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MUSIK Der Stradivari-Wahn

Der Kult um die 300 Jahre alten Violinen hat die Preise in Millionenhöhe getrieben, die Meisterstücke aus Italien sind zum begehrten Investment geworden. Den wenigen Händlern, die den Markt steuern, ist fast jede Methode der Gewinnmaximierung recht. Von Carsten Holm
Von Carsten Holm
aus DER SPIEGEL 50/2007

Oben in Katzelsdorf, einem Flecken vor den Toren Wiens, rückt der Himmel spürbar näher. Auf einem Hügel, hoch über dem Dorf, thront Schloss Eichbüchl. Wo Napoleons Schwester einst rauschende Feste feierte, residiert heute ein Kaufmann aus Bremen, der es weit gebracht hat in seinem Leben.

Dietmar Machold, 58, handelt mit jahrhundertealten Violinen. Es ist zehn Jahre her, dass er binnen kurzem gleich drei Stradivari-Geigen und eine Guarneri mit Millionengewinn verkaufte und seine Seele streicheln wollte. Er belohnte sich mit Eichbüchl, wie sich erfolgreiche Broker so mal eben einen Ferrari und Chefärzte einen Porsche gönnen.

Unten im Dorf, in der kleinen Schankwirtschaft, weiß man wenig über Machold. Dass er der Österreichischen Nationalbank eine Geigensammlung beschaffte, wie es weltweit nur wenige gibt, ist bekannt, und auch, dass das Wiener Kultusministerium ihn dafür zum Ehrenprofessor adelte. Der »Herr Professor«, raunt das Volk, sei bei seinen Geschäften wohl »sehr, sehr reich geworden«.

Niemand dort unten ahnt, wie der Schlossherr oben die Fäden zieht in der geheimnisvollen Welt des internationalen Geigenhandels. Stolz präsentiert sich Machold mit seiner Lebensgefährtin Barbara Drews, 31, einer österreichischen Lehrerin, vor den 700 Jahre alten Mauern und den Zinnen und Türmchen von Eichbüchl. Er hat den Hauptsitz seines Familienunternehmens in fünfter Generation von Bremen nach Österreich verlegt und »Machold Rare Violins« im kleinen, hartumkämpften Markt für alte Streichinstrumente an die Weltspitze geführt.

Es geht um Instrumente, die zu den Ikonen des Abendlandes gezählt werden wie die Gutenberg-Bibel und die »Mona Lisa« - allen voran die Geige aller Geigen, die Stradivari.

Vom Schlossberg und von seiner Niederlassung in Wien aus steuert der Deutsche seine Geschäfte. Rund um den Globus verkauft er 300 Jahre alte Stradivari-Geigen, die bis zu sechs Millionen Dollar kosten. Weil Provisionen bis zu 30 Prozent üblich sind, lässt sich mit den teuren Stücken viel Geld verdienen. Zu seinen besten Zeiten dirigierte Machold Filialen in Deutschland, in den USA, in der Schweiz und in Südkorea; er verläuft sich im Zentrum von Seoul ebenso wenig wie in Manhattan oder Downtown Chicago.

Machold hat viel zu erzählen: 1985, sein erster Verkauf einer Stradivari nach Nordkorea, über Ost-Berlin. Für nur 285 000 Dollar damals. Ein Herr Kow kam zum Checkpoint Charlie an die Berliner Mauer. Fahrt in die nordkoreanische Botschaft. Die Stradivari blieb dort, zum Testen und auf Ehrenwort. Herr Kow zahlte dann mit 1000-Mark-Scheinen.

Immer wieder klingelt Macholds Handy. Das Ausland. Chicago. Dort ist es Morgen. Seoul. Dort ist Abend. Überall Stradivari-Interessenten. Große Geschäfte vielleicht.

»Es ist ein Boom um diese Instrumente entstanden, der bisweilen wahnhafte Züge trägt«, sagt Machold. Mehr als tausend Instrumente habe Antonio Stradivari bis zu seinem Todesjahr 1737 hergestellt, ein paar hundert sein Nachbar Giuseppe Guarneri del Gesù (1698 bis 1744). Etwa 600 Geigen, 60 Celli und 12 Violen, die im Innern einen echten Stempel mit den Initialen Stradivaris tragen, und gut 140 Violinen aus der Werkstatt Guarneri del Gesùs seien noch erhalten.

