KINO Der Preis des Ruhms
Der Dichter Wolf Wondratschek, 62, trat als Lyriker hervor ("Die Einsamkeit der Männer") und veröffentlichte zuletzt »Saint Tropez und andere Erzählungen«.
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Truman Capote hätte der Film vermutlich gefallen - natürlich nicht, weil er ihn gut gefunden und ihm hätte applaudieren wollen, sondern seines Scheiterns wegen, als Beweis der These seiner eigenen Einmaligkeit. Aber Herzchen, hätte er jeden Regisseur und, mehr noch, jeden, der als sein Double engagiert worden wäre, entmutigt, du getraust dich doch wohl nicht, mich imitieren zu wollen!
Und wer hätte es gewagt? Die Tatsache, wenn schon am Nobelpreis vorbeigeschrammt, Hauptfigur eines Hollywood-Films geworden zu sein, hätte er als Trostpreis verachtet, seiner Eitelkeit aber hätte der Rummel geschmeichelt.
Es hätte vor allem die Schadenfreude ihm Spaß gemacht, die Gore Vidals, die Hemingways, Faulkners und Mailers, diese Nieten, abgehängt zu haben, war er doch endlich auch dort ein Star, wo seine Freunde, die Schauspieler, sich abmühten, nicht nur einem Planeten, sondern gleich einem ganzen Universum gerecht zu werden.
Aber einfach, versteht sich, ist das nicht. Er hat Literatur hinterlassen, Romane, Kurzgeschichten, keine blutigen Abdrücke auf Badezimmerfliesen.
Man kann einen Handlungsreisenden oder Stierkämpfer, einen Killer oder den Detektiv, der ihn jagt, in Ausübung seines Berufs zeigen. Man sieht, was und wie sie es tun, was für die Geschichte genug hergibt an brauchbarer Handlung. Aber wie einen Schriftsteller bei der Arbeit zeigen? Wie das Unsichtbare, die unwiederholbaren Wunder des Schöpferischen auf die Leinwand bringen?
Was er tut und niemanden zu interessieren hat, ist allein sein, Bleistifte spitzen, auf eine Schreibmaschine eindreschen und, von Fall zu Fall, ein Telefon in der Nähe haben oder wenigstens die Flasche. Das ist das Dilemma. »Ich habe sieben Monate praktisch völlig isoliert auf einem Berg in der Schweiz gelebt, habe niemanden gesehen, an diesem Buch (,Kaltblütig') geschrieben - und das Thema und die Einsamkeit führten in eine endgültige Dunkelheit und eine schreckliche Angst.« Nichts Neues, wenn man sich unter Genies auskennt, erst einmal so ergiebig wie ein Gespräch unter Gespenstern.
Aber Capote und unergiebig? Der Mann war eine Sensation! Ein skandalöser Exzentriker! Ein scharfzüngiger Aufschneider! Ein faszinierendes, einsames, verstörtes, boshaftes Kind! Eine oft ulkige, kichernde Tunte, die, wenn sie nicht gerade Weltliteratur produzierte, dann zwischendurch, immer aber in aller Öffentlichkeit, wenigstens sich selbst. Und wie! Betrunken oder nüchtern, gelangweilt oder delirierend war er der, den er spielte: der (auch in seinen Augen) größte Stilist seiner Generation, von Anfang an. »Mit 17«, behauptete er, »war ich ein perfekter Schriftsteller.«
Er kannte alle, weil alle ihn kennen lernen wollten. Und allen sagte er, mehr oder weniger geistreich, seine Meinung. Was hatte er zu verlieren außer dem Glauben an sich, an eine Fähigkeit, die er folgendermaßen beschrieb: »Ich habe mein ganzes Leben gewusst, ich könnte ein Häufchen Wörter nehmen und in die Luft werfen, und sie würden genau richtig herabfallen.«
Einer wie Mozart? Der Mozart von Manhattan? Ein kurzes Jahrzehnt lang, ja. Ein gutes Ende nahm es dann auch mit ihm nicht.
Nach den Wörtern, die fielen, fiel ihr Autor. Der Film ist die Inszenierung dieses allmählichen langsamen Fallens eines Menschen, der vorerst allerdings noch vorhat, von der letzten Anhöhe aus den Aufstieg zu wagen auf den Gipfel, ganz hinauf - und es schafft. 1966 endlich - nach den sechs Jahren, auf die sich der Film beschränkt - erscheint das fertige Buch: »Kaltblütig«. Ein in der seriösen Literatur heute kaum mehr vorstellbarer Triumph. Die Pioniertat eines neuen Stils, Romane zu schreiben. Ein Buch, das alle Welt lesen will. 15, 20 Millionen, grob geschätzt. Ein Buch, das Capote noch berühmter macht und endlich auch reich. Reich? Es reiche zwar, spottete er, für ausreichend Champagner und fürs Ritz, aber von Reichtum könne keine Rede sein. »Ich betrachte niemanden als reich, der nicht auf Anhieb 50 Millionen Dollar in bar abrufen kann.«
Was er abrufen konnte, war Kraft, Zähigkeit, Ausdauer, gebündelt im Willen zum Absoluten. Und das Gefühl, wie Sätze geschrieben werden müssen. Und dass es andere als die üblichen, die gewohnten Sätze sein müssen. Es müsse die Einfachheit eines Satzes, das Schöne sein, seine Präzision, sein Klang. Es ging ihm, in seinen Worten, »um den Unterschied zwischen sehr guter Schriftstellerei und wahrer Kunst«.
Als er dieses Können sich und allen, die es interessiert, mit einigen Büchern bewiesen hat, liest er eines Tages - Kamera ab - in der Zeitung von einem vierfachen Mord, schneidet die Nachricht aus und macht sich auf in die menschenleeren, sturmgepeitschten Prärien von Kansas. »Es war ein literarisches Experiment, bei dem ich das Thema nicht etwa aufgrund einer starken Faszination gewählt hätte, sondern weil es, im literarischen Sinn, meinen Zwecken entsprach.«
Das Experiment war: einen Non-Fiction-Roman zu schreiben, ein Buch, das sich ganz wie ein Roman lesen sollte, nur dass jedes Wort darin absolut wahr sein sollte. Eine technische Meisterleistung war, was er sich da abverlangte. Einerseits erzählender Journalismus, andererseits sein Anspruch, das umfassendste und
folgenreichste Experiment im Medium der Reportage unternehmen zu wollen - und es hinzukriegen. Capote hat in zahlreichen Interviews Auskunft gegeben über die Bedingungen, die ihn, noch bevor er überhaupt ans Schreiben denken konnte, an den Rand der Erschöpfung trieben. Sechs Jahre Pendelverkehr zwischen seinem Luxusappartement in New York und dem schäbigen Wheat Lands Motel in der Nähe von Holcomb, Kansas, wo Dick Hickock und Perry Smith, die Täter, die Clutters, die Eltern, den Sohn und die Tochter, umgebracht hatten - für eine Beute von 40, 50 Dollar. Schwer zu verdauen, das alles. Und all das recherchieren, jahrelang, von Menschen umgeben, die kaum reden, schon gar nicht mit einem Geschöpf wie Capote. 8000 Seiten an Material.
Es kann nicht sein, dass sich einer gern daran erinnert, an »die endlosen Winterabende allein, an denen hoffnungslose Handelsvertreter im Zimmer nebenan husteten«.
Der Film entscheidet sich anders - und darf das. Er überlässt diesen kleinen rundlichen, mehr piepsenden als sprechenden Künstler der Literatur dem Aufprall in den Korridoren des Hochsicherheitstrakts, der Enge der Todeszelle und schließlich der Hinrichtung, dem Finale am Fuß des Galgens. »Es war die emotional stärkste Erfahrung meines Lebens als Künstler«, wird er später sagen. »Ich habe keinen von beiden geliebt, aber ich hatte großes Verständnis für sie beide, und für Perry hatte ich eine ungeheure Sympathie.«
Der Schriftsteller war zuerst, Anfang 1960, nachdem man Perry und seinen Kumpel verhaftet hatte, nicht darauf vorbereitet, wie aufrichtig seine Gefühle für diesen halbirischen, halbindianischen jungen Mann eines Tages sein würden. Denn erst einmal war ihm nur das klar: Würde er sein Vertrauen nicht gewinnen können und brächte er ihn nicht zum Sprechen, müsste er das ganze Projekt fallen lassen.
Der Film verlangsamt immer dann sein (ohnehin wohltuend langsames) Tempo, wenn es um die Qualität dieser Beziehung geht. Capote wird es Harper Lee (Catherine Keener), der guten Seele an seiner Seite, einmal so erklären. »Wir, Perry und ich, sind im gleichen Haus aufgewachsen, nur nahm er die Tür hinten raus, während ich durchs Hauptportal ging.«
Ihr Wiedersehen ist widergespiegelte Wirklichkeit, das Destillat einer Wahrheit, die den Regisseur dieses Films mit gutem Recht mehr beunruhigt hat als das Gelingen einer literarischen Expedition. Nicht die Professionalität dieses gnomhaften Wunderlings von Schriftsteller ist das Thema, sondern dessen Gemütszustand, sein langsames Fallen. Und die Schuld: Der Autor muss wollen, dass Perry gehängt wird, weil die Geschichte ein Ende verlangt und sein Verleger ein endlich fertiges, druckreifes Manuskript. Was ist da sein Versprechen wert, das er Perry gegeben hatte: den besten Anwalt zu finden, um wenigstens dessen Verurteilung zum Tod durch den Strang abzuwenden?
Nehmen wir einmal Capotes wahrscheinliche Einwände gegen den Film und besonders gegen den Hauptdarsteller (Philip Seymour Hoffman) nicht weiter ernst - es wird ihm ja schließlich weder die Haut vom Leib gezogen noch seine Brille von der Nase -, so bleibt, was er am Set der Verfilmung des Romans durch Richard Brooks 1967 zu seiner Verblüffung damals selbst erlebt hatte. »Ich konnte es nicht fassen, dass dies jemand sein sollte, der Perry spielte - er war Perry; und mich erfasste ein Gefühl, als wenn ich in einen Aufzugschacht ohne Boden stürzte. Das waren die vertrauten Augen, sie gehörten zu einem vertrauten Gesicht.«
Der Hauptdarsteller ist tatsächlich ein Glücksfall, tut mir leid, Truman. Und das bis in das Beben unter der Haut, das Zucken und Zittern deiner Nerven. Da es Glück aber gratis nicht gibt, ist sein Spiel das unerklärliche Ergebnis einer Verwandlung, die jeden verblüffen muss, der wie ich Capote einmal live (wenn auch live nur am Bildschirm während einer allerdings fast zweistündigen Dick-Cavett-Talkshow) erlebt hat. In seinem Gesicht lagen die Schichten der Tragödie frei, die Verwunderungen und Verwundungen eines Menschen, der bei aller Stärke nicht auch noch die Kraft aufbringen kann, sich selbst zu retten - auch wenn er lebend und siegreich heimkehrte nach New York.
Er kannte den Preis, den er seinem Beruf schuldete - und man sah, dass er ihn kannte. Es stimmt schon. Zuerst verdient man am Ruhm. Dann bezahlt man.
Der Film »Capote«
zeigt die Arbeit des Schriftstellers Truman Capote (gespielt von Philip Seymour Hoffman) an seinem 1966 erschienenen Buch »Kaltblütig«. Sechs Jahre lang recherchierte der homosexuelle New Yorker Dandy die Hintergründe eines brutalen vierfachen Mordes, der sich 1959 in Kansas ereignet hatte, und begründete ein neues literarisches Genre: den Tatsachenroman. Packend beschreiben Bennett Miller (Regie) und Dan Futterman (Drehbuch) in ihrem für fünf Oscars nominierten Spielfilm den qualvollen Schaffensprozess: Capote zerbrach fast an seinem inneren Konflikt - für einen der beiden Täter empfand er wachsende Zuneigung, und zugleich wartete er sehnsüchtig auf dessen Hinrichtung, um sein Buch endlich fertigstellen zu können. Selten hat ein Film (Start: 2. März) so eindringlich gezeigt, wie kraftraubend kreative Arbeit sein kann. Capote starb 1984 im Alter von 59 Jahren nach jahrelangem Drogenkonsum. »Kaltblütig« blieb sein letzter vollendeter Roman.
* Mit Catherine Keener.