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Der »griechische« Strauß

aus DER SPIEGEL 21/1947

Nur für das Ausland - nicht für Deutsche!« Dies Off-limits-Schild hängt seit 1945 vor allen neugeschaffenen Partituren von Richard Strauß**). Der 83jährige will seine jüngsten Kompositionen erst nach seinem Tode für Deutschland freigegeben wissen.

Auch von den »Metamorphosen«, einem Werk, das in den letzten Kriegstagen unter dem Kettengerassel der einziehenden US -Panzer in Garmisch entstand, erfuhr man, daß es nur für Aufführungen in Italien, Frankreich und Amerika vorgesehen sei. Nun hat es Hans Schmidt-Isserstedt doch in seinem letzten öffentlichen Sinfoniekonzert des NWDR zur deutschen Erstaufführung gebracht.

Getreu seiner klugen Programmpolitik setzte der Chefdirigent des NWDR seinen Hörern auch diesmal ein modernes Werk vor. Allerdings zum guten Beschluß der Saison kein neutönerisches, dissonanzreiches. Denn die 23 Solostreicher der »Metamorphosen« geben dem Hörer keinerlei Probleme zu lösen auf.

Die kleine Besetzung weist hin auf den früheren Kammerstil der »Ariadne«, schließt sich dem Altersstil der letzten Bühnenwerke »Daphne« und besonders des »Cappriccio« an. Der späte Richard Strauß läßt sich gern von eigenen früheren oder auch fremden Einfällen inspirieren.

Seine »Metamorphosen« sind »Verwandlungen« eines Themas aus der »Eroica« von Beethoven. Trotz der knappen Streicherbesetzung entlockt der geniale Instrumentator dem kleinen Orchester eine Fülle von aparten Klangreizen. Das Ganze erscheint dem Hörer als ein wogender, nie abreißender, melodisch durchsättigter Klangstrom.

Das Thema in seinen Veränderungen wird von Instrument zu Instrument unablässig weitergereicht. Die immer neuen »Verwandlungen« des Themas sind kaum durch Cäsuren voneinander abgesetzt. Die strengere Variation mischt sich hier mit der freieren Form der Phantasie.

Diese neuartige Form der »Metamorphosen« scheint für die modernen Kompositionen eine gewisse Anziehungskraft zu bekommen. Auch Paul Hindemith hat eines seiner letzten Werke mit diesem bisher in der Musik kaum geläufigen Ausdruck bedacht. Seine »Symphonischen Metamorphosen über ein Thema von Carl Maria von Weber« erleben in der nächsten Woche auf dem 102. Niederrheinischen Musikfest in Düsseldorf ihre erste deutsche Aufführung.

Richard Strauß hat sich ganz von seinem sinfonischen Stil abgewandt. Er will nicht mehr geben als eine Studie. Aber diese ist aufschlußreich über die stilistische Stellung des späten Strauß: Aus dem Sturm- und Drang-Musiker des »Guntram«-Orchesters, dem Komponisten der rauschhaften »Salome«-Musik, dem Meister der raffiniert instrumentierten Symphonischen Dichtungen ist der Musikant eines von überlegener Altersweisheit überglänzten, von ungetrübtem Wohlklang getragenen reinen Musizierens geworden: der spätklassizistische, der »griechische« Strauß.

**) Richard Strauß lebt seit 1945 in der Schweiz, als Gast des Industriellen Walter Reinhart, der 1918 auch Rilke eingeladen hatte. Strauß arbeitet an einer sinfonischen Dichtung »Die Donau«, die er den Wiener Philharmonikern gewidmet hat.

Richard Strauß: Wandlungen eines Themas, Wandlungen eines Komponisten

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