Jean-Claude Mézières ist tot Rückkehr aus dem 28. Jahrhundert

Er war der Erfinder des Science-Fiction-Heldenpaars Valérian und Veronique und ein Meister des europäischen Comics. Nun ist Jean-Claude Mézières im Alter von 83 Jahren gestorben. Eine freundschaftliche Huldigung.
Jean-Claude Mézières (1938–2022), hier auf einem Bild von 1984

Jean-Claude Mézières (1938–2022), hier auf einem Bild von 1984

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AFP

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Heute wurde bekannt, dass am 23. Januar der große Comickünstler Jean-Claude Mézières gestorben ist, er wurde 83 Jahre alt. Mézières starb in seiner Wohnung im 13. Pariser Arrondissement; ein Stockwerk darüber befindet sich sein Atelier. Ein Labor der Zukunft. Ich durfte in den Achtziger- und Neunzigerjahren als deutscher Verleger seine Arbeit betreuen, über viele Jahre verband uns eine enge Freundschaft. Mézières’ Comicalben haben mich auf abenteuerliche, von einer bis zuletzt ungebändigten Fantasie geleitete Reisen geführt.

22 »Valérian«-Alben hat er bis 2010 geschaffen. Sie sind Meisterwerke des modernen europäischen Comics.

Seine künstlerischen Anfänge: eine Geschichte, wie man sie eigentlich nur erfinden kann. Sie beginnt in einer Nacht während der letzten Gefechte zwischen deutschen und alliierten Truppen in Paris. Und sie endet in einer weit entfernten Zukunft.

Zu denen, die im August 1944 in Saint-Mandé, einem östlichen Vorort, im Keller eines Wohnhauses Schutz vor den Granaten suchen, zählen auch zwei Jungs, der eine sechs Jahre alt, der andere noch nicht ganz. Jean-Claude Mézières, der jüngere der beiden, vertreibt sich die Zeit in der Ungewissheit des Wartens, indem er mit Kreide Bilder auf den Fußboden malt. Pierre Christin, der andere, ist hingerissen von den Zeichnungen seines Altersgenossen.

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»Valerian«: Mézières Meisterwerk

Foto: Jean-Claude Mézières / Pierre Christin / Dargaud

Dann ist der Krieg vorbei, die Zeiten bessern sich, die Jungen wachsen heran. Das Zeichnen bleibt Jean-Claudes Leidenschaft, 1953 beginnt er eine Ausbildung am Institut für Angewandte Künste in Paris. Er will Comiczeichner werden und veröffentlicht bereits während seines Studiums erste kurze Geschichten. Nach dem Militärdienst lockt ihn erst einmal ein anderes Abenteuer: Er macht sich auf nach Amerika, um dort als Cowboy zu arbeiten.

Pierre Christin hat inzwischen einen Lehrauftrag an der University of Utah übernommen. In Salt Lake City treffen sich die Freunde 1965 wieder. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Hollywoods Wildem Westen und unternehmen Touren durch die Wüstenlandschaften der USA. Sie sind fasziniert vom Jazz und von der amerikanischen Literatur.

Und sie reden über die Zukunft. Mézières erzählt von seinen Comic-Ambitionen und schlägt Christin vor, die Geschichten zu schreiben. Der ist skeptisch, er weiß gar nicht, wie das geht. »Es muss nichts Kompliziertes sein«, sagt Mézières. »Schreib einfach, was dir einfällt.«

Noch während sie in den USA sind, erscheinen ihre ersten gemeinsamen Storys in dem wenige Jahre zuvor gegründeten französischen Comicmagazin »Pilote«. Dessen Chefredakteur René Goscinny hat Mézières’ Talent schnell erkannt und fördert den jungen Zeichner. Nach dessen Rückkehr nach Frankreich soll er eine eigene Serie beisteuern. Mézières würde am liebsten einen Western zeichnen, doch den gibt es bereits im Heft. Also wird es Science-Fiction, ebenfalls ein Genre der unendlichen Räume. Französische Leserinnen und Leser beginnen es gerade erst zu entdecken.

»Valérian« beginnt Ende 1967 in »Pilote« und führt die beiden Raum-Zeit-Agenten Valérian und Veronique – im Kosmos der Comics eine der ersten emanzipierten Heldinnen – bald aus der Zukunft des späten 28. Jahrhunderts auf den Planeten Erde des Jahres 1986, in dem gerade New York unter gewaltigen Fluten versunken ist. Weitere Abenteuer folgen, in denen Mézières mit seinem Zeichenstift exotische Welten in schillernden Farben entstehen und den Weltraum zu einem Spielplatz für skurrilste Charaktere werden lässt. Vor allem George Lucas ist beeindruckt und bedient sich für »Star Wars« ungefragt etlicher Ideen aus »Valérian«.

Auch Luc Besson, der mit »Valérian« aufwuchs, zählt zu den Bewunderern der Serie. 1991 engagiert er Mézières für das Storyboard sowie Szenenentwürfe für »Das fünfte Element«. »Wenn du einen Science-Fiction-Film drehst, warum dann nicht gleich einen ›Valérian‹?«, fragt Mézières den Regisseur damals. 2017 ist es so weit: »Valérian – Die Stadt der tausend Planeten« wird die bislang aufwendigste und teuerste europäische Filmproduktion. Der Film kam nicht sonderlich gut an, aber das hatte, fand ich, nichts mit Mézières’ Vorlagen zu tun. Ich persönlich fand den Film übrigens klasse.

Das Medium Film hat Mézières kaum weniger fasziniert als der Comic, doch er hatte auch Vorbehalte: »Beim Film geht es immer gleich um eine Menge Geld, und jeder meint, dir reinreden zu können«, hat er einmal gesagt. »Wenn du dagegen Comics machst, kostet das ja quasi nichts. Also lassen dich die Leute meistens in Ruhe.«

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