C. W. Ceram über Yigael Yadin: "Masada" DIE AUSGEGRABENE STORY
Im Jahre 66 n. Chr. vereinigten sich die jahrelang flackernden Brände lokaler Aufstände der Juden Palästinas zum Riesenbrand des organisierten »Jüdischen Krieges« gegen die römischen Unterdrücker. Erst im Jahre 70 gelang es dem römischen Feldherrn Titus, Jerusalem einzunehmen -- es ging in Flammen auf, nur Reste der jüdischen Bevölkerung entkamen.
Damit war der Jüdische Krieg beendet -- doch eine Festung ergab sich nicht: Masada. Sie lag am Westufer des Toten Meeres in der Judäischen Wüste, ein Tafelberg, einem riesigen Schiffe gleich. Sie war besetzt mit 960 Menschen (Frauen und Kinder eingerechnet), den Zeloten, ursprünglich aus den Pharisäern hervorgegangenen Glaubensfanatikern.
Im Jahre 72 führte der Feldherr Flavius Silva insgesamt 15 000 Mann vor Masada, um es endgültig auszuräuchern. Er baute eine riesige Rampe, legte Feuer an die Wälle und setzte im Jahre 73 zum Sturm an. Als die Verteidiger in der Nacht zuvor erkannten, daß ihr Schicksal besiegelt war, faßten sie einen ungeheuerlichen Entschluß: Sie vereinbarten, sich samt und sonders den Tod zu geben, statt als Sklaven in die Hände der Römer zu fallen. Sie töteten zuerst ihre Frauen und Kinder, dann losten sie zehn Männer aus, die die übrigen töteten; die letzten losten noch einmal -- einer erschlug die anderen, setzte die Häuser in Brand und gab sich als Letzter den Tod.
Als die Römer am nächsten Morgen in die Festung eindrangen, umfing sie tödliches Schweigen. Der Geschichtsschreiber Flavius Josephus schließt sein Kapitel über dies heroische Massaker: »Sie fanden schließlich die vielen Toten, aber obgleich es ihre Feinde gewesen waren, kam kein Gefühl des Triumphes auf. Sie konnten nicht anders, als die Entschlußkraft und kalte Todesverachtung bewundern, die diese Menschen gezeigt hatten.«
In den Jahren 1963 bis 1965 wurde Masada von Yigael Yadin ausgegraben. An dieser Expedition war einiges ungewöhnlich, angefangen bei der Person des Ausgräbers.
Yadin, 1917 in Jerusalem geboren, ist sowohl gelehrter Archäologe als auch hoher Militär -- schwer zu sagen, in welchem Fach er kompetenter ist. Im Krieg 1948/49 war er -- nach militärischem Beginn in der Widerstandsbewegung »Haganah« -- Generalstabschef der israelischen Armee. 1952 verabschiedete er sich und widmete sich ganz seinen Studien. Nach Ausgrabungen in Hazor, dann in zahlreichen judäischen Wüstenhöhlen, nahm er Masada -- man muß wohl sagen: in Angriff.
Und hier wurde sofort ungewöhnlich das Ausmaß, das seine Expedition annahm. Allein auf die Kunde seines Vorhabens hin meldeten sich rund 4000 Freiwillige aus 28 Ländern, obwohl ihnen nichts als Ehre winkte -- nur härteste Lebensbedingungen und keinerlei Entgelt; ständig waren schließlich, im Turnus, 300 Menschen auf dem Grabungsplatz beschäftigt.
Aber Masada war eben mehr als ein Ausgrabungsplatz -- es gehörte zum Mythos der jüdischen Geschichte. Natürlich darf der Wert archäologischer Forschung nicht an den nationalen Sentiments gemessen werden, die sie eventuell erweckt. Aber genauso, wie es immer aufregend bleiben wird, wenn der Spaten auf Gold stößt (obwohl ein einfaches Werkzeug oder ein Mauerrest mit einem verkohlten Knochen dem Archäologen viel wertvoller sein können), so ist es -- und war es hier -- in höchstem Grade aufregend, beweisen zu können, daß eine Erzählung des Josephus, niedergeschrieben vor rund 1900 Jahren, buchstäblich wahr war; daß hier zwar auch Schätze, aber vor allem eine unerhörte Geschichte bloßgelegt wurde, und zwar Geschichte im Doppelsinn: als Historie und als Story, das heißt als eine Geschichte in der Geschichte, die so heroisch war, daß sich eine kriegerische Ideologie, zu der die Israelis gezwungen sind, an ihr entflammen konnte.