Der Wert dieser Instrumente hat sich binnen weniger Jahrzehnte vervielfacht. So galt es seinerzeit als Sensation, dass die »Lady Blunt«-Stradivari 1971 vom Auktionshaus Sotheby's für 200 000 Dollar ersteigert wurde. 1998 brachte die »Kreutzer«-Stradivari bei Christie's schon 1,5 Millionen Dollar.

Heute sind selbst lädierte Violinen von der Hand des Meisters eine Million Euro wert. Zählen sie zu den wohlklingendsten Exemplaren, kosten sie ein Mehrfaches. Christie's versteigerte im Mai 2006 die »Hammer«-Stradivari für rund 3,5 Millionen Dollar, Top-Instrumente werden auf mehr als 6 Millionen Dollar geschätzt. Und: Zunehmend bewerten Investoren Stradivaris als lukrative Kapitalanlage.

Die Preise sind geradezu explodiert. Das Angebot schrumpft, weil immer mehr Stradivaris und Guarneris für Sammlungen wie die der Österreichischen Nationalbank oder von Institutionen wie der Deutschen Stiftung Musikleben gekauft werden. Davon profitieren Nachwuchsmusiker, denen die edlen Stücke kostenlos ausgeliehen werden.

Zum anderen steigt die Nachfrage, weil die Branche zu einem Vorreiter der Globalisierung wurde. Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts machten die Händler nur in Europa Geschäfte mit alten Geigen, Jahrzehnte später kam der US-Markt dazu. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wuchs die Nachfrage aus Japan, dann aus Korea. Nun zeigen Investoren aus China Interesse am einzigen Kulturgut des Barock, das noch als Handwerkszeug benutzt wird.

Wann immer ein Exemplar auf den Markt gelangt, werden Millionen gefordert und Millionen gezahlt. »Die Stradivaris sind der Leitzins des Marktes. Steigt ihr Preis, ziehen die Guarneris und andere historische Geigen nach«, erklärt Machold. Auf dem Weltmarkt werden im Jahr 10 bis 20 Stradivaris angeboten; wird der Name eines verkaufswilligen Besitzers bekannt,

stürzen sich die Händler auf ihn wie Adler auf fette Beute.

Wer allerdings kopfschüttelnd fragt, warum eine etwa ein Pfund schwere Stradivari heutzutage 500-mal so viel kosten kann wie dieselbe Menge Gold, ist in der Welt der Violinen ein Banause.

Töne aus dem Holz von Stradivaris gelten in der Fachwelt als das Ideal des Violinenklangs. Violinen des Gottvaters der Geigenbaukunst, schwärmen Musiker, tragen die leisen Töne kraftvoller als andere in den hinteren Teil eines Konzertsaals.

Wie aber hat es Antonio Stradivari geschafft, Maßstäbe zu setzen, die bis zum heutigen Tag gelten? Warum werden seine Streichinstrumente weit mehr bewundert als die ebenfalls herausragenden, jahrhundertealten Geigen der Baumeister Amati, Bergonzi, Ceruti, Guadagnini oder Rogeri?

Etwa ein Jahrhundert nachdem die ersten Geigen in Italien, England und Polen gebaut worden waren, hatte Stradivari 1666 im Städtchen Cremona mit der Produktion begonnen. Die Musik war in die Welt und an die Höfe gezogen, Landadelige leisteten sich ein Orchester, und Violinen wurden erstmals Soloinstrumente in Konzerten.

Der Legende nach ließ sich der Meister in klaren Vollmondnächten von Cremona in die Hochalpen bringen, suchte sich imposante Fichten aus und schälte etwas Rinde ab. Dann legte er sein Ohr an den Stamm, klopfte mit einem Hammer gegen das Holz und lauschte. War er mit der Resonanz zufrieden, wurde der Baum gefällt. Profitiert haben soll Stradivari von einer Periode harter Winter, die von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis etwa 1715 in Europa herrschte. Das Holz wuchs langsamer als zuvor, hatte eine feinporige, harte Struktur, und manche sagen, es leite akustische Wellen besser als das Holz aus wärmeren Zeiten.

