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KUNST Der Spekulant

Damien Hirsts Glitzerschädel ist 75 Millionen Euro wert, aber nach dem Börsencrash malt er wieder selbst.
Von Matthias Matussek
aus DER SPIEGEL 53/2009

Ein Totenkopf aus Platin und Diamanten, das teuerste Kunstwerk der Gegenwart - mit welchem Emblem ließe sich die vergangene Dekade besser bezeichnen, die eine aus Größenwahn und Zusammenbruch, aus Verblendung und Verderben war.

Damien Hirsts Werk »For the Love of God« von 2007 ist kapitalistischer Barock. Mit diesem Stück Vergänglichkeitskunst hatte sich der britische Szenestar von beidem zu lösen versucht - von der Kunst und der Vergänglichkeit, auf ewig glitzernd.

Damien Hirst ist einer jener »Young British Artists«, die in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts lärmend die Bildfläche betreten hatten. Er war unter ihnen der bei weitem cleverste. Heute gilt er als reichster Künstler der Gegenwart. Mit einem geschickten Spiel aus An- und Verkauf eigener Werke hat er ihren Marktwert beeinflusst wie ein gewiefter Broker. Dank Hirst wurde der Künstler endgültig zum Spekulanten.

Tod und Vergänglichkeit sind seine zentralen Themen, die er als mondäne Schaustücke zu präsentieren versteht, Museumskunst mit Irritationswert. Aufsehen erregte er mit seinen in Formaldehyd präparierten Tierkadavern, einem Hai, einer in mehrere Stücke zersägten Kuh, die in Riesentanks ausgestellt wurden wie in einem Naturkundemuseum. Apothekenschränke folgten sowie große Tableaus mit dekorativ angeordneten Schmetterlingsflügeln.

Der Unternehmer Hirst erarbeitet seine Werke längst nicht mehr selbst. Er beschäftigte zeitweilig bis zu 200 Mitarbeiter. Er vertreibt Hirst-Memorabilia auf seiner Website »Other Criteria«. Er schafft Installationen, fotografiert, produziert Bücher und Musik, vor allem aber ist er Besitzer einer beachtenswerten Kunstsammlung, die mit 100 Millionen Pfund versichert ist.

Sein Schädel indes, für 75 Millionen Euro im Angebot, blieb zunächst liegen. Dabei gab es eine Reihe von Interessenten. Reiche Russen und Araber waren im Gespräch. Popstar George Michael soll um einen zehnprozentigen Discount gebeten haben. Schließlich erhielt eine Investorengruppe den Zuschlag - zu der Damien Hirst selber gehört. Was ihm ein Mitspracherecht darüber eröffnet, wo der Schädel auf Tournee geht und an wen er eventuell weiterverkauft wird.

Der Platinschädel, bestückt mit 8601 Diamanten mit einem Gesamtgewicht von 1106.18 Karat, ist gleichzeitig Fetisch und Wertanlage, und zwar eine, die sich unabhängig von den launischen Schwankungen des Marktes macht. Der Kunstwert ist hier auf dem Weg in den Rohstoffpreis. Die nächste Stufe wäre eine Frachterladung Öl.

Hirsts Schädel spielt mit religiösen Formeln wie mit sinnleeren Murmeln. Angeklebt ist der Titel »For the Love of God«, lässig provokativ und gerade noch bedeutungsschwer genug, um das Theodizee-Problem ("Wozu ließ Gott diesen Menschen sterben?") zu streifen. Religiös beatmete Sophistication also, um die Behauptung zu stützen, hier gehe es um mehr als nur um ein gerissenes Fashion-Statement, das später folgerichtig in einer Hirst-Edition aus Swarovski-Kristallen die Hinterseite von Levi's-Jeans schmückt.

Hirsts Diamantschädel ist Kunst für Hedgefonds. Doch der Künstler hat sich als cleverer erwiesen als deren Manager. Am 15. und 16. September 2008, auf dem Höhepunkt des Kunstmarktbooms, ließ er bei Sotheby's in London - unter Umgehung lästiger Galeristenprovisionen - 223 neue Werke versteigern. Darunter ein zum Einhorn umgewandeltes Pony, ein Zebra, dazu jede Menge Schmetterlingsbilder.

Auf dieser Verkaufsschau in London wechselten Hirst-Werke für die unerhörte Gesamtsumme von 110 Millionen Pfund den Besitzer. Teuerstes Einzelstück: ein in Formaldehyd eingelegtes Kalb mit goldenen Hufen, dessen Kopf bekrönt ist von einer Scheibe aus purem Gold, das für 11 Millionen Euro einen Käufer fand.

Es war ein Garagenausverkauf in letzter Sekunde. Am 15. September brach das internationale Finanzsystem zusammen.

Wie beim Glitzerschädel war auch hier die Frage völlig unbeantwortet, wo die luxuriöse leere Geste aufhört und die Kritik an derselben beginnt. Hirst lebt ganz gut damit, dass die Frage unbeantwortet bleibt.

Der Künstler ist mittlerweile wieder zur Malerei zurückgekehrt. Das heißt allerdings nicht, dass er sich damit an die subversiven Gesten seiner Anfänge erinnert. Wer sich mit Hirst anlegt, legt sich mit einem durchaus humorlosen Multi an.

Das erfuhr jetzt der junge Graffiti-Künstler Cartrain, der Schädelcollagen mit Hirst-Touch fertigte, die er auf einer Kunst-Website anbot. Hirsts Anwälte bombardierten ihn mit Schrift- sätzen und ließen seine Collagen einziehen. Der Junge spielte Revanche. Er klaute eine Handvoll Bleistifte aus Hirsts »Pharmacy«-Installation im Londoner Museum Tate Modern, hängte ein »Wanted«- Poster auf und forderte: »Ich verlange von Hirst, dass er meine beschlagnahmten Werke herausrückt, und zwar bis Ende des Monats. Sonst spitze ich seine Bleistifte an.«

Der Junge wurde inhaftiert und auf Kaution freigelassen. Der Anteil der Bleistifte an der Zehn-Millionen-Pfund-Installation, Marke »Faber Castell« im Gesamtwert von wenigen Pfund, wurde auf 500 000 Pfund taxiert. MATTHIAS MATUSSEK

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