ISAAK BABEL Der Verlorene
Budjonny in roten Hosen mit silbernen Biesen stand an einem Baum ... 'Das Pack treibt uns in die Enge', sagte der Armeekommandeur mit seinem blendenden Lächeln. 'Wir siegen oder verrecken. Ein Drittes gibt es nicht. Verstanden? ... Wenn du den Rückzug antrittst, schieße ich dich nieder.'«
Diese sowohl für den knappen Stil ihres Autors als auch für den rauhen Umgangston ihres Helden, des legendenumwobenen roten Reiterführers Semjon Michailowitsch Budjonny, typische Szene wird in diesem Jahr gleich in zwei Übersetzungen dem bundesdeutschen Leser zur Lektüre angeboten.
Mehr als dreißig Jahre nach der ersten deutschen Ausgabe - sie erschien in der Übersetzung eines Dimitri Umanski im Berliner Malik-Verlag - bringt der deutsch-schweizerische Walter-Verlag ein Buch mit dem Titel »Budjonnys Reiterarmee und anderes« heraus. Als Verfasser wird ein Name genannt, der zu den prominentesten der russischen Nach-Revolutionsliteratur zählt: Isaak Babel.*
Schon einige Wochen früher ist dieselbe Geschichten-Sammlung, nur unwesentlich variiert, in der Neuübersetzung des Autoren-Duos Milo Dor und Reinhard Federmann bei Desch in München erschienen. Titel des Desch-Babel: »Zwei Welten«.**
»Die Wiederveröffentlichung dieser einzigartigen revolutionären russischen Prosa war lange fällig«, applaudierte die »Welt« in einer Glosse, tadelte aber gleich anschließend: »Nur, mußte sich hier derselbe unschöne Konkurrenzkampf wiederholen wie bei Pasternaks ,Geleitbrief', der zweimal, bei Kiepenheuer & Witsch und S. Fischer, natürlich in ungleichwertigen Übersetzungen erschien?«
Dieser Hinweis auf den Pasternak -Boom läßt auch die Quelle des Eifers erahnen, mit dem sich bundesdeutsche Verlage neuerdings der Produkte russischer Autoren annehmen. Zweifellos beflügelt von den Auflagenziffern des Bestsellers »Doktor Schiwago«, der seinen Urheber jählings in die Nobelpreiswürde erhob, und begünstigt von der Tatsache, daß die Sowjet-Union nicht der Berner Urheberrechts-Konvention angeschlossen ist, haben sich die Verlagsherren in den vergangenen zwei Jahren auf eine intensive Suche nach vergessenen sowjetrussischen Literaturschätzen begeben.
»Zwischen 1920 und 1930«, berichten die Babel-Übersetzer Dor und Federmann in ihrem Nachwort, »erlebte Rußland eine wenig beachtete Hochblüte auf fast allen Gebieten der Kunst. Die neue russische Literatur von damals jedoch ist verschollen. Ihre Autoren endeten durch Selbstmord ..., emigrierten ..., flüchteten ins Schweigen
beugten sich dem sterilen Kunstdiktat des Sozialistischen Realismus' ... oder wurden ermordet, wie Boris Pilnjak und Isaak Babel.«
Das Übersetzergespann meint denn auch, daß die Bezeichnung »Verlorene Generation«, von der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein in den zwanziger Jahren auf amerikanische Romanschreiber wie Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald gemünzt, für jene »Reihe junger, vitaler, origineller Talente, die zur selben Zeit in Rußland an die Öffentlichkeit traten«, weit eher zutreffe.
Tatsächlich waren die Namen dieser Verlorenen bisher allenfalls intimen Kennern slawischer Literatur geläufig. Mehr als drei Jahrzehnte später sorgen jetzt deutsche Übersetzungen für verspätete Publicity. So sind seit 1958 Werke von Andrej Bely, Jurij Olescha, Ossip Mandelstamm und Wladimir Majakowski in deutschen Verlagen erschienen. Auch die bundesdeutsche Ausgabe von Michail Scholochows mehrbändigem Romanwerk »Der stille Don« wurde kürzlich abgeschlossen.
Neueste Wiederentdeckung sind nun die Erzählungen Isaak Babels, den die »New York Times« als einen »Meister der Ironie und der lyrischen Prosa« apostrophiert: »Sein Buch wird wie eine Offenbarung sein.« Englands renommierter Kritiker Lionel Trilling erkennt in Babels Geschichten »offensichtlich das bedeutendste erzählerische Werk aus dem revolutionären Rußland, meines Wissens wirklich das einzige, das den Stempel eines, außergewöhnlichen Talents, ja, des Genies trägt«.
Isaak Emanuilowitsch Babel wurde 1894 in der Moldowanka, dem Getto Odessas, als Sohn eines unbegüterten chassidisch-jüdischen Händlers geboren. Er besuchte die Thora-Schule und später das Gymnasium.
Der Tübinger Philologe Walter Jens, Nachwort-Schreiber der Walter-Ausgabe, meint aufgrund solcher Herkunft den Vergleich mit Babels Prager Glaubensbruder Franz Kafka wagen zu dürfen: »In jedem Fall ist viel Chassidisches im Spiel; sowohl Kafkas Legenden als auch Babels pointierte Geschichten sind ohne die paradoxen Sentenzen der Wunderrabbis nicht zu denken. Hier zeigt sich die Macht einer gemeinsamen Tradition; ostjüdischer Denkstil erweist seine Vorbildlichkeit.«
Indes ist es nicht allein ostjüdischer Denkstil, sondern gleichermaßen französischer Sprachgeist, der Babels literarisches Schaffen charakterisiert. Französisch war auch die Sprache, in der sich der 15jährige Knabe, unter dem Einfluß Flauberts und Maupassants, in der Kunst des Schreibens übte. »Zwei Jahre trieb ich das«, erinnert sich Babel, »Dann gab ich es auf.«
In seiner knappen Autobiographie, die sich wie auch fast alle seine Geschichten durch eine gleichsam indifferente und untertreibende Sachlichkeit auszeichnet, erzählt der Junge aus dem Judenviertel, wie er sich nach der Schulzeit »plötzlich« in Kiew und kurz darauf, 1915, in Petersburg wiederfand. Es erging ihm dort, nach seinen eigenen Worten, äußerst kümmerlich: »Ich hatte keine Aufenthaltsgenehmigung, kniff der Polizei aus und quartierte mich zunächst bei einem zerlumpten, versoffenen Lohndiener in einem Keller in der Puschkinstraße ein. Damals, 1915, fing ich an, meine Werke auf den Redaktionen feilzubieten. Aber man jagte mich überall davon.«
Im Winter 1916 endlich wagte sich der junge Babel - »Mein Herz klopfte, setzte aus« - in die Redaktion der »internationalistischen« Zeitschrift »Chronik«. Ihr Herausgeber war Alexej Maximowitsch Peschkow, der unter dem Pseudonym Maxim Gorki Weltruhm erlangt hat.
Gorki, für den Babel seitdem eine tiefe Verehrung bezeugte, akzeptierte zwei seiner Erzählungen und veröffentlichte sie - mit dem Ergebnis, daß Babel wegen Pornographie und wegen des Versuchs, die Gesellschaftsordnung zu untergraben, gerichtlich verfolgt wurde. Im März 1917 sollte ihm der Prozeß gemacht werden. Doch der beginnende Zusammenbruch des Zarenreichs bewahrte ihn vor dessen Gesetzeshütern. Triumphierte Babel:- »Für mich trat 1917 das Volk ein: Zusammen mit der Anklageschrift verbrannte es gleich das ganze Gebäude des Kreisgerichts.«
Von den nachfolgenden Schreibversuchen seines jugendlichen Protegés zeigte sich Babel-Förderer Gorki aber weitaus weniger angetan. Er befand, daß es Babel noch an Lebenserfahrung mangele, und empfahl ihm, sich erst einmal in der Welt umzusehen, ehe er wieder ans Dichten gehe.