Wissenschaftler der britischen Universität Cambridge vermuteten das Geheimnis des Klangwunders von Cremona dagegen dicht unter der rötlichen Lackschicht der Stradivaris. Ein Forscherteam hatte 1988 Lacksplitter eines Violoncellos von 1711 analysiert und unter der Lackschicht eine hauchdünne Grundierung entdeckt, die chemisch der sogenannten Pozzuolanerde ähnelt - einer Vulkanasche, die in Oberitalien zur Herstellung von Zement verwendet wird. Stradivari könnte einen Sud aus der Asche, aus Eiweiß und Wasser angerührt und aufgetragen und so den betörenden Klang ermöglicht haben.

Oder kam Joseph Nagyvary, Biochemiker an der Universität im texanischen Galveston, dem Geheimnis näher? Seine Theorie: Weil die Luftfeuchtigkeit in Cremona oft hoch sei, habe Stradivari eine Fülle von Holzschutzmitteln verwendet, um Fäulnis zu verhindern. Unter Nagyvarys Elektronenmikroskop tauchte dann noch ein ordinärer Pilz auf, der in Flüssen gedieh, in denen Flößer das Holz von Tirol nach Cremona treiben ließen. Die Parasiten führten darin ein so bewegtes Leben, dass ihre Heimstatt noch durchlässiger für die Töne wurde.

Nagyvary ahmte den Herstellungsprozess mit Holz aus Kanada und Nepal nach. Experten, die seine Geigen hörten, hielten sie für Stradivaris - und die American Chemical Society, eine bedeutende Wissenschaftsorganisation, bewertete die Forschung als »bahnbrechend«.

Fast alle Stradivaris - Kenner sprechen lässig von »Strads« - tragen Eigennamen. Sie heißen, oft nach ihren ersten bekannten Eigentümern, »Ex-Derenberg« oder »Davidoff«. Alle sind verschieden, jede ist eine Persönlichkeit. Sie haben, sagt die Münchner Geigenhändlerin Renata Koeckert, 59, »Gesichter wie Menschen«. Um Koeckerts Wangen breitet sich dabei ein entrücktes Lächeln voller Demut aus, wie man es von Gläubigen nach Empfang des Abendmahls kennt.

Stradivaris haben nicht nur Gesichter, sondern auch eine Biografie. Eindrucksvoll hat Pulitzer-Preisträger John Hersey in einem Roman den Lebensweg der »Antonietta« beschrieben. Es ist eine Zeitreise durch drei Jahrhunderte: 1699 gebaut und mit dem Namen einer Angebeteten versehen, gelangt die Violine nach Paris und begegnet dort 1778 Mozart, der sich für das zierliche Meisterstück begeistert und dafür eigens eine Sonate komponiert.

Oder die »King George« von 1710. George III., König von Großbritannien und Hannover und Herzog von Braunschweig-Lüneburg, spielte die Stradivari selbst, bevor sie einem schottischen Offizier geschenkt wurde. Der nahm sie mit in die Schlacht von Waterloo, wo er am

18. Juli 1815 fiel. Die »King George« überstand das Getümmel in einer Satteltasche seines Pferdes und kam in deutsche, später japanische und dann wieder deutsche Hände. Inzwischen wird sie vom Zürcher Amar Quartett gespielt, das ausschließlich mit Stradivaris auftritt.

»Ja, ja, ja, das ist ein Wahn mit diesen Geigen«, bekräftigt der in Niedersachsen lebende Geigenbauer Roger Hargrave, 59, einer der Besten seiner Zunft. Er ballt seine kräftigen Hände zu Fäusten, es folgt eine Predigt in Fortissimo: »Die Streicher sind die Instrumente unseres Lebens. Und die Geige ist die Königin. Nehmen Sie Hitchcocks ,Psycho'. Die Mordszene unter der Dusche. Der Täter holt aus. Dann sticht er zu. Und dazu ein paar feine Striche auf der Saite. Einfach irre. Hochspannung in Krimis? Ohne Celli undenkbar. ,Eleanor Rigby' von den Beatles oder ,Ruby Tuesday' von den Stones ohne Streicher? Können Sie vergessen. Ein Leben ohne Streicher ist unvorstellbar.«

Dann hält Hargrave einen Moment lang inne, bevor er fast andächtig weiterspricht. »Die Geigen aus Cremona stehen über allen anderen. Dieses Holz. Dieser Klang. Und ganz oben, weit weg von anderen, da stehen die Stradivaris.«

Die besten Solisten spielen darauf. »Es bedurfte erst einer Stradivari, um mir die Ohren zu öffnen«, offenbart Anne-Sophie Mutter, 44. Die meisten sind betört davon. Der Amerikaner Joshua Bell, 39, etwa, der die »Gibson« von 1713 sein Eigen nennt, »verliebte« sich in sie, »nachdem ich sie nur ein paar Sekunden gespielt hatte«. Sie könne »hell sein, hat aber auch Tiefe, die perfekte Balance«.

Die Niederländerin Janine Jansen, 29, spürt bei ihrer »Barrere«-Stradivari »etwas nahezu Magisches, das ich so bei einem modernen Instrument noch nicht gefun-

den habe«. Sie spielt ausschließlich auf dem kleinen Wunderwerk, weil es »über einen derartig flexiblen Klang verfügt, dass er zu Musik aus jeder Epoche passt«.

Von der »Klangstärke, der Süße des Tons, den Obertönen und den Klangfarben dieser großen, unübertrefflichen Geige« schwärmt Leonidas Kavakos, 40. Der künstlerische Leiter der Camerata Salzburg spielt die »Earl of Falmouth«-Strad von 1692. Er erzählt von dem »phantastischen Moment«, als er, damals noch ein junger Musiker, vor Jahrzehnten erstmals eine Stradivari in den Händen hielt.

Anne-Sophie Mutter legt abwechselnd zwei recht unterschiedliche Stradivaris ans Kinn. Ihre »Emiliani« von 1703, sagt Mutter, klinge »superb«, doch fehle ihr »eine Dimension": »Sie hat keine Schärfe. Ich vermisse die ungezügelte Kraft. Diese Rohheit brauche ich für die eruptiven Momente der Beethoven-Sonaten. Man braucht sie für Brahms, Sibelius und die zeitgenössischen Werke.« Herausforderungen, für die sie zu ihrer »Lord Dunn-Raven«-Stradivari aus dem Jahr 1710 greift.

Allerdings: Es gibt auch Solisten, die am Mythos Stradivari kratzen. Christian Tetzlaff etwa hat schon zwei Stradivaris gespielt, tritt aber nur noch mit einer Violine aus der Werkstatt des Bonners Stefan-Peter Greiner auf. »Sie klingt besser als die beiden Stradivaris, die mir geliehen wurden«, sagt Tetzlaff. Es gebe »vielleicht gerade 15 Stradivaris«, die über allen anderen stünden, die »besonders strahlend, besonders süß und besonders dunkel« klängen. Viele aber hätten einen Nimbus und, vor allem, einen Preis, »der im Verhältnis zum Klang weit überhöht« sei.

Es ist spät am Abend, in der Wiener Werkstatt des aus Deutschland stammenden Geigenbaumeisters Marcel Richters, 49, riecht es nach Lack und Leim. Gerade hat er einen »Boxenstopp« zu Ende gebracht, die Überholung der »Rawark«-Stradivari. Sie ist rund drei Millionen Euro wert. Er hat rohe Reiskörner in den Corpus gefüllt und hin und her geschüttelt, wie es Goldwäscher in ihren Sieben mit Steinchen und Sand tun. So wird der Staub gelockert.

Erkranken Strads etwa am Holzwurm, kann die Restaurierung bis zu 200 000 Euro kosten. Richters kennt eine Prophylaxe gegen Wurmfraß: »Spielen muss man die Strads. Spielen, spielen, spielen. Die Schwingungen sind für die Viecher tödlich.«

Ihm hätten »die Hände gezittert«, als er vor langer Zeit seine erste Stradivari geöffnet habe, erzählt Richters. Dann lenkt er das Licht seiner Arbeitslampe in das Innere der Violine und deutet mit einem wissenden Lächeln ins Halbdunkel des Corpus. Plötzlich ist der sogenannte Zettel sichtbar, ein aufgeklebtes Stückchen Papier als Ausweis der Echtheit: »Antonius Stradivarius Cremonensis Faciebat Anno 1724« steht da, daneben der Stempel mit den Initialen und einem Kreuz.

Der papierne Zettel klebt dort seit 283 Jahren.

Richters war »beglückt«, als er einmal noch feinere Spuren des Meisters entdeckte: »Zirkelstiche, mit denen Stradivari die beiden F-Löcher positioniert hat.«

Allein, nur wenige Instrumente, in denen ein Zettel mit dem Namen Stradivari klebt, sind echt. Immer wieder müssen Erben von Musikliebhabern herbe Enttäuschungen hinnehmen, wenn sie glauben, auf rumpeligen Dachböden eine Stradivari entdeckt zu haben.

So hatte ein Markus die Geige seines Großvaters inspiziert und innen einen Zettel entdeckt. »Antonius Stradivari« war da zu lesen und »1707«. Er schlug sogleich im »Streicherforum« auf www.24.com Alarm, doch ein Experte klärte ihn auf: Der größte aller Meister schrieb sich im Innern seiner Holzkästen niemals »Stradivari«, sondern ausnahmslos »Stradivarius« - weil Lateinisch zu seinen Lebzeiten als schick galt.

Auch eine Nadine wurde enttäuscht. »Antonius Stradivarius Cremonensis Faciebat Anno 1776« stand auf dem Zettel

einer Geige, die sie in der Familie entdeckt hatte. Der Name, immerhin, war korrekt geschrieben, das lateinische »Faciebat« (hergestellt) ebenso. Nur beim Datum hätte der Fälscher ein Nachschlagewerk zu Rate ziehen sollen: 1776 war Stradivari schon 39 Jahre tot. Es gibt wohl Abertausende Stradivaris mit falschen Zetteln. Als eine Jury 1937, zum 200. Todestag des Meisters, in Cremona rund 2000 angeblich echte italienische Altgeigen begutachtete, erwiesen sich gerade 40 als historische Instrumente.

Kaum übersichtlicher ist der Handel. Die Business-Methoden vieler Händler passen wenig zu den erhabenen Kunstwerken aus Cremona, Verleumdung gehört nicht selten zum Geschäftsalltag. »Killing« wird die Methode genannt, die Strad eines Konkurrenten schlechtzureden oder gar als Fälschung zu verunglimpfen.

Dann und wann wären Geigengeschäfte sogar ein Fall für den Staatsanwalt - wenn er von ihnen erführe. Immer mal wieder tauchen zwielichtige Kuriere in den Büros von Händlern mit Taschen voller Bargeld auf, um ein Geschäft abzuwickeln. Den Finanzämtern und Strafermittlern ist es so kaum möglich, den Weg der Geigen und des Geldes zu verfolgen.

Es sind nur drei Händler, die weltweit den Ton angeben: Bein & Fushi in Chicago, Beare's in London und eben Machold. Ein paar kleinere ranken sich um die Großen und versuchen, ab und an mitzuspielen im Geschäft mit den Millionengewinnen.

Besuch bei Geoffrey Fushi, 63, einem der großen alten Männer des Geigenhandels; sein Partner Robert Bein, ein unumstrittener Experte, ist im Februar gestorben. Fine Arts Building in Chicago, erste Lage am Michigan-See mit Blick auf den Grant Park.

Fushi ist ein kleiner, untersetzter Mann großen Ausmaßes, er trägt feinsten Zwirn und Krawatte. Und er ist einer der wenigen Menschen, die allein mit ihrer Fußbekleidung demonstrieren können, wie unabhängig sie vom Urteil anderer Leute sind. Fushi trägt rote Cowboystiefel zum

Anzug. Auf dem Leder sind die Initialen dreier ganz Großer verewigt: die von Stradivari, die von Guarneri del Gesù - und seine eigenen, natürlich.

Der Mann, der in seinem Geschäftsleben schon »um die 80« Stradivaris und rund 30 Guarneris verkauft hat, zeigt seinen Tresor, in dem Geigen im Gesamtwert von rund 50 Millionen Dollar ruhen. Dann skizziert er die Stradivari-Welt: Zwischen 200 und 300 der Meisterwerke gibt es in Europa, etwa 250 in den USA, rund 50 in Japan. Taiwan werde gerade zum »big buyer«, sagt Fushi.

Strads, so scheint es, sind eine lohnende Kapitalanlage. So stiegen der Dow-Jones-Index und der Goldpreis seit 1960 etwa auf das Zwanzigfache. Der Stradivari-Preis kletterte nach Angaben von Fushis Stradivari Society seit 1960 auf das Zweihundertfache, »und er legt«, sagt Fushi, »jährlich um 7 bis 10 Prozent zu«.

Ohne zunächst zu wissen, was gespielt wird, war der bekennende Scientologe vor zwei Jahren in einen dubiosen, für den Handel aber typischen Deal verwickelt. Als das Geschäft offenbar wurde, zeichnete sich das Sittengemälde einer weltumspannenden Branche ab, die sich rühmt, mit einem der edelsten Kulturgüter zu handeln - und in der getrickst und getäuscht wird wie bei den Hütchenspielern. Es war ein klassisches Eckgeschäft, wie die Händler es nennen, ein Deal über mehrere Stationen. Einer reicht dabei die Ware zum nächsten, jeder verdient daran Hunderttausende - und die Geigen werden immer teurer.

Die Münchner Händlerin Koeckert, die einen seriösen Ruf genießt, wäre an diesem Geschäft fast zugrunde gegangen. Ein Violinist des Symphonischen Orchesters in Chicago wollte seine Guarneri del Gesù verkaufen, ihr Wert war auf über zwei Millionen Dollar geschätzt worden. Bein & Fushi nahmen sie in Kommission, Koeckert meldete Interesse an. Die Geige traf in München ein, auf Ehrenwort. Koeckert sah eine Chance, in der Liga der Großen mitzuspielen. Sie hatte Liebhaber.

Das war nicht einmal gelogen. Nur: Von den Interessenten blieb schließlich nur Machold übrig. Nun begann die übliche Verschleierungstaktik. Fushi wusste zunächst nicht, dass die Guarneri bei Machold landete. Der wiederum ahnte nicht, dass sie von Bein & Fushi kam. Sonst hätten Fushi und Machold den Deal unter sich machen können - und Koeckerts Provision gespart. Stolz führte die Münchnerin zwischen Chicago und Wien Regie.

Ihr Pech: Machold verkaufte die 300 Jahre alte Geige zwar an einen Franzosen, konnte den Erlös, 2,6 Millionen Dollar, aber nur zu einem kleinen Teil an Koeckert weiterleiten. Er war klamm. Die Auswirkungen des Problems waren international: Koeckert konnte Bein & Fushi nicht ausbezahlen, auch der Besitzer ging leer aus. Das Drama nahm seinen Lauf: Bein & Fushi verklagten Koeckert. Die Münchnerin schaltete Anwälte ein, um Machold Druck zu machen.

Es war knapp. Nach Monaten zahlte Machold, und über Bein & Fushi erreichten die Millionen schließlich auch den Besitzer, einen Violinisten des Symphonieorchesters von Chicago. »Viel länger hätte ich Bein & Fushi nicht warten lassen können«, sagt Koeckert, »aber ich hatte das Geld nicht. Ich wäre pleite gewesen. Für immer.« Insider schätzen die Provision für sie und Bein & Fushi auf jeweils etwa 100 000 Dollar. »Ich mache seit dieser Geschichte keine Geschäfte mehr mit Machold«, sagt Geoffrey Fushi. »Solche Risiken gehe ich mit Machold nicht mehr ein«, so Koeckert.

»Es war auch für mich furchtbar«, sagt Machold. Er schluckt dabei. »Ich hatte viele schlaflose Nächte, und ich habe mich entsetzlich geschämt, vor allem gegenüber Frau Koeckert. Ich weiß, dass sie meinetwegen geschäftlich fast tot gewesen wäre.« Er habe, erklärt Machold, »ein Cashflow-Problem« gehabt: wertvolle Geigen, ein Schloss, aber nichts auf den Konten.

»Bis 2004 war ich Millionär«, sagt Händler Machold. Dann wuchs das Cashflow-Problem.

Er habe eine Stradivari in Rom gekauft, die via Eckgeschäfte und Händlertricksereien über Brüssel, London und Los Angeles nach Salt Lake City in den USA gelangt sei. Er habe, zum ersten Mal in seinem Geschäftsleben, das Geld, das ihm zustand, nicht bekommen. Mal eben fehlten 3,6 Millionen Dollar in der Kasse.

Erst in diesem Frühjahr kam Machold wieder auf die Beine. Der Verkauf von vier Stradivaris und einiger weniger wertvoller Instrumente brachte mehr als 13 Millionen Euro. Zwei große Geschäfte sind in Vorbereitung, das Volumen beträgt jeweils 40 Millionen Dollar. Nun muss er nur noch einen seltsamen Prozess hinter sich bringen: Eine österreichische Schauspielerin verlangt von Machold 21,3 Millionen Dollar, weil er ihr, salopp gesagt, vier alte Geigen entwendet habe (siehe Seite 163).

Macholds Ruf aber hatte durch das Eckgeschäft mit Koeckert Schaden genommen. Allerdings nicht zum ersten Mal. Immer wieder steht er in der Kritik von Kollegen, weil er Instrumente nach Ansicht seiner Mitbewerber zu hochpreisig schätzt. So wird sich der US-Multimillionär Herbert Axelrod, 80, im Jahr 1997 über Macholds Schätzung gefreut haben, als er zwei Violinen, eine Viola und ein Cello aus der Werkstatt Stradivaris an die amerikanische Smithsonian Institution verschenken wollte, eine hochkarätige Forschungs- und Bildungseinrichtung, die auch Museen unterhält.

Das Geschenk dürfte auch für den Spender von Vorteil gewesen sein. Der Wert der Geigen war steuerabzugsfähig, eine möglichst hohe Schätzung also bares Geld wert. Axelrod war seinerzeit Macholds »wichtigster Kunde«, der Deutsche hatte dem Amerikaner zwischen 1997 und 2003 Instrumente für 20 Millionen Dollar verkauft. Und dabei Millionen verdient.

Machold schätzte das mit Intarsien versehene, höchst seltene Quartett auf insgesamt 50 Millionen Dollar. Die Branche war außer sich, ein anderer Experte vertrat die Ansicht, die Kollektion sei nur 12 Millionen wert. Machold mache »Mondpreise«, sagte Robert Bein, Mitinhaber von Bein & Fushi in Chicago. Simon Morris, Mitinhaber von Beare's in London, ist bis heute empört. Macholds Schätzung sei »extrem hoch«, so etwas schaffe Misstrauen und schade »der ganzen Branche«.

»Ich habe so viel Prügel bekommen wie noch nie«, sagt Machold. Aber das Quartett sei »einzigartig«. Außerdem habe es eine etwa gleich hohe Schätzung des renommierten Art Appraisal Service der amerikanischen Steuerbehörde gegeben.

Die Praxis der Schätzungen, das zeigt der Fall Smithsonian, ist eine der größten Schwachstellen der Branche. »Alles krankt daran, dass es keine unabhängigen Schätzer gibt«, sagt David Schoenbaum, 71. Der angesehene US-Historiker aus Iowa City, der ein 600 Seiten langes Kompendium über die Sozialgeschichte der Violinen schreibt, hat keine gute Meinung über den Geigenhandel: »Die Händler sind eigentlich permanent im Krieg miteinander. Aber sie schmieden immer wieder Bündnisse, kurzfristige Kartelle zur Geldvermehrung.«

Der niedersächsische Geigenbaumeister Hargrave trägt in seiner Werkstatt Lack auf ein Cello auf. Er hat sich schon vor langer Zeit zwischen Kunst und Kommerz entschieden: Trotz seiner tiefen Einblicke in die Usancen der Branche beschränkt er sich auf den Bau und die Pflege von Streichinstrumenten.

Der Geigenhandel, so Hargrave, sei über die Jahre »zu einem undurchschaubaren Dickicht« geworden, »es stinkt von oben bis unten«. Es bleibe nur der Trost, »dass es in der Geigenbranche nicht dreckiger zugeht als im Teppich- oder im Antiquitätenhandel«.

* Mit Lebensgefährtin Barbara Drews vor seinem SchlossEichbüchl im österreichischen Katzelsdorf.* In der Bein & Fushi-Firmenzentrale in Chicago.

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