Zur Ausgabe
Artikel 36 / 60

Der Tänzer, der gern segelt

aus DER SPIEGEL 6/1947

Seit längerer Zeit zeigen die Engländer

eine besondere Vorliebe für Ballette. Jedenfalls geht das aus den Zeitungen und den Besucherzahlen von Ballettveranstaltungen hervor. Jetzt verspricht ihnen das Sadlers Wells Ballett in London eine neue Sensation. Dieses Ballett, das einzige, ständige Ballett in England, hat den Tänzer und Choreographen Leonide Massine als Gast verpflichtet.

Der heute 41jährige Leonide Massine, geborener Russe und Bürger der USA, begann sein Tanzstudium an der Kaiserlichen Opernschule in Moskau. Er setzte sie im Diaghileff-Ballett fort. Diaghileff wurde auf den ungewöhnlich begabten jungen Mann aufmerksam, als er Ersatz für seinen Solotänzer Nijinsky suchte, einen Tänzer nämlich für den jungen Joseph in Richard Strauß' »Josephslegende«.

1914 erlebten die Londoner Massines Debut im Drury Lane Theater. Ein Jahr später begann mit dem russischen Ballett »Mitternachtssonne« seine Karriere als Ballettmeister. 1916 trat er zum erstenmal in New York auf und stellte dann eine Süd-Amerika-Tournee zusammen. Später richtete er in London eine Ballettschule ein und bereiste im Laufe der Zeit die halbe Welt.

Massine hat die Tradition des russischen Balletts gewahrt, hat sie aber um viele westeuropäische Elemente bereichert. Arnold Haskell schreibt in seinem Buch »Ballett": »Massine erweiterte die Ausdrucksformen des Tanzes in hohem Maße. Er brachte spanische Tänze hinein, Anregungen von Hogarth und Callot, den Kubismus von Picasso und den Geist des Maschinenzeitalters. Seine Erfindungsgabe ist noch lange nicht erschöpft. Er ist die Hauptfigur im zeitgenössischen Ballett.«

Massine verdankt vor allem Spanien viele Anregungen. Er hat seit je eine Vorliebe für den spanischen Tanz und ist lange Zeit in Spanien gewesen. Dort lernte er Picasso, den Maler, und de Falla, den Komponisten, kennen. Ein Zigeuner aus Sevilla, namens Felix, lehrte ihn die spanische Art zu tanzen. Das Ergebnis dieser Bekanntschaften ist Massines meisterliche Aufführung des »Dreispitz«.

Es ist behauptet worden, daß in Wahrheit Felix, der später wahnsinnig wurde, dieses Ballett geschaffen habe. Der »Dreispitz« aber, gewissermaßen eine Uebersetzung des spanischen Volkstanzes in den Bühnentanz, ist ein so kompliziertes Werk, daß diese Behauptung absurd erscheint.

Neben dem Tanz hat Leonide Massine eine andere Leidenschaft: das Segeln. Er besitzt, so berichtete dieser Tage der Daily Herald, eine Villa auf einer kleinen Insel bei Capri, wo er seit der Zeit vor dem Kriege nicht mehr gewesen ist und nach der er große Sehnsucht hat. Dort hatte er eine kleine, Yacht und drei andere Boote, die ihm bei einer Flut davonschwammen. Jetzt, in England, gehört es zu seinen Lieblingswünschen, sich ein Boot zu kaufen.

*) Zeichnung von Stanley Parker im Daily Herald.

»Hauptfigur im modernen Ballett« nennt A. Haskell den Tänzer Massine *)

Zur Ausgabe
Artikel 36 / 60
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren