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SACHBUCH Der Tod klopft an

aus DER SPIEGEL 42/2002

Er ist ein kleiner Mann, der rote Socken trägt und karierte Hemden. Er hat den 90. Geburtstag hinter sich, erhielt 1985 den Pulitzer-Preis und ist in Deutschland, noch immer, nur einer Fan-Gemeinde bekannt.

In Amerika allerdings ist Studs Terkel eine feste Größe. Terkel »interviewt Amerika« - diese Formel hat sich dort durchgesetzt. 45 Jahre lang moderierte er eine tägliche Radiosendung, außerdem veröffentlichte er 13 Bücher. Terkels Werk besteht aus Gesprächen. Er interviewte Prominente wie Arthur Miller und Tennessee Williams, seine eigentliche Leidenschaft aber galt und gilt den einfachen Menschen, den Kellnerinnen und Stahlarbeitern, den Funktionären und Arbeitslosen, den Großmüttern und Enkeln.

Wenn Terkel ein Thema umtreibt, dann verlässt er seine Heimatstadt Chicago, reist Monate durchs Land, macht Tonbandaufnahmen. Er befragt die Leute nicht zu ihren Meinungen, er diskutiert nicht mit ihnen, er zapft ihnen den Rohstoff Erfahrung ab.

Das Thema seines neuen Buches ist für seine Arbeitsweise eher ungewöhnlich: Streng genommen reden die Leute nicht über unmittelbar Erlebtes - sie sprechen über den Tod. Da berichtet ein Mann, der seinen krebskranken Vater bis zum Schluss gepflegt hat, über die vorletzte Nacht, die leise röchelnden Atemzüge, das lange, geduldige Warten - und über seinen Ärger, als, nach minutenlanger Stille, der Vater wieder zu atmen beginnt. Ein Schwarzer, entlassen aus dem Todestrakt, schildert den Justizirrtum und dessen Aufklärung als eine Art Lebensgeschenk.

Die Leute besprechen das Sterben, indem sie über Angst reden und über Kummer, über die Euphorie der Lebensrettung, über Verlust und Schock.

Da Terkel kein Dichter ist, sondern ein Hörer, liegt die Faszination seines Buches nicht in der besonderen Beschreibung eines Todes, sondern in der Verschiedenheit der Wege, die den Tod umkreisen.

Studs Terkel: »Gespräche um Leben und Tod. Grenzerfahrungen,Ängste, Wünsche und Hoffnungen«. Aus dem Englischen von IngeLeipold. Verlag Antje Kunstmann, München; 432 Seiten; 24,90 Euro.

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