Zur Ausgabe
Artikel 93 / 121

Schauspieler Der Fürst aus Manhattan

aus DER SPIEGEL 43/1994

Wenn einer in East Harlem aufgewachsen ist, einem der rauheren Viertel von Manhattan, dann hat er dort vor allem gelernt, sich zu prügeln und zu wehren und auch nicht fortzulaufen, wenn der Gegner übermächtig ist. Denn den Mädchen dort imponierten nur die wildesten Jungs.

Und wenn einer dieser Welt entkommen wollte, nicht nur hinaus, sondern auch hinauf, in die Welt der Reichen und der Schönen, dann brauchte er entweder eine exzellente Bildung oder einen Hang zum Irrsinn und zur Illusion.

Burt Lancaster, geboren 1913, hat es ohne Universitätsabschluß geschafft: Er war knapp 50, da erhob ihn Luchino Visconti, Filmregisseur und Sohn einer der nobelsten italienischen Familien, in den Adelsstand: Lancaster durfte, im Melodram »Der Leopard«, den sizilianischen Fürsten Salina spielen, und er tat das mit soviel Würde und Gelassenheit, daß jene echten Adligen, denen Visconti die Nebenrollen gegeben hatte, daneben gewöhnlich wirkten.

Es war ein schöner Beleg dafür, wie die Gesetze der Illusion die Regeln der Realität unterminieren, und es war ein Triumph für Lancaster, der auch sein Leben nie der Willkür der Wirklichkeit unterwarf.

Er hatte sich als Akrobat und Trapezkünstler durchgeschlagen, bis eine Blutvergiftung ihn zwang aufzuhören. Er arbeitete als Tellerwäscher, Barkeeper und Lastwagenfahrer, und als er aus dem Zweiten Weltkrieg zurückgekehrt war, so will es die Legende, blieb er in einem Aufzug stecken - zusammen mit einem Agenten, der von der Virilität Lancasters so beeindruckt war, daß er den Mann sofort für den Broadway engagierte. Das Stück war ein Flop, was aber die Scouts aus Hollywood wenig kümmerte: Sie suchten keine Schauspielkünstler, sie suchten Leute mit Kraft und Präsenz, und sie fanden diesen Burschen, dessen Unruhe und kaum gebändigte Wildheit sehr gut in die Stimmung der Nachkriegszeit paßte.

Er spielte von Anfang an die Zerrissenen, er strahlte mehr Energie aus, als diese Gesellschaft vertragen konnte; denn die wilden Zeiten Amerikas und Hollywoods gingen schon dem Ende zu, und auch die Frauen wünschten sich Ehemänner und Familienväter. Doch Lancaster, der gern seinen nackten Oberkörper zeigte (als der »Rote Korsar« etwa und als »Gefangener von Alcatraz") und dabei seine akrobatischen Fähigkeiten ganz unverblümt für sexuelle Zwecke nutzte, versprach vielleicht ein Abenteuer, aber nie einen ruhigen Lebensabend.

Er war ein guter Held für die Schattenspiele des Film noir; er spielte in Robert Siodmaks »The Killers« und »Criss Cross«, er forderte in beiden Filmen mächtige Männer heraus, gegen die jeder Kampf vergeblich war, er tat es trotzdem, für Ava Gardner und Yvonne _(* In Fred Zinnemanns »Verdammt in alle ) _(Ewigkeit« (1953) und Luchino Viscontis ) _("Der Leopard« (1963). ) de Carlo, die das Scheitern wert waren; er stand in diesen »schwarzen« Filmen für eine Art erotischen Existentialismus - wenn er früh gestorben wäre, hätte seine Legende mit der von James Dean leicht konkurrieren können.

Burt Lancaster überlebte seine Jugend, was er wohl nicht immer als Gnade empfand. Er wurde alt genug, den Sergeant Warden in »Verdammt in alle Ewigkeit« zu spielen; er war jetzt erwachsen, und Montgomery Clift und Frank Sinatra verkörperten die unruhige Jugend. Aber die Szene, in der Lancaster die scheue Deborah Kerr küßt, am Strand von Hawaii ihren Widerstand bricht, und der Ozean schäumt und tost dazu, gehört zu den erotischsten Momenten der Filmgeschichte.

Am Filmset, so erzählen Mitarbeiter, war er Diva und Despot; doch im echten Leben kämpfte er stets für die gute Sache. Er marschierte mit Martin Luther King nach Washington und unterstützte im Wahlkampf Tom Bradley, den ersten schwarzen Bürgermeister von Los Angeles. Und solche Widersprüche waren es wohl, die den großen Visconti auf Lancaster neugierig machten: »Der Leopard«, »Gewalt und Leidenschaft« - nicht der Amerikaner wirkte fremd im Ambiente der Adligen und Bildungsbürger, vielmehr ließ Visconti die Last und den Ballast europäischer Geschichte fremd und künstlich erscheinen angesichts dieses Mannes, der seinen Ritterschlag auf Manhattans Straßen empfangen hatte.

Und daß ein Regisseur wie Bernhard Sinkel in seinem Fernsehepos »Väter und Söhne« diese graumelierte Altherren-Attitüde beim Nennwert nahm, das war ein Mißverständnis, welches Lancaster aber, mit alter Kraft und Präsenz, ganz lässig überspielte.

Seit ein paar Jahren schon wurde berichtet, daß diese Kraft erschöpft sei. Am Freitag vergangener Woche ist er in Los Angeles gestorben. Y

* In Fred Zinnemanns »Verdammt in alle Ewigkeit« (1953) und LuchinoViscontis »Der Leopard« (1963).

Claudius Seidl
Zur Ausgabe
Artikel 93 / 121
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren