FILM Der Schein siegt
Auf die Musik kann man sich verlassen, sie lügt nicht. Wenn über der einsamen Landstraßen-Kneipe, die das erste Filmbild zeigt, die Nacht herabsinkt, setzen harte Heavy-Metal-Schläge ein. Vorsicht, sagt die Musik, das ist kein Lokal, das eine junge Frau spätabends allein aufsuchen sollte. Tut sie es doch, so geschieht ihr nur recht, wenn etwas passiert; Mann weiß ja, im Grunde hat sie es gewollt.
Sarah Tobias wird, als sie nach ein bißchen Trinken, Flirten und Tanzen den düsteren Schuppen verlassen will, grob an der Kehle gepackt, im Hinterzimmer über einen Flipper gezerrt und von drei Kerlen vergewaltigt, während ein paar weitere rundum stehen und die Täter gröhlend anfeuern.
Jonathan Kaplans Film setzt im Augenblick nach der Tat ein, mit der Flucht des geschundenen Opfers, mit der klinisch-kalten Formalität der Untersuchung im Krankenhaus, mit dem Auftritt der jungen Staatsanwältin, die den Fall übernimmt.
Sie ist die straffe, untadelige Tüchtigkeit in Person, und doch muß sie bei ihren Nachforschungen bald erkennen, daß die Sache heikel ist. Erstens weil ihr Chef, typisch Macho, strikte Weisung gibt, den Fall ohne viel Aufsehen zu erledigen; und zweitens weil das Vergewaltigungsopfer nicht gerade ein Lämmchen ist, dem das Mitleid einer Geschworenenbank voll zuströmen würde.
Sarah Tobias haust in einem gammligen Wohnwagen, zusammen mit einem Möchtegern-Musiker, der nichts taugt; sie trinkt reichlich, sie ist wegen Drogenbesitzes vorbestraft, und sie hat, wie sich zeigt, in jener Kneipennacht etliche Biere gekippt, einen Joint geraucht, mit zweien der Kerle recht heftig geflirtet und in einem sehr engen Hemdchen im Hinterzimmer herumgetanzt. Hat sie die Männer nicht provoziert? Wie viele Geschworene werden, wenn ihnen all das vor Augen geführt wird, glauben, die Fortsetzung auf dem Flipper sei doch eigentlich nur eine Bums-Show gewesen, die etwas brutal geriet?
Die Staatsanwältin - nicht nur dem Druck ihres Chefs nachgebend, sondern, wie sie meint, auch im wohlverstandenen Interesse des Opfers - handelt auf die übliche amerikanische Art mit den Anwälten der Gegenseite einen Kompromiß ohne großen Prozeß aus ("Was ist Ihr bestes Angebot?"): Die Täter bekennen sich der »gefährlichen Körperverletzung« schuldig und kommen mit neun Monaten Knast davon.
Nur Sarah Tobias, wie die Anwältin überrascht feststellen muß, kann in diesem »Deal« keine Gerechtigkeit finden: Sie fühlt sich dadurch erst recht vergewaltigt, mundtot gemacht und zu einem »Stück Scheiße« erniedrigt.
Kehrtwendung, ruck, zuck: Die Staatsanwältin erkennt ihren Fehler, krempelt die Ärmel hoch und stürzt sich selbst in die Detektivarbeit, um die Sache mit einem neuen Dreh doch noch vor ein Geschworenengericht zu bringen.
Kehrtwendung also: Der Film, der sich anfangs neugierig den Widersprüchlichkeiten des Falles zu öffnen schien, macht nun dicht und steuert mit allen abgekarteten Klischees und Kniffen des Genres nur noch zielstrebig auf einen Sensationsprozeß zu - er ist eben doch ein Show-Fabrikat des Produzentenpaares Jaffe/Lansing, das zuletzt mit »Fatal Attraction« vorgeführt hat, wie man einen ganz heißen Brei erfolgreich serviert.
Die gute Rolle hat diesmal Jodie Foster: Ihre Darstellung des Opfers, sehr verwundbar und sehr widerborstig, ist über alle Schummeleien der Effekt-Dramaturgie hinaus faszinierend vital. Die langweilige Rolle hat Kelly McGillis: Sie muß, ganz ohne innere Widersprüche, so unentwegt nur immer das Beste wollen - professionell cool, aber Mitgefühl in den rehbraunen Augen -, daß aus der Staatsanwältin eine Figur der reinen Rhetorik wird. Sie kriegt ihre Show, unwahrscheinlicherweise, damit das Publikum sie kriegt.
Nicht aus Diskretion, wie sich zeigt, ist zu Beginn auf die Darstellung der Tat verzichtet worden, vielmehr aus Kalkül, um sie nun richtig placiert als Höhepunkt bieten zu können. Die Aussage eines verschüchterten Zeugen wird zur Rückblende, und dabei hält es die Kamera nicht lange in Beobachter-Distanz: Mit kühnen Blickwinkeln und heftigen Schnitten stürzt sich der Film voll ins Getümmel - dem guten Zweck zuliebe darf sich das Kino doch auch mal in Gewalt suhlen -, und dazu dröhnt die Heavy-Metal-Musik, die nicht lügt.
Bei den Schlußplädoyers kommt dann (gegen alle Wahrscheinlichkeit, aber auch das ist egal) erst der Verteidiger der Unholde zu Wort, selbstverständlich ein fetter Fiesling, und dann die Staatsanwältin als schöner Engel der Gerechtigkeit. Als die Geschworenen ihr »Schuldig« sprechen, setzt eine helle Hymne ein: Auf die Musik kann man sich eben verlassen. Vergewaltigung ist eine täglich tausendfache, scheußliche Realität; doch dieser Film macht eine Show daraus und krönt sie mit einem vollsüßen Scheinsieg des Guten.
Urs Jenny