Der englische Archäologe Wheeler sagte einmal: »Der Archäologe kann die Tonne finden, aber dennoch den Diogenes verfehlen.« Yadin verfehlte ihn nicht. Er deckte Leib und Seele auf, als er im Brandschutt Skelette der letzten Kämpfer fand und daneben elf Tontäfelchen mit elf verschiedenen Namen: Was konnten sie anders sein als die Lose der letzten Männer? Sicherheit darüber bestellt nicht, aber: »Sogar unsere versierten Ausgräber und die Zyniker unter uns waren von der Entdeckung erschüttert«, schreibt Yadin.
Archäologisch gesehen waren die bedeutendsten Funde älter als die Spuren vom Kampf der Zeloten. Masada war nicht nur als Festung, sondern auch als Palast (eigentlich zwei Paläste) schon von Herodes dem Großen im 1. Jahrhundert v. Chr. ausgebaut worden, und zwar, kontrastierend zur Trostlosigkeit der Wüste, in unwahrscheinlicher Pracht. Außer den offiziellen Bauten auf der Westseite hatte Herodes sich auf der Nordseite eine Terrassen-Villa angelegt. Josephus hatte sie so genau beschrieben, daß Yadin sozusagen mit dem Spaten in der einen Hand, mit Josephus« Werk in der anderen graben konnte, und nur wenige Details erwiesen sich als falsch.
Am Abhang des Steilfelsens hatte Herodes sich sein Bad bauen lassen -- mit Kaltwasserbassin, einem lauwarmen und einem heißen Raum mit Luftheizung. Das konnte nur Sinn haben, wenn ein ausgeklügeltes Wassersystem vorhanden war; Yadin deckte es auf und nennt es, noch rund 2000 Jahre nach seiner Erbauung, genial. Es war ein Zisternen-System, das in der Zeit der Regenfälle mehrfach bis zu 40 Millionen Liter Wasser sammelte, nicht nur genug für des Königs Badefreuden, sondern auch für die Bewässerung von Gemüsegärten.
Hier ist nicht der Ort, alle Ergebnisse der Grabung auf zuzählen (ein vorläufiger wissenschaftlicher Bericht erschien bereits in Israel, der abschließende wird später erscheinen). Doch muß erwähnt werden, was Yadin selbst schon vor der Grabung als »Traum« vorschwebte: die Auffindung von Schriftrollen, wie sie in den letzten zwanzig Jahren in zahlreichen Höhlen am Toten Meer gefunden worden waren. Tatsächlich fand Yadin schon in den ersten Wochen unter mehr als zwei Meter Schutt die erste Rolle, dann weitere, darunter Texte aus dem Psalter« aus dem Dritten Buch Mose, aus dem »Buch Jesus Sirach«.
Der Wert dieser Entdeckung liegt neben der Bedeutung des Textes in der Datierung: Diese Rollen mußten einwandfrei vor dem Jahr 73 n. Chr. beschrieben worden sein. Das wirft ein historisch-theologisches Problem auf, das, nach Yadin, »Gegenstand stürmischer Auseinandersetzungen unter den Fachgelehrten« sein wird.
Als Yadins Buch in deutscher Sprache erscheinen sollte, wurde ich vom Verleger um ein Vorwort gebeten. Ich lehnte ab. Dies Buch bedarf keines fremden Vorwortes, es ist perfekt.
»Es ist nicht mein Anliegen«, sagt Yadin, »einen trockenen wissenschaftlichen Bericht zu liefern; der Leser soll vielmehr die Möglichkeit haben, an unseren einzigartigen Erlebnissen teilzunehmen.« Wenn dazu das strenge »American Journal of Archaeology« bemerkt: »Immerhin -- das Buch ist auch wertvoll für Archäologen«, so bezieht sich das vor allem auf die Bildbeigaben, die von ungewöhnlicher Schönheit, dabei von größter Ackuratesse sind -- sie nehmen die Hälfte des Buches ein. Keine rein wissenschaftliche Publikation, beschränkt auf kleinen Käuferkreis, kann sich solchen Aufwand erlauben.
Der Aufbau des Buches ist von vorbildlicher Klarheit, der Stil entbehrt jeden snobistischen Prunks mit Fachwörtern. Rühmenswert ist die Einbettung des Masada-Geschehens in das historische Vor- und Nachher (zahlreiche Josephus-Zitate geben hier Kolorit). Ebenso die Noblesse, mit der Yadin seiner Vorgänger gedenkt -- Forschