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Artikel 58 / 90

»DER DIREKTOR DES PRADO BIN ICH«

aus DER SPIEGEL 43/1966

»Gespräche mit Picasso« hat der Pariser Zeichner und Meisterphotograph ("Graffiti") Brassai, 67. seit 1932 geführt und seit 1943 aufgeschrieben. Der gebürtige Rumäne Brassai (Pseudonym für Gyula Halas) sprach mit dem Maler, während er ihn selbst, seine Arbeiten und sein Atelier photographierte. Brassais Notizen erscheinen jetzt - zum 85. Geburtstag Picassos am 25. Oktober deutsch im Rowohlt Verlag**.

Freitag, 12. November 1943

Henri Michaux und seine Frau Marie -Louise erwarten mich im Cafe. Wir gehen durch die Rue des Grands-Augustins und kommen am Catalan, an Picassos, Stammlokal, vorüber. Es ist geschlossen. Vor einigen Tagen ist die Lebensmittelpolizei dort gewesen, sie hat Picasso und einige Stammgäste auf frischer Tat ertappt: Sie aßen an einem

der drei fleischfreien Wochentage gegrillte Chateaubriands. Das Restaurant wurde für einen Monat geschlossen, und Picasso hat Strafe zahlen müssen ...

Henri Michaux: »Da wird er wohl nun Hungers sterben ...«

Picasso ist nicht da. Ich zeige meinen Freunden das Atelier. Michaux ist fasziniert von einer kleinen Statuette: ein mähender Bauer, auf dem Kopf einen Strohhut, rund und strahlend wie die Sonne des Südens ... Dieser Hut ist zwar nur der Abdruck einer verbeulten, verbogenen Sandkuchenform, aber er hat doch alles, um van Gogh, die Provence und den südlichen Himmel heraufzubeschwören ...

Henri Michaux: »Etwas so Schönes zu sehen macht mich für den ganzen Tag glücklich ...«

Nachdem die Michaux gegangen sind, photographiere ich einige Skulpturen.

Gegen elf Uhr kommt ein junger Mann mit einem Bild. Es ist eine Provence -Landschaft: ein Stück Mauer, ein Mühlstein und im Hintergrund einige Bäume. »Ich komme aus Aix-en-Provence«, sagt er, »ich möchte dieses Bild Monsieur Picasso zeigen. Ich glaube, es wird ihn interessieren. Ich will es nicht verkaufen, ich möchte nur seine Meinung hören ...«

Wir betrachten das Bild zusammen mit Sabartés und Zervos, der gerade angekommen ist. Ein Cézanne? Hm ... Wir sind skeptisch. Da kommt Picasso. Die Nachricht von einem unbekannten Cézanne hat ihn aus seinem Versteck hervorgelockt. Er sieht sich das- Bild aufmerksam an. »Nicht schlecht gemalt, aber von Cézanne ist es nicht ...« Der junge Mann gibt sich damit nicht zufrieden: »Es ist in seinem Atelier gefunden worden. Meine Familie hat es immer für echt gehalten. Es ist aus der Zeit der Kartenspieler datiert ...«

Picasso, ärgerlich werdend: »Sie können tausendmal recht haben und mir tausend Beweise geben. Dieses Bild ist niemals von Cézanne gemalt worden! Ich kenne mich da aus ... Die Unterschrift ist sichtlich falsch. Aber das will nichts besagen ... Ich habe ja selbst meine Bilder oft mit einer gefälschten Unterschrift zurückkommen sehen. Keine falsche Unterschrift würde mich hindern, einen echten Cézanne zu erkennen! Aber das ist hier nicht der Fall ... Er war ungeschickt im Nachmachen, ganz unbegabt dafür ... Jedesmal, wenn er versucht hat, andere Maler zu kopieren, hat er einen Cézanne gemalt ... Sie können Ihr 'Familienstück' wieder einpacken ...«

Der junge Mann verschwindet, aber Picasso brummt noch: »Und ob ich Cézanne kenne! Er und kein anderer war mein Lehrmeister! Sie können sich denken' wie gut ich seine Bilder kenne ... Jahrelang habe ich sie studiert ... Cézanne! Er war für uns alle wie ein Vater. Er hat uns beschützt ...«

Freitag, 16. Juni 1944

Madame M. M. quält mich seit Tagen. Sie hat einen El Greco zu verkaufen. Ich soll unbedingt »Pablo« benachrichtigen, er würde ihn gewiß sehr gern kaufen ... Bei meinem letzten Besuch habe ich ihm, als wir allein waren, davon erzählt.

Picasso: »Ja, das Bild möchte ich sehen, es interessiert mich sehr ... Und wenn ich es selbst nicht kaufe, kann ich einen Käufer dafür finden ...«

Gestern hat Madame M. M. wieder angerufen: Man wird ihr heute morgen den El Greco leihen. Sie hat auch einen Mann mit einem Handkarren gefunden, der das Bild transportieren will. Der Weg von der Place de l'Etoile in die Rue des Grands-Augustins kann zwei Stunden dauern, sie möchte also wissen, wann Picasso sie empfangen will, und wartet auf meinen Anruf, bevor sie das Zeichen zum Aufbruch gibt ...

Picasso ist gerade erst aufgestanden, er läßt mich zu sich hinaufkommen. Die Tür zum Badezimmer steht halb offen. Nackt und vierschrötig steht er vorm Spiegel und rasiert sich. Er sieht aus wie ein japanischer Ringer - nur ist er nicht so dick. Ich berichte ihm von dem EI Greco. Er hebt entsetzt die Arme zum Himmel.

Picasso: »Das paßt überhaupt nicht! Ausgerechnet heute! Alle Schauspieler meines Theaterstücks kommen heute morgen***. Und noch allerhand andere Leute. Es würde wirklich ein anderes Mal besser passen ...«

Ich gebe zu bedenken, daß Madame M. M. nur eine Option für zwei Tage hat, daß aber der El Greco bis Montag früh bei ihm bleiben kann ...

Picasso: »Das ist ja sehr nett, aber das möchte ich auf keinen Fall! Was, wenn heute nacht eine Bombe auf mein Atelier fällt? Oder wenn Sie das Atelier in Brand setzen? Dann säße ich in der Tinte ... Aber warum eigentlich nicht heute morgen? Ich bin sehr neugierig auf das Bild, und die anderen wird es sicher auch interessieren. Einen El Greco findet man schließlich nicht alle Tage ...«

Ich rufe Madame M. M. an: »Picasso ist einverstanden. Die Reise kann losgehen ...«

Picasso ist inzwischen rasiert, sogar sorgfältig rasiert, weil heute Empfang ist und weil hübsche Frauen kommen. Stolz fordert er mich auf, seine Haut zu betasten: Sie ist zart wie die eines Nivea-Babys. Oft rasiert er sich noch nachts vorm Schlafengehen, um morgens mehr Zeit zu haben ... Zum Schluß wischt er nur gerade die Rasierseife fort, trocknet sich ab und sagt: »Man darf sich nicht zu oft waschen, das ist ungesund, finden Sie nicht auch?«

Inzwischen müssen schon viele Besucher da sein, mehrmals ist Marcel gekommen, um sie anzumelden. Endlich geht Picasso hinunter. Ich bleibe noch oben, um einige Photos zu machen.

Einige Zeit später gehe ich auch hinunter. Picasso ist von Besuchern umringt.

Marcel nimmt mich beiseite: Unten vor dem Haus wartet der El Greco auf seinem Karren. Madame M. M., die ihn nicht aus den Augen gelassen hat, ist außer Atem. Riesengroß, in mehrere Wolldecken gehüllt, liegt das Bild vor uns. Die kleine Wendeltreppe ist zu eng. Picasso läßt die große Tür öffnen, und das Bild kommt, wie es einem bedeutenden Gast geziemt, die Ehrentreppe herauf. Da steht nun das Bild mitten im Atelier. Der fremde Helfer, Madame M. M. und Marcel lösen geschäftig Schnüre und Decken. Ein Dutzend Leute, die schon im Atelier sind, verfolgen aufmerksam die Szene. Endlich fallen die Hüllen ...

Mein erster Eindruck ist katastrophal ... Es ist ein großes, frommes Machwerk: ein Christus mit Dornenkrone, der unter der Last des Kreuzes zusammenbricht. Das Gesicht erinnert an El Greco, aber alles andere ist zu glatt, Himmel und Kreuz sind zu manieriert. Es wird still im Atelier, alle sind sprachlos - aber nicht aus Erschütterung. Niemand rührt sich, niemand wagt ein Wort zu sagen. Picasso setzt seine Brille auf und geht auf das Bild zu. Da ertönt plötzlich in die Stille hinein die Stentorstimme von Madame M. M.: »Was Sie hier vor sich haben, meine Damen und Herren, ist eines der schönsten Bilder von El Greco. Sein Besitzer verlangte ursprünglich acht Millionen. Für das Bild eines solchen Meisters eine Kleinigkeit. Er wollte es einem deutschen Museum verkaufen, aber die Deutschen mögen El Greco nicht, und sie hassen Christus. Darum ist er bereit, das Bild für vier Millionen herzugeben. Vier Millionen! Das ist wirklich geschenkt ...«

Sie posaunt das alles heraus mit der entwaffnenden Sicherheit eines Museumsführers, der vor einer Gruppe von Ignoranten steht. Amüsiert hört Picasso zu - denn, was man auch denken mag, er hört gern die Meinung der Leute -, und er hätte die 'Dame wohl nicht so grob unterbrochen, wenn sie nicht unvorsichtigerweise hinzugefügt hätte: »Es ist einer der schönsten El Grecos, meine Herren, das sage nicht ich, das sagt der Direktor des Prado ...«

Bei diesem Satz fährt Picasso auf: »Pardon, Madame! Der Direktor des Prado bin ich! Da habe ich ein Wort mitzureden! Aber ja, ich bin von der Regierung, von der republikanischen Regierung, dazu ernannt worden. Und ich bin es noch, man hat mich nie abgesetzt. Einen Haufen von Berichten habe ich lesen müssen, man hat mich mit Briefen überschwemmt. Alle meine 'Untergebenen' wollten mir ihre Hochachtung, ihre Ergebenheit zum Ausdruck bringen. Und die Sicherheit all der Kunstwerke! Die hat mir reichlich Sorgen und viel Kopfschmerzen bereitet! Dabei habe ich von meinen - sowieso mageren - 'Bezügen' nie auch nur eine Peseta gesehen ... Im Grunde war ich der Direktor eines Geistermuseums, eines leeren Prado, denn die Schätze wären alle nach Valencia gebracht worden ...«

Picasso wendet sich an Madame M. M.: »Wenn. Sie die Meinung des Direktors des Prado hören wollen, will ich sie Ihnen sagen: ja, es ist ein Greco, das schönste Bild von Greco unter all denen, die er auf Bestellung für irgendwelche Klöster oder Kirchen ausgefühlt hat ... Wenn die Nonnen von Sainte-Théràse oder die Waisen von Sainte-Ursule bei ihm mehr Tränen bestellten, dann hat er gern welche dazugemalt, für soundsoviel Peseten die Träne. Man muß ja leben ... Aber mich interessiert dieser Greco für fromme Schwestern überhaupt nicht! Die deutschen Museumsdirektoren sind nicht so dumm, das können Sie mir glauben. Wäre, es ein guter Greco, hätten sie Ihn ganz bestimmt gekauft, trotz Kreuz, trotz: Tränen und Christus ...«

Durch Picasso telephonisch vom Vorhandensein eines verkäuflichen El Greco benachrichtigt, eilt Fabiani, der Nachfolger von Vollard, aus der Rue de Martignac herbei ... Aber nach eingehender Prüfung verzichtet auch er ...

»Niemand will ihn?« fragt Picasso. »Dann packt ihn ein!« Und während das Bild wieder In alle seine Decken gehüllt, verschnürt und durch die große Tür die Treppe hinunter zu dem Karren gebracht wird, sagt Picasso mit seinem schrillen, spöttischen Lachen zu den Umstehenden: »Armer Greco! Er macht so weiter, wie er angefangen hat. An Abenteuern hat's Ihm nie gefehlt... Ende des vorigen Jahrhunderts fing man gerade an, ihn wiederzuentdecken, als ein spanischer Mäzen zwei seiner Bilder in Frankreich kaufte, Ich weiß nicht mehr, welche Heiligen es waren ... Man hat sie heimlich auf einer Trage über die Pyrenäen schaffen müssen, um sie nach Spanien zurückzubringen. Ich war damals zwölf Jahre alt aber die beiden Träger, zwei Maler aus Barcelona, die später gute Freunde von mir wurden, haben mir die seltsame Pilgerfahrt der Bilder erzählt.«

Jemand fragt Picasso, wie er El Greco entdeckt habe.

Picasso: »Ich kannte einige von seinen Bildern, die mich sehr beeindruckt hatten, und beschloß daraufhin eines Tages, nach Toledo zu fahren. Diese Reise hat mir einen tiefen Eindruck hinterlassen ... Daß meine Figuren in der Blauen Periode sich alle in die Länge streckten, liegt wahrscheinlich an seinem Einfluß...«

** Brassai: »Gespräche mit Picasso«. Rowohlt Verlag, Reinbek; 200 Seiten; 16,80 Mark.

*** Picassos surrealistische Farce: »Wie man Wünsche beim Schwanz packt« war kurz zuvor in einer Pariser Privatwohnung uraufgeführt worden.

Maler Picasso:. »Die Deutschen sind nicht so dumm« Picasso-Lehrmeister Cézanne (Selbstbildnis)

Unfähig zum Kopieren

* Photographiert von Brassai 1939.

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