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Kirchengeschichte Des Teufels Anwalt

Monsignore Salvatore Natucci, ältester »Advocatus diaboli« an der römischen Kurie, starb im Dezember. Ei« war der Teufelsanwalt im Heiligsprechungsprozeß Pius X.
aus DER SPIEGEL 1/1972

Er legte mehr als 100 frommen Christen Steine in den Weg zum Himmel. Sein Amt -- nahezu unbekannt, schon beinahe ein Mythos, in unzähligen Diskussionsorgien als Alibi unbeliebter Meinungen benutzt -- war das Mäkeln und Entlarven. Er war lange Jahre »Advocatus diaboli«, der Anwalt des Teufels an der römischen Kurie. Am 16. Dezember 1971 starb Monsignore Salvatore Natucci, 100 Jahre und acht Tage alt.

Wer immer in der katholischen Kirche als Seliger oder gar Heiliger verehrt werden darf, er muß zuvor über die letzte Hürde zum Himmel: den Advocatus diaboli, den »Geist, der stets verneint": von der spanischen Mystikerin und Heiligen Theresia von Avila, in deren Handschrift der Franziskanerpater und Graphologe Moretti vor einigen Jahren eine »nymphomanische Veranlagung« entdeckte, bis zum polnischen Pater Maximilian Kolbe, der 1941 im KZ Auschwitz ermordet und im letzten Herbst seliggesprochen wurde.

Selbst unfehlbare Päpste dürfen nicht in den Himmel, wenn der Anwalt des Teufels sündige Flecken auf ihrer weißen Soutane entdeckt. So scheiterte die »Kanonisation«. die Heiligsprechung des Antimodernisten-Papstes Pius IX., der das Unfehlbarkeitsdogma auf dem Ersten Vatikanum durchgesetzt hatte, am Einspruch des kirchlichen Teufels.

Der Seligsprechung -- erster Schritt zur Heiligkeit -- Pius X. drohte das gleiche Schicksal. weil der Advocatus diaboli erfahren hatte, der Papst habe die »böse Angewohnheit« gehabt, Tabak zu schnupfen. Erst als der »Advocatus dei«, der Anwalt Gottes, nachwies, daß die Ärzte dem Papst den Tabakgenuß verordnet hatten, blieb Pius vor dem Fegefeuer verschont.

Die Untersuchungen des Advocatus diaboli und die Debatten mit dem Gottesanwalt, die vor der Kongregation für die Heiligsprechungen stattfinden, dauern oft Jahrzehnte. In den Archiven der Kongregation sind derzeit die Akten von weit über 1000 anhängigen Fällen gestapelt, darunter die des Habsburger Kaisers Karl I., der Philosophin Edith Stein und des 1946 gestorbenen Bischofs von Münster, Kardinal von Galen.

Dabei kommen nur solche Fälle vor die Ritenkongregation, die bereits in einem langwierigen Verfahren bei dem für den potentiellen Heiligen zuständigen Bischof abgeschlossen worden sind. Auch hierbei wirkt ein Advocatus diaboli mit, der, wie beim neunten Pius, oft den Heiligsprechungsprozeß bereits in einem sehr frühen Stadium verhindert.

Denn nicht selten möchten Ordensgemeinschaften oder andere einflußreiche Gruppierungen in der Kirche unbedingt einen der ihren als Seligen oder Heiligen feiern können. So versuchten Frankreichs Bischöfe, unterstützt von der Regierung, lange Jahre vergebens, gegen den Widerstand des Advocatus diaboli die Heiligsprechung der Jungfrau von Orléans durchzusetzen.

Erst als die Regierung ein Tauschgeschäft anbot, nämlich die seit der Französischen Revolution abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wiederaufzunehmen, wenn Johanna heilig werde, mußte der Teufelsanwalt seinen Widerstand aufgeben. Kosten für die Staatskasse: 30 Millionen Goldfranken.

Ähnlichen Pressionen dürfte der gegenwärtige Advocatus diaboll. Augustinerpater Pérez Rafael, ausgesetzt sein. Seit Jahren bemühen sich im Vatikan die konservative Pius XII.-Fraktion und die Anhänger des Neuererpapstes Johannes XXIII., ihre Idole als Heilige im Himmel zu sehen.

Kirchenhistoriker Philipp Hiltebrandt: »Je mehr die Päpste in das Licht der Geschichte treten, um so weniger heiliggesprochene befinden sich unter ihnen; der Advocatus diaboli verfügt jetzt über genügend Material, um solche zu verhindern.«

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