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Der Profi-Engel

Nahaufnahme: Warum Jungstar Karoline Herfurth, das Mirabellen-Mädchen aus dem Film »Das Parfum«, ein guter Mensch ist
Von Moritz von Uslar
aus DER SPIEGEL 37/2006

Halb zehn abends am Filmset einer Bernd-Eichinger-Produktion neben der Großmarkthalle in München: Irgendwo brummt ein Elektromotor. Der Mann vom »Rock'n'Roll & Movie Catering« schmiert Mettbrote. Ab und an tauchen bekannte Jungschauspieler in Bademänteln auf, holen sich eine Suppe und versuchen die Sprüche, die sich für wartende Jungschauspieler gehören: »Wir drehen hier einen Pornofilm, haha.«

Die Filmfirma Constantin hat sich erbeten, dass der Name dieser Produktion im Porträt über Deutschlands derzeit sagenumwobenste Jungschauspielerin bitte nicht verraten wird - tun wir doch gern. Die Herfurth jedenfalls dreht seit zehn Uhr früh. Am Abend drauf wird sie bei der Münchner Weltpremiere von Tom Tykwers »Das Parfum« (Filmstart am Donnerstag) vor den Vorhang treten - nicht wenige behaupten, dass ihr Auftritt als Mirabellen-Mädchen, das beim Helden Grenouille ein Trauma und seine Mordslust auf junge Mädchen auslöst, die zehn Minuten sind, an die sich der Zuschauer nach 147 Minuten Großkunst am liebsten erinnern wird.

Drei Dinge haben sich über Karoline Herfurth herum gesprochen: Sie ist eher klein, exakt 1,64 Meter groß. Sie sei, für ihre 22 Jahre, eine geradezu gespenstig versierte Schauspielerin: Mit 15 wurde sie für »Crazy« (2000) auf einem Berliner Schulhof gecastet; seither hat sie jedes Jahr einen Film gedreht, Teenie-Klamotten, Dramen, nebenbei die Schule mit einem 1,5-Abitur abgeschlossen und eine Ausbildung an der Schauspielschule in Berlin begonnen. Der Regisseur Tykwer sagt: »Man muss sich Zeit nehmen, ihren Zauber zu begreifen. Und diese Zeit verlangt sie auch. Insofern ist sie ein anspruchsvolles Gegenüber.« Sie verfüge über ein astrein arbeitendes Gehirn, ein astreines Selbstbewusstsein - was ihr den Ruf einer Diva eingebracht hat.

Eine Diva? Im deutschen Film kann man ja vieles werden, eine bescheidene, hart arbeitende Schauspielerin zum Beispiel, die »viel, viel Glück gehabt hat« (Standardausrede aller Jungschauspielerinnen) - aber eine Diva? Wäre ja zu schön, wenn den Job der Göttin, die Produzenten und Regisseuren mit ihrem Talent auf die Nerven geht, mal wieder jemand übernähme.

Sie nähert sich im weißen Bademantel, eine Flasche Volvic unterm Arm, spricht 10-, 20-mal das immer selbe Wort ins Handy: »Okay, okay ...« Grinsen. Den Besucher begrüßt sie augenzwinkernd, das Handy am Ohr. Auffällig weit auseinanderstehende Augen. Eine zarte, feste Gestalt, die mit dem festen Willen eben. Jetzt möchte sie rasch noch ihre »Privatklamotten« anziehen. In ihrem Wohnwagen rieche es nach Klo, deshalb setzen wir uns bitte in den Make-up-Wagen.

Karoline erzählt nun, sie komme gerade von einer Kussszene, als nächstes sei die Enttäuschungsszene dran, in der die Tränen fließen müssen: »Toll, oder?« Traumberuf Schauspielerin? »Nee. Nie.« Ihre deutschen Lieblingsschauspielerinnen? Karoline rattert: »Corinna Harfouch, Dagmar Manzel, Julia Jentsch, Martina Gedeck.« Als Zwölfjährige habe sie in Venedig mit ihren Geschwistern Straßenmusik gemacht, um den Urlaub zu finanzieren - eine frühe Abhärtung zur Schauspielerin: »Ich war die Blockflöte. Horror.«

Reden allein reicht ihr nicht, sie muss durch Blicke, Gesten - ihr Mund, ihre Augen, sogar ihre Haare können tolle Dinge - immer noch nachforschen, ob ihre Worte auch den nötigen Eindruck machen. Und schon nach wenigen Minuten ist klar, dass diese junge Frau schlicht zu klug, zu realistisch, zu professionell ist, um sich um den Job der abgöttisch verehrten Künstlerin zu bewerben: »Ich hatte ganz früh Angst, als Diva zu gelten. Für mich war es immer wichtig, dass ich zuvorkommend bin. Und auch das ist ein Fehler.« Warum ein Fehler? »Weil du dich überanstrengst.« Ihre Augen kontrollieren nun, ob das Gesprochene auch glaubwürdig ankommt. »Am Set sind 60, 80 Leute, denen kannst du es nicht allen recht machen. Also: freundlich bleiben, aber bestimmt.«

Make-up-Mann Waldemar - die beiden kennen sich vom Set beim »Parfum« - macht ihr die Haare, und nun fällt die verbotene Frage, ob ihr klar sei, dass sie Ähnlichkeit mit der Kate Moss von 1992 habe. Hm. Ja. Das haben die von der Zeitschrift »Gala« neulich auch schon zu ihr gesagt. Sie zeigt ein Necessaire, in dem drei Fotos von ihr stecken: »Schau mal, ich sehe aus wie ein Frosch, gar nicht wie Kate Moss.« Ist das nun selbstbewusst oder kokett?

Man hat nun dringend Lust, diesen Profi-Engel ein wenig fester anzufassen - deshalb zwei Fangfragen: Ist Veronica Ferres, unsere Vroni, eine Diva? Sie überlegt. Kleines Lächeln. Großer Herfurth-Augenaufschlag. Und, dumme Sache: leider keine Antwort. Kann man eigentlich Schauspielerin sein und dabei ein guter Mensch bleiben? Strahlender Jungstar: »Das halte ich absolut für möglich.«

Diese Schauspielerin hat auf die Schauspieler-typische Selbstquälerei und Schuldgefühle (Warum gerade ich? Womit habe ich das nur verdient?) offensichtlich einfach wenig Bock. Vielleicht ist man mit 22 im praktisch idealen Schauspielalter, weil flirten mit 22 selten unappetitlich, meistens einfach schön aussieht. Für die Zeit nach dem großen Augenaufschlag plant die Realistin Herfurth vor: Sie möchte studieren, am liebsten Kinderärztin werden.

Klopfen an der Wohnwagentür. Die Produktion drängelt. Die Herfurth sagt: »Meinen Bademantel, bitte.« Dann kommt der Bademantel. Dann sagt sie: »So. Jetzt gehe ich mal heulen.« MORITZ VON USLAR

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