demokratisch sei, dann sei dies entsetzlich.

Undefinierbar wie stets, doch mit dem Anspruch philosophischer Betrachtung antwortet der Preisträger, auf Serbisch. Er wolle dem Ort noch zwei weitere Namen zufügen, das Dorf der »Vielen Kinder« und »Dorf unter dem Himmel«. Velika Hoča sei die wirkliche, wahre Welt. Gäbe es den kleinen, großen Ort nicht, gäbe es auch keine wirkliche Welt.

Eine heile Serbenwelt, über deren Grenzen Handke niemals blicken konnte und wollte. Gewiss, heute schützen Stacheldraht und Kfor-Soldaten die Serben vor albanischen Übergriffen. Am ersten Tag der Nato-Bombardierung 1999 waren es dagegen fast 400 albanische Zivilisten aus den umliegenden Dörfern, die von serbischen Militärs und Polizisten ermordet wurden.

Und wo sind die serbischen Einwohner von Velika Hoča beim Besuch des Ehrengastes? Ein paar Rentner, die neben dem Pfarrhaus sitzen, haben dem Fernsehen entnommen, dass da irgendein Schriftsteller komme. »Unsere Politiker wollten uns den Besuch verheimlichen«, vermutet einer der Senioren, »weil die Angst haben, wir könnten dem die Wahrheit sagen: dass die Mehrzahl unserer Söhne und Töchter längst nach Serbien ausgewandert ist und die Verbliebenen, die von Sozialhilfe leben, von seinem gespendeten Preisgeld keinen Dinar sehen werden. Das streichen die Kirche und die Politiker ein.«

Doch Handke braucht kein Volk, um die Leiden eines Volkes zu schildern. »Dort oben, seht ihr die Weinberge?«, fragt er die ihn umzingelnden Reporter. Die Serben können sie nur vor Sonnenaufgang bearbeiten. Tagsüber sind sie ihres Lebens nicht mehr sicher.

Deutsche Journalisten nicken stumm, die serbischen Kollegen verlangen dagegen nach eindeutigeren Bekenntnissen. In welchem Land er bei seiner Ankunft in Priština gelandet sei? Die Hoffnung, er werde Serbien sagen und damit den serbischen Anspruch auf das Kosovo untermauern, wird enttäuscht. »In Liechtenstein«, antwortet Handke sarkastisch. Warum er gekommen sei? »Um Geld loszuwerden.« Nein, er wirkt dabei nicht witzig, eher überheblich, gelangweilt. Nur einmal, mitten in der Begrüßungsrede des Dorfpriesters, zeigt der Poet Emotionen. »Mein Handy hat kein Signal«, ruft er entsetzt. Minutenlanges betroffenes Schweigen, der Pfarrer unterbricht seinen Willkommensgruß. Am Rande des Pfarrhauses ist schließlich die Verbindung zur Außenwelt wieder hergestellt.

Doch bevor Krautwickel die Mägen füllen und Sliwowitz sowie serbische Bruderküsse die Stimmung heben, bittet der Pfarrer die Gäste, das Vaterunser laut vorzubeten. Stille. Bis Käthe Reichel einspringt, die zumindest den Anfang fehlerfrei deklamieren kann.

Eines Tages, sagt der serbisch-kosovarische Schriftsteller Petar Sarić, werde es in Belgrad eine Straße mit dem Namen des »tapfersten und mutigsten Freundes der Serben« geben. Eines Tages, antwortet Handke lakonisch, werde man auch seine Texte lesen können. Dann umarmt er die mitgereiste Tochter Leocadie, küsst sie zärtlich auf die Wange.

Die 15-Jährige darf schließlich Bürgermeister Dejan Baljošević das Kuvert mit 100 Scheinen à 500 Euro für seine armen Serben überreichen. Der bedankt sich artig beim »neuen deutschen Goethe«, will einen Teil der Summe in eine zu gründende Peter-Handke-Stiftung einfließen lassen. Finanziert werden sollen daraus Künstler, die künftig nach Velika Hoča kommen.

Wen stört es heute, an diesem Osterfest, dass sie sich dann wohl von einer Geisterstadt inspirieren lassen müssen. Denn in einem unabhängigen Kosovo will keiner der Einwohner, trotz Handkes Dank an die Verbliebenen, verbleiben. Eine Inszenierung, als wär's ein Stück von Handke selbst - die Spur der Verirrten. RENATE FLOTTAU

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