Babel befolgte Gorkis Rat gewissenhaft: »Als sich herausstellte, daß zwei oder drei meiner leidlich geratenen jünglingshaften Versuche nur zufällig geglückt waren, daß ich in der Literatur gar nichts würde ausrichten können, daß ich erstaunlich schlecht schrieb - da schickte Alexej Maximowitsch mich zu den Menschen. Und sieben Jahre - von 1917 bis 1924 - trieb ich mich unter den Leuten herum.«
Was der Dichter derart; lapidar als Herumtreiberei bezeichnete, war eine Serie nicht eben ziviler Unternehmungen: Babel kämpfte als Soldat des letzten Zaren in Rumänien, arbeitete bei der Tscheka, war Reporter in Tiflis und Petersburg, wurde Rotarmist und focht 1920 in Budjonnys Erster Reiterarmee im Russisch-Polnischen Krieg. Doch scheint er die Kriegs- und Revolutionsjahre tatsächlich vor allem als literarische Lehrzeit betrachtet zu haben: »Erst 1923 hatte ich gelernt, meine Gedanken klar und nicht zu umständlich auszudrücken. Da fing ich wieder an zu schreiben.«
Bereits ein Jahr später erschien in der von Wladimir Majakowski redigierten -Zeitschrift »LEF' ("Linke Literaturfront) eine Handvoll Babel-Erzählungen, die sogleich Aufmerksamkeit erregten-, zwei Jahre danach veröffentlichte Babel sein erstes Buch,
»Konarmia«, zu deutsch:. »Die Reiterarmee«; kurz darauf folgten jene »Geschichten aus Odessa«, deren Szenerien den Nachwort-Verfasser Jens heute an die Bilder des in Liosn'o bei Witebsk geborenen und in Frankreich lebenden Malers Marc Chagall gemahnen.
Die sowjetrussische Kritik, damals noch nicht in den Kategorien des sogenannten Sozialistischen Realismus befangen, spendete den Babel-Werken freigebig Lob. »Ich mußte »Konarmia' immer wieder lesen«, begeisterte sich der Chefredakteur von »Nowy mir«, Polonski. »Ein erstaunliches Buch; wahrscheinlich das bemerkenswerteste der letzten zehn Jahre. Manche Seiten sind so vollendet, daß es den Vergleich mit den besten Werken der europäischen Literatur aushält.«
Marschall Budjonny allerdings, Babels einstiger Vorgesetzter, hatte eine ganz andere Meinung von dem schmalen Band. Der rote Kriegsheld, ehemals Wachtmeister im Heer des Zaren, sah in den Geschichten ein verzerrtes Abbild seiner Armee und empfand sie als Verunglimpfung der Revolution.
Tatsächlich waren die rüden Kriegsszenen, wie Babel sie beschrieb, wenig geeignet, der Eitelkeit eines Heerführers zu schmeicheln. Drastisch schilderte Babel Massaker, Kirchenschändungen, Vergewaltigungen und Plünderungen. So erzählt er zum Beispiel in einer Geschichte mit dem Titel »Berestetschko":
»Gerade unter meinem Fenster waren ein paar Kosaken dabei, einen, alten Juden mit silbernem Bart zu töten - wegen Spionage. Der Alte schrie und schlug um sich. Da packte Kudrja von der Maschinengewehrabteilung seinen Kopf und klemmte ihn sich unter die Achsel. Der Jude verstummte und spreizte die Beine. Kudrja zog mit der Rechten seinen Dolch und vorsichtig, ohne sich mit Blut zu besudeln, erstach er den Alten.«
Freilich standen dem Dichter auch leisere Töne zu Gebote. Kommentiert Walter Jens: »Babels Darstellung erschöpft sich nicht in der Verherrlichung des diabolischen Kosaken-Dreiecks: Das Töten - Der Wagen - Das Pferd; der Jünger Lenins und Redakteur des ,Roten Kavalleristen' kennt auch ... das Versteckte, Sanfte und Zarte. So sehr Romantik und Schwärmerei die Geschichten beherrschen - von Zeit zu Zeit schließt Budjonnys Kosak seine Augen, und dann beginnt der Moldowanka-Hebräer zu träumen.«
Babel sei ein Romantiker gewesen, der sich an der »Schlächter-Grazie« wilder Kosaken-Regimenter berauscht habe, meint Jens und psychologisiert: »Das alte, immer wiederkehrende Lied: der kleine Mann bewundert den großen, der häßliche Junge - auf der Nase die Brille und den Herbst in der Brust - verneigt sich vor der lässigen Schönheit des Riesen; der Intellektuelle, seiner Skrupel müde, sehnt sich nach der Wollust des Tuns; der Einzelne, traurig, ewig reflektierend und vom Erkenntnisekel geplagt, verlangt nach Einordnung, herrischem Dienst und verpflichtender Gemeinschaft.«
Der herrische Dienst nahm indes bald Ausmaße an, denen sich der Individualist Babel nicht gewachsen fühlte. Mit der »Gleichschaltung«. der russischen Literatur, die 1929 einsetzte und Anfang der dreißiger Jahre zur Proklamation des
»Sozialistischen Realismus« führte, hatte sich Isaak Babels kurze schriftstellerische Karriere schon ihrem Ende zugeneigt. Er stieß in der Presse auf heftige Kritik und wurde als bürgerlicher Reaktionär angegriffen.
Dor und Federmann berichten, daß allein Maxim Gorki ihn noch protegiert habe: »Als es für Babel schon sehr schlecht stand, ging Gorki zu Stalin, und einige Zeit später murmelte der Diktator auf einem Bankett in seinen Schnurrbart, daß Babels Buch eigentlich gar nicht so übel sei.«
1936, nach Gorkis Tod, notierte der ungarische Schriftsteller Erwin Schinko, der damals in Moskau weilte und Zimmernachbar Isaak Babels war, in sein Tagebuch: »Babel betrauert Gorki, als hätte er seinen eigenen Vater verloren. Alle hier haben das schreckliche Gefühl, als sei mit Gorkis Hinscheiden ein Unheil über sie hereingebrochen, ein Unheil, das man nicht abwenden kann oder noch richtiger: als seien alle auf unheimliche Weise noch stärker bedroht, seitdem es Gorki nicht mehr gibt.«
Dor und Federmann wissen jedoch nicht mit Sicherheit auszusagen, ob Babel schon 1936 oder erst 1939 verhaftet worden ist. Jens datiert seine Festnahme auf 1939. Nachweislich war Babel noch im Dezember 1938 in der »Literaturnaja gaseta« genannt worden:
Auf eine Neujahrsumfrage der Zeitschrift hatte er den Wunsch geäußert, 1939 in den russischen Buchhandlungen billige und vollständige Ausgaben der Werke Leo Tolstois vorzufinden.
»Fest steht jedenfalls«, schreiben Dor und Federmann, »daß der Stalinsche Säuberungswahn auch vor diesem Klassiker der neueren russischen Literatur nicht haltgemacht hat.« Erst nach Stalins Tod wurde Babels Liquidierung zugegeben, sein Name rehabilitiert. Eine neue Babel-Ausgabe ist unlängst in der Sowjet-Union erschienen.
Im Kampf um die potentiellen deutschen Babel-Leser haben nun die konkurrierenden Verlage Desch und Walter ihre Babel-Ausgaben unterschiedlich etikettiert: Walter kündigte seine Ausgabe im »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« als »einzige autorisierte« an, Desch nannte die seine »erstmals gesammelt«.
Walter berief sich dabei auf die Zustimmung einer in Paris lebenden Tochter des Dichters; auch mit dem früheren Inhaber des Malik-Verlags-und Besitzer der Rechte an der Umanski -Übersetzung, Wieland Herzfelde, seien »regelrechte Verträge« abgeschlossen worden. Dazu Desch: »Unsere Verträge mit den Übersetzern Milo Dor und Reinhard Federmann sind ebenso verpflichtend und rechtsgültig ... Ein anderer regelrechter Vertrag aber ist hier nicht möglich, es sei denn, daß man es auch unwidersprochen hinnähme, wenn heute in einem deutschen Verlag eine einzige von den Erben autorisierte Ausgabe der Werke von Wilhelm Busch erscheinen würde.«
Der Walter-Verlag machte schließlich dem Gezänk um das herrenlose Werk
des Dichters Isaak Babel ein Ende, als Desch auch durch seinen Rechtsanwalt die Formulierung »einzige von den Erben Isaak Babels autorisierte Ausgabe« beanstanden ließ, da sie einen Verstoß »gegen die Grundsätze eines lauteren Wettbewerbs« darstelle: Walter bringt sein Babel-Buch jetzt »im Einvernehmen mit der in Paris lebenden Tochter Isaak Babels« auf den Markt.
* Isaak Babel: »Budjonnys Reiterarmee und anderes. Das erzählerische Werk. Mit einem Nachwort von Walter Jens.« Walter-Verlag, Freiburg i. Br.; 312 Seiten; 14,80 Mark.
** »Zwei Welten. Die Geschichten des Isaak Babel.« Verlag Kurt Desch, München; 360 Seiten; 14,80 Mark.
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Stalin, Gorki: Fürsprache beim Diktator