
Penisbild-Verschicker Diese Geschichte wird immer größer


Aus offensichtlichen Gründen ist hier kein "Dick Pic" abgebildet
Foto: Hemin Xylan Mahzan / EyeEm / Getty ImagesAuf dem Hochleistungsretinabildschirm ihres Telefons, das sie mir angewidert entgegenhielt, erkannte ich den ihr ungefragt zugesandten Penis sofort. Farbe, Größe, Länge, Form, Härchen. Es war tatsächlich der einer ehemaligen Affäre, und er beantwortete mir endlich mal die Frage: Wer sind eigentlich diese Männer, die unaufgefordert Bilder ihres Gemächts in die Welt hinausschicken?
Aha, hiermit kannte ich jetzt offiziell einen persönlich. Der Umstand, dass es jedoch nicht mehr irgendein anonymer Internetexhibitionist mit phallischen Allmachtsfantasien war, sondern ein mir bekannter, höflicher, umgänglicher Mensch mit Leben, Payback-Karte und Hobbys, machte für mich dieses Rätsel um das gruselige Flitzertum in die Endgeräte anderer noch unbegreiflicher.
Zumal in Deutschland das digitale Mantelaufreißen bereits verboten ist - es fällt unter den Tatbestand der Verbreitung pornografischer Schriften, wozu ein Penis-Selfie eben auch zählt. Finnland will jetzt Absender für das unaufgeforderte Verschicken von Penisbildern mit bis zu sechs Monaten Haft bestrafen, und auch in Frankreich ist dieser Übergriff verboten.
Dennoch bleiben Belästigungen online weitverbreitet. Eine Umfrage der Kinderrechtsorganisation Plan International, die am Montag zum Weltmädchentag am 11. Oktober vorgestellt wurde, ergab, dass fast 58 Prozent der 14.000 weltweit befragten Mädchen und jungen Frauen im Internet sexuell belästigt wurden. In Deutschland sind es sogar 70 Prozent.
Genitale Heldenreise als Dreiakter
Ich bekam und bekomme sie ebenfalls, ich könnte Pimmeli-Kalender rausbringen - einige bemühen sich um kunstfertige Inszenierungen: Manche legen ihren Penis neben eine Münze oder ein Geodreieck, damit ich als Frau die offenbar von mir als eindrucksvoll zu empfindenden Maßstäbe besser einschätzen kann ("Ihr Mädels seid ja nicht so gut mit Längen"), manch einer präsentiert seine Erektion gar als ein fotografisches Triptychon seiner genitalen Heldenreise in Form eines Dreiakters - inklusive Kampf gegen die Hydra, die im Höhepunkt (Ende zweiter Akt) zu Tode gewürgt wird, bis sie weiß blutet.
Der berühmteste Fall ist wohl der des ehemaligen US-Abgeordneten Anthony Weiner mit dem Treppenwitz von Nachnamen, der sich nicht entblödete, junge Frauen derart mit dem Volumen seiner Virilität beeindrucken zu wollen, dass er offenbar zu spät mitbekam, dass er das erste Bild öffentlich vertwitterte, statt es als Direktnachricht zu schicken, auf dem zweiten sein vierjähriger Sohn noch mit drauf zu sehen ist und das dritte an eine 15-Jährige ging. Dieses Penisbild brachte übrigens Hillary Clinton über Umwege zu Fall und ebnete dem Dickhead Trump so den Weg ins Weiße Haus, welch harte Ironie .
Die Affäre, Fremde im Internet, erfolgreiche Politiker: Warum machen Männer dies?
Auf der Suche nach Antworten stieß ich auf eine in diesem Jahr im "Journal of Sex Research" veröffentlichte Studie der Pennsylvania State University, der Kwantlen Polytechnic University und der University of British Columbia, in welcher die Beweggründe, Persönlichkeitsaspekte und Sexualität von Männern, die "Dick Pics" verschicken, untersucht wurden .
Die Forscher analysierten die Antworten einer nicht repräsentativen Stichprobe von 1087 Männern. Die Hälfte von ihnen gab zu, bereits unaufgefordert Penisbilder verschickt zu haben. Jeder Zweite. Zudem wurden die befragten Männer im Alter von 16 bis 75 Jahren zu ihrer Selbstliebe und ihrer Einstellung zu Frauen abgefragt.
Halten Sie sich fest: Männer, die unaufgefordert "Dick Pics" schicken, sind sexistischer und narzisstischer.
Die Motivationen hinter dem Versand sind da tatsächlich ein wenig differenzierter, zumal Mehrfachantworten möglich waren:
Ein Drittel der Befragten schickte die Bilder in dem Glauben, die Belästigte mithilfe von Belästigung verführen zu können.
Jeder Zweite schickte ein Foto, und das finde ich wirklich besonders lustig, "in der Hoffnung, im Gegenzug ein gleichartiges Bild zu erhalten" - als seien wir auf dem Schulhof und Nacktbilder die neuen Pokémon-Karten. Bezeichnenderweise heißt die Studie "I'll Show You Mine so You'll Show Me Yours". Noch ulkiger an diesem Transaktionsdenken finde ich den Umstand, dass das ganze Internet voll von Brüsten ist, ohne dass man mit einem Bild in Vorleistung gehen müsste.
Einer von fünf war der Ansicht, dass "es eine normale Art zu flirten ist" oder dass, "wenn man genug davon schickt, jemand schließlich wohlwollend reagieren wird". Ja. So habe ich auch geschaut. (Welcher Mann holt denn beim Flirten in der Bar seinen Penis raus?)
Jeder Vierte wiederum schickte sein Stück ohne Einverständnis rum, weil er "stolz auf das Aussehen (seines) Penis ist und ihn mit anderen teilen möchte". Zugegeben eine ganze Plattform basiert genau auf diesem Gefühl und feierte letzte Woche zehnjähriges Bestehen, aber Instagram sublimiert es zumindest in Fitness- und Reisefotos.
Und jeder Zehnte tut es, weil er "dem Aussehen seines Penis nicht traut und hofft, dass jemand positiv reagiert, um (sein) Selbstwertgefühl zu stärken".
Verunsicherte Männer schicken Fotos von dem intimsten und verletzlichsten Teil ihres Körpers, um sich ihrer Männlichkeit sicher zu werden, indem sie diese von einer wildfremden Frau validieren lassen wollen, die in den meisten Fällen verständlicherweise abweisend reagieren wird. Und da heißt es, Frauen seien irrational.
Andererseits ist diese Überlegung in einer ganz verkorksten Mechanik wieder konsequent: Da Männer nicht in alten Rollenklischees zumindest nicht konstant als begehrenswert sein Müssende heransozialisiert worden sind, sie also nicht wissen, ob ihre Körper Objekte der Begierde sind oder sein können, kanalisieren sie ihren Narzissmus ungeschickt in diese Fotos.
Sexualisierte Form des visuellen Mansplainings
Die französische Psychoanalytikerin Caroline Leduc geht mit ihrer Betrachtung des "Dick Pic" noch eine Ebene tiefer und erklärt, dass mit dem Versand ein unbewusster Mechanismus bedient werde, bei welchem es darum gehe, dass der Mann die Frau um seinen Penis bereichern wolle, weil sie keinen habe - er wolle sie gewissermaßen damit bestücken .
Des Weiteren zwingt der Penisbildverschicker den anderen dazu, zum Voyeur zu werden, das heißt, der Sendende hat das Gefühl, den Blick der Empfangenden zu erweitern, ja sogar zu bereichern, weil er ihn nötigt, ein reagierender, ein aktiver Voyeur sein zu müssen. Im Grunde ist das Penisbild auch eine sexualisierte Form visuellen Mansplainings, weil der Mann einer Frau ungefragt veranschaulichen will, wie toll und schön seine ganze uneingeladene Männlichkeit ist.
Betrachtet man das Telefon als Verlängerung unseres eigenen Körpers, als kommunikative Prothese sozusagen, aber auch als Erweiterung unseres Ichs, stellt es noch mal einen intimeren Empfangsraum für den Penis in Bildform dar. Die Psychoanalytikerin Leduc geht sogar so weit zu sagen, dass der Penis beim ungefragten Versand symbolisch in uns eindringt, da das Telefon ein Teil von uns ist.
Das passt interessanterweise zu den finnischen Bestrebungen, das Versenden bald unter Haftstrafe stellen zu können, indem man die finnische Definition von sexueller Belästigung erweitert und es künftig auch "verbale Belästigung, Belästigung durch Bilder oder Nachrichten, das Fotografieren von anderen oder durch Selbstentblößung" umfassen soll.
Derzeit bedarf es nach finnischem Recht eine physische Berührung, um als sexuelle Belästigung zu gelten. Dabei berührt einen das mindestens genau so sehr: Man muss seinen digitalen Briefkasten öffnen können, ohne dass einem Genitalien entgegenfallen.