Design: »Die Produkte werden ungenießbar«
Victor Papanek, Designer in Amerika, malte sich Verlockendes aus: »Alle Designer der Welt würden gleichzeitig in den Streik treten« und so lange streiken, bis sie »die Welt in die Knie gezwungen hätten«. Frage nur: Wie lange würde das dauern? 100 Jahre? 1000 Jahre? »Würde überhaupt jemand bemerken, daß wir streiken?«
Die »Lächerlichkeit, einen solchen Designer-Streik auch nur zu erwägen«, scheint dem Professor wohlbegründet: »Die Menschen wissen ja überhaupt nicht, daß es Designer gibt.« Es würde ihnen ja »nichts abgehen«.
Die nüchterne Selbsteinschätzung steht am Ende einer Bilanz, mit der die Linzer Hochschule für Gestaltung die Erfahrungen aus einer beispiellosen Großveranstaltung aufarbeitete.
100 Tage lang debattierten Designer aus aller Welt in der oberösterreirischen Barockstadt in einem eigens errichteten Bau über »Tendenzen industrieller Formgebung und künstlerischer Gestaltung«. Sie wollten das »Unsichtbare« am Design »sichtbar machen« und verdeutlichen, »wie Gestaltung tagtäglich unser Leben bis in kleinste Kleinigkeiten formt«.
Gleichzeitig hielten rund 60 Stars des Standes ihre Gedanken zum Thema schriftlich fest und entwickelten »Perspektiven für die Zukunft«. Das Resultat, illustriert und gebunden, wiegt über sechs Pfund und ist für Gestalter wie für Gebraucher bedrückend.
( Helmuth Gsöllpointner, Angela Hareiter, ) ( Laurids Ortner (Hg.): »Design ist ) ( unsichtbar«. Löcker Verlag, Wien; 696 ) ( Seiten; 128 Mark. )
Das Design des 20. Jahrhunderts, notiert der kalifornische Architektur-Professor Christopher Alexander, sei »an dem Punkt angelangt, an dem die Designer, wenn sie nicht berühmt wären, aufgrund ihrer Erzeugnisse mit Sicherheit ins Irrenhaus eingeliefert würden«.
Die Welt des Design, findet der Wiener Architekt Friedrich Achleitner, sei »heute eine Art triviale Traumfabrik, in der alle Mittel und Tricks erlaubt sind«. Die Form sei in jeder Form marktfähig geworden. »Die Rezepte werden immer raffinierter, die Produkte allerdings ungenießbar.«
Es scheint, als eiferten viele Designer nun Meret Oppenheims berühmter und berüchtigter Pelztasse aus dem Jahre 1936 nach -- mit automatischen Eierköpfern und aufblasbaren Möbeln, kugelförmigen Radios, Sadomaso-Kleidern und HiFi-Anlagen voller überflüssiger und irreführender Leuchten, Knöpfe und Schalter. S.145
Papanek: »Das meiste funktioniert nicht und ist auch noch häßlich.«
Die Produktwelt ist voller Paradoxe:
* Ein Auto für 10 000 Dollar verrostet trotz Pflege und Service in fünf bis acht Jahren, während eine achtlos weggeworfene Bierdose 20 bis 30 Jahre alt wird.
* In Großbritannien sind Reiterhelme in zwölf Größen erhältlich; Arbeitsschutzhelme gibt es jedoch nur in einer Größe.
* Gegen Lärm in Fabrikhallen gibt es zwei oder drei Typen von Gehörschutz -- der HiFi-Fan kann hingegen unter Hunderten verschiedener Kopfhörer wählen.
* Designer schufen Brotröster mit Kontrolleuchten, Farbsensoren und Auswurfmechanismen -- von meist kurzer Lebensdauer --, doch bislang keine kindersichere Medikamentenflasche, die auch von Blinden oder arthritisch Erkrankten leicht zu öffnen wäre.
Eine Menge Leute versuchen herauszufinden, »wie die Lage jemals so schlimm werden konnte«, warum viele Produkte weder gut zu gebrauchen noch besonders schön anzusehen sind.
Viele suchen die Sündenböcke in Industrie und Handel und ihrer aggressiven Verkaufsstrategien. Der italienische Kunsthistoriker und Ex-Bürgermeister von Rom, Giulio Carlo Argan, findet: S.146 Das Styling, das den Kitsch der industriellen Produktion hervorbringt, sei »nichts anderes als die Gestaltung des Produkts nach seinem von der Werbung geprägten Bild«.
So kaufen die Leute Dinge, die sie weder brauchen noch eigentlich kaufen wollen. Eben diesen Konsumidioten schieben andere Kritiker die Schuld an der Misere zu: Sie ließen sich einreden, daß sie nicht »in« wären, wenn sie die »Aussagen« bestimmter Produkte nicht verstünden oder rundheraus sagten, daß sie ihnen nicht gefielen.
Die Gestaltung vieler Produkte, gesteht Dieter Rams, Chefdesigner der Braun AG, sei »unverkennbar bestimmt von der Spekulation auf die Schwäche der Käufer«. Ihre Formgebung sei durch keinerlei funktionale Notwendigkeiten begründet. »Oft kann man von Glück sagen, daß die Form beim Gebrauch nicht geradezu stört.«
Der Amerikaner Alexander stellt gleich die Designer an den Pranger: Hätte es sie und die Mystik des modernen Design nicht gegeben -- und mit ihnen nicht die Anhängerschaft in einer »Cafe-Gesellschaft« mit ihrem »Designdenken« und ihrem »schicken Modernismus« --, wäre die Entfremdung zwischen Verkaufsstrategen und Konsumenten schon viel früher sichtbar geworden.
Derlei Selbstkritik -- noch rücksichtsloser als neuerdings schon bei den Architekten -- ist das eigentlich Sensationelle an dem Resümee aus dem Linzer Design-Festival.
Papanek berichtet von einer Begegnung mit dem amerikanischen Warenkosmetiker Raymond Loewy ("Häßlichkeit verkauft sich schlecht"), der zwar zahlreichen Multis zu gesteigertem Umsatz verhalf, für die Belange von Minderheiten aber offenbar nie viel übrig hatte.
»Wir haben in diesem Büro Besseres zu tun, als Dinge für ein paar kleine alte Weiblein zu entwerfen«, meinte Loewy, als Papanek ihm von seiner nur 1,40 Meter großen Mutter und ihren alltäglichen Umweltproblemen erzählte.
Vergleichbares vernahm Papanek von einem Architekten auf dessen neuem Wolkenkratzer im windigen Chicago -- »einer gigantischen, wild schwingenden Peitsche« --, als er ihn nach den möglichen psychosomatischen Auswirkungen auf die Insassen fragte.
»Das beunruhigt mich nicht«, lautete die Antwort des Architekten. »Alles, was mir Sorge bereitet, ist, ob das Gebäude bei der Blende 5,6 und einer sechzigstel Sekunde keine Bewegung zeigt.«
Die Gesellschaft, so Papanek, habe endlich begonnen, auf die Probleme von Minderheiten einzugehen, von Behinderten, Armen und Alten, Babys und Linkshändern und den Einwohnern von Entwicklungsländern. Nur Industrie und Designer zögerten noch -- »da Design für Minderheiten meist hohes Risiko und wenig Gewinn bedeutet«.
Die Designer, urteilt Werkbund-Vorsitzender Burckhardt, »teilen die Welt S.148 nach Objekten anstatt nach Problemen ein«. Sie haben, findet der italienische Design-Star Ettore Sottsass, »keinen Bezug zur Umwelt«. Auf der Linzer Ausstellung fand Christopher Alexander mehr »extravagante und verrückte Proteste« als ernsthafte Versuche zur Gestaltung.
Das war nicht immer so. Die neuen Formen, die die moderne Bewegung zu Beginn des Jahrhunderts entwickelte, entstanden aus ideologischen Gründen, mit sozialen Begründungen.
Am Ende des 19. Jahrhunderts war die Umwelt des Menschen von Schnörkeln und Rankenwerk überkrustet, üppig und unförmig, vom Zinspalast bis zum Kaffeelöffel -- in allen Materialien, in Stuck, Gußeisen, Pappmache.
Als einer der ersten erklärte der Architekt Adolf Loos in Wien den geschwungenen Formen den Krieg. Er propagierte in seinen Bauten klare kubische Formen und polemisierte in seinen Schriften gegen jedes Dekor. Sein Pamphlet »Ornament und Verbrechen« aus dem Jahre 1908 wurde zum Katechismus einer neuen Ideologie -- später ersetzt durch das Schlagwort Mies van der Rohes »Weniger ist mehr«.
Doch schon nach einem knappen halben Jahrhundert erlitten die Gestalter und Formgeber, was der italienische Designer Gaetano Pesce den »kollektiven Schiffbruch« nennt. Spätestens der Funktionalismus in seiner armseligsten Form, dem Wiederaufbaustil der Nachkriegszeit, führte zum Überdruß an sachlichem Design.
Die gute Form verkam zur hohlen Form. Was einst als »human« und »sozial« gepriesen wurde, reduzierte sich auf »grifffreudig« und »pflegeleicht«.
Selbst die Priester der Wahrheit, die strengsten Stil-Hygieniker und ästhetischen Puristen mußten schließlich eingestehen, daß sich allein mit Vernunft und Funktionalität Bedürfnisse nicht befriedigen lassen -- daß die Menschen mit Gegenständen auch Illusionen erwerben wollen, daß ein Produkt auch »psychologische und soziale Brauchbarkeit haben muß« (Rams).
Sie mußten, zudem, über die moderne Warenwelt zur Kenntnis nehmen, daß auch der Kitsch zu den elementaren Bedürfnissen des Menschen zählt.
Nach Meinung Alexanders wurden von Designern auch Dinge als »Kitsch« diffamiert, die »gesund« und »schön« sind und »das Herz berühren«, wie beispielsweise die Flamme einer Kerze. In der Weigerung, Vergleichbares zu gestalten, sieht der kalifornische Professor sogar die »Wurzel all der Übel«.
Alexander vermißt im modernen Design eine »Geometrie der Liebe« -wie sie in der einfachen Form eines Ringes, einer Halskette oder eines Geburtstagskuchens für Kinder zu finden sei.
S.144Helmuth Gsöllpointner, Angela Hareiter, Laurids Ortner (Hg.):"Design ist unsichtbar«. Löcker Verlag, Wien; 696 Seiten; 128 Mark.*