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AFFÄREN Der Schicksals-Vater

Gerard Menuhin, Sohn der Geiger-Legende Yehudi Menuhin, wurde erst jetzt, mit 57 Jahren, auffällig - als Verfasser von Kolumnen in der rechtsgerichteten »National-Zeitung«.
Von Joachim Kronsbein
aus DER SPIEGEL 49/2005

Es ist die traurige Geschichte eines Mannes mit einem berühmten Namen zu erzählen, der von sich sagt, er habe in seinem Leben »nie einen roten Faden« gehabt. Ein Mann, dem es schwer fällt, seine Biografie zu einem schlüssigen Lebenslauf zu fügen. Er hatte viele Jobs und noch mehr gutgemeinte Ideen, aber so etwas wie eine Karriere hat er nicht.

Es ist aber auch die ärgerliche Geschichte eines Mannes zu erzählen, der in der »National-Zeitung«, dem Zentralorgan der Rechtspartei DVU, eine Kolumne schreibt. Da wettert Gerard Menuhin etwa gegen die Überfremdung Zentraleuropas aus dem Osten ("Türken, Serben, Rumänen, Bulgaren und Zigeuner"). In einem Interview mit der »Deutschen Stimme«, dem Blatt der NPD, spricht er dann von einem »Schweigegebot« und einer »endlosen Erpressung«, der die Deutschen wegen ihrer NS-Vergangenheit ausgesetzt seien und der sie sich bereitwillig fügten.

Schließlich ist drittens von einer Kindheit zu berichten, die nicht glücklich war. Sie vollzog sich im Schatten eines übergroßen Vaters, eines der größten Künstlerlegenden des 20. Jahrhunderts.

Dieser Vater, Lord Yehudi Menuhin, war der größte Geiger seiner Zeit, bewundert und vielfach geehrt, zuletzt am meisten für seinen Status als unanfechtbare moralische Institution, die sich für Frieden und Selbstbestimmung ebenso wie für Vollwertkost und Yoga einsetzte.

Yehudi Menuhin wurde schon als Elfjähriger berühmt, ein Wunderkind. 1929 spielte er in der alten Berliner Philharmonie an einem Abend ein Konzert von Bach und noch zwei der anspruchsvollsten Werke der Violinliteratur, die Konzerte von Beethoven und Brahms.

Seine Karriere war ebenso beispiellos wie sein Renommee als Sendbote eines weltumspannenden Humanismus, als Gottvater aller Gutmenschen. Ein guter Familienvater war Menuhin, der 1999 im Alter von 82 Jahren in Berlin auf einer Konzertreise starb, wohl nicht.

Gerard, 57, der in der Schweiz lebende Sohn und Kolumnist der »National-Zeitung«, das dritte der vier Menuhin-Kinder, kommt vom Vater nicht los. Er ist von ihm geprägt, seiner immer noch strahlenden Aura ausgesetzt, und er sieht ihm auf eine merkwürdig verkleinerte Art ähnlich.

Der Sohn hatte nie die Kraft, gegen den Vater aufzubegehren. Aber gegen ein Denkmal der Friedfertigkeit macht man eben auch keine Revolte.

Gerard Menuhin erscheint pünktlich zum Gespräch im Zürcher Hotel »Storchen«. Seinen Kopf hält er tief zwischen die Schultern gezogen. Er ist korrekt gekleidet, wohlerzogen, spricht leise. Der Blick aus seinen braunen Augen, die das seltene Lächeln nicht erreicht, irrt bisweilen durch die Hotelbar. Menuhin wirkt nervös und kontrolliert zugleich.

Er will sich rechtfertigen, will klarstellen, und er will über seinen Vater sprechen. Dieser ist, ob der Sohn es will oder nicht, sein Bezugspunkt, sein Schicksal. Das Vorbild, das nicht zu erreichen war, und eine Bedrohung, die nie nachließ. Der Vater - ein Idol, das zum Trauma wurde.

Gerard Menuhin beschwert sich über die Düsseldorfer Yehudi-Menuhin-Stiftung, die ihn »unmenschlich und unfair« ohne Aussprache lediglich »per Einschreiben« als Vorsitzenden abgesetzt hat, nachdem Menuhins Kolumnistentätigkeit bekannt geworden war. Erst da erfuhr eine breite Öffentlichkeit überhaupt von Gerards Existenz und von seinen Artikeln. Als Vorstandsvorsitzender der Stiftung, die musikalische Früherziehung in Schulen bringen will, hatte er ohnehin nicht viel zu tun. Ein, zwei Sitzungen im Jahr, ein paar Grußworte - reine Repräsentation für den Träger des Namens.

Nach dem Rausschmiss in Düsseldorf hat ihn auch das Menuhin-Festival im schweizerischen Gstaad aufgefordert, aus dem Vorstand auszuscheiden. Menuhin »verstand das« und fügte sich.

Es ist ihm wichtiger, seine Artikel zu schreiben, unentgeltlich. Gern schlüpft er in seinen Kolumnen mal in die Rolle eines Jugendlichen, der seinen Vater ausfragt: nach Europa, nach den Fremden, nach den übermächtigen USA. Der Vater antwortet, und der Sohn zieht seine Schlüsse.

Schließlich fragt der Jüngling den Erdkundelehrer nach der Türkei. Der antwortet ihm, dass die Türkei »in 30 Jahren« erschreckende

»100 Millionen« Einwohner haben werde. Die Überfremdung Europas, suggeriert der Text, sei die Folge. Der fiktive Bursche aus der Kolumne resümiert: »Sicher, es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass ich nächstes Jahr eine Lehrstelle kriege. Aber ich finde schon etwas zu tun. Man sagt, unter einigen Bevölkerungsgruppen gebe es beinahe Vollbeschäftigung. Für uns bleiben aber immer noch Arbeiten übrig.«

Ist dieses dumpfe Kolumnen-Ich ein frustriertes Echo auf das ausgefranste Leben des Autors? Beleuchtet hier ein Scheinwerfer einen weiteren misslichen Akt im Lebensdrama eines unbegabten Kindes?

Musikalisches Talent hat Gerard jedenfalls nicht. Seine Ausbildung fand ohne die Eltern in Internaten statt, in England, in der Schweiz und in Deutschland. Zu Elternabenden kam, selten genug, die Mutter.

Eine religiöse Erziehung blieb aus. Sein Vater war Jude, seine Mutter gehörte zur anglikanischen Kirche. Die Menuhins ignorierten den Sabbat und alle jüdischen Feiertage. Der Gott der Juden spielte, obwohl das Publikum es wohl anders erwartete, keine Rolle. Nur eine Schweizer Gouvernante brachte dem Jungen im Kinderzimmer ein deutsches Kindergebet bei: »Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm.«

Schon bei Yehudis Vater Moshe, Spross einer traditionsreichen russischen Rabbinerfamilie, spielte Gott kaum eine Rolle. Moshe wohnte mit seiner Frau Marutha in Kalifornien, und die beiden wurden die wichtigsten Menschen für das Kind Gerard. Bis 1956 wohnten Yehudi und Diana Menuhin mit ihren Kindern in der Nähe dieser beiden, dann zogen sie nach Europa. Gerard empfand das als eine Art Verrat.

Moshe Menuhin, der jüdischen Nationalismus strikt ablehnte, war ebenfalls Mitarbeiter der »National-Zeitung«, legte sein Amt als kulturpolitischer Berater aber 1970 nieder, weil ihm das Blatt gegen die Zionisten in Israel zu wenig kämpferisch erschien.

Diese Großeltern gaben Wärme. Der Vater dagegen war abwesend, aber als Weltstar immer präsent. Er war ein »eigenartiger Mensch«, sagt der Sohn.

So eigenartig, dass der Sohn es nicht wagte, den Vater mit seinen Problemen zu belästigen. Yehudi wollte nur von vielversprechenden Projekten hören, aber bitte »immer positiv«. Negatives duldete er nicht. »Unangenehmes ging über ihn hinweg wie Wasser über einen Stein.«

Die vier Menuhin-Kinder - zwei aus erster, Gerard und Bruder Jeremy aus zweiter Ehe mit der Tänzerin Diana Gould - mussten, wenn sie ihren Vater kontaktieren wollten, in dessen Büro nachfragen, wo auf der Welt er gerade gastierte. Bis zu 200 Konzerte gab der Künstler pro Jahr. Seine Tage waren in Zeitblöcke eingeteilt, streng verplant. Und den Kindern schien es gelegentlich, dass ein Fremder mit einem Menschenrechtsanliegen aus einem entlegenen Winkel der Welt eher zu ihm vorstoßen konnte als sie selbst.

»Hatte ich einmal die Chance, neben ihm im Auto zu sitzen«, erinnert sich Gerard, »und wollte endlich mit ihm in Ruhe reden, dann, schwups, schlief er auf der Rückbank ein.«

Als Gerard zwölf war, spielte er in London auf der Bühne den gewitzten Professor in Erich Kästners »Emil und die Detektive«. Aus der erhofften Schauspiellaufbahn wurde nichts. Mit 18 war er »Mädchen für alles« bei einer englischen Filmfirma in den berühmten Twickenham Studios. Gerard wurde dort, mehr durch Zufall, Cutter. Kurzfristig.

Dann arbeitete er in Paris und half, Geld für Filme aufzutreiben. Schließlich lebte er in New York und arbeitete für das Filmstudio United Artists. Auch das fand ein Ende. Gerard schrieb einen Roman, »Elmer«. Kein Erfolg. Ein zweiter Versuch wurde gar nicht erst veröffentlicht.

Als der Ostblock zusammenbrach, hatte Gerard die Idee, dass man in Albanien Erdöl fördern könnte. Der Plan zerschlug sich. »Ich habe viele Absagen in meinem Leben bekommen«, sagt Gerard, »er nie.« Er, das ist - wer sonst? - der Vater.

Nun will der Sohn seine politische Mission unter die Leute bringen. Er schrieb der Polit-Talkerin Sabine Christiansen und wollte sie davon überzeugen, dass es wie auf der linken Seite in Deutschland für die öffentliche Wahrnehmung »selbstverständlich auch rechtsradikale Parteien« geben dürfe. Er bekam keine Antwort.

Auch Gerard Menuhin ist ein eigenartiger Mensch. Merkt er nicht, dass die Rechts-Postillen ihn mit seinem berühmten Namen und dem Renommee des Vaters nur benützen?

»Wir benützen uns gegenseitig«, antwortet er. Denn keine andere Zeitung will seine Artikel drucken. JOACHIM KRONSBEIN

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