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Können die Schriftsteller streiken? DER SCHRIFTSTELLER-VERBAND

aus DER SPIEGEL 47/1970

der Bundesrepublik ist erst knapp eineinhalb Jahre alt. Er wurde -- als »Verband deutscher Schriftsteller (VS) e. V.« -- im Juni 1969 aus den bis dahin nur locker liierten berufsständischen Regional-Organisationen gebildet. Leitmotiv für den neuen Verband wurde Heinrich Bölls Gründungsrede vom »Ende der Bescheidenheit«; in ihrem ersten Arbeitsprogramm forderten die Schriftsteller eine Verbesserung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Situation, die den (so der vorsitzende Münchner Romancier Dieter Lattmann, 44) »unterprivilegierten Worturhebern« unerträglich erscheint.

In der Tat müssen sich die »Schreibenden aller Art« in Westdeutschland gegenüber vielen Kollegen im Ausland (besonders in Skandinavien) empfindlich benachteiligt fühlen: Sie werden steuerlich als Unternehmer veranlagt, ohne daß ihnen deren Abschreibungsmöglichkeiten eingeräumt wären; sie können ihr geistiges Eigentum, anders als ein Eigenheim, nur für 70 Jahre vererben; sie können geeigneter Texte schon zu Lebzeiten enteignet werden, wenn die für den Lesebuch-Nachdruck taugen; für die Ausleihe ihrer Bücher in Bibliotheken erhalten sie keinerlei Vergütung; es gibt keine Musterverträge für Buchpublikationen, keine Tarifverträge für Fernseh- und Rundfunkmitarbeit, keine Altersversorgung.

»Die Zwänge der Arbeitswelt«, resümierte Lattmann, »weisen die Autoren in die gewerkschaftliche Richtung.« So nahm der Verband, zu dessen fast 3000 Mitgliedern inzwischen viele namhafte Belletristen, Sachbuch-Autoren, Dramatiker, Kritiker und Übersetzer zählen, Gespräche mit dem DGB-Vorsitzenden Vetter auf. Bundespräsident Heinemann ließ sich die »soziale Misere« der Kulturschaffenden schildern; die CDU lud mehrfach zum Gespräch.

Höhepunkt der jäh aufgeflammten staatlichen Wertschätzung wird die Teilnahme van Willy Brandt beim Schriftstellerkongreß am Wochenende in Stuttgart sein, dem ersten großen Autoren-Thing seit 1947. Tagungs-Thema, über das auch Groß, Böll und Walser referieren werden: »Einigkeit der Einzelgänger -- Schriftsteller in der Arbeitswelt«.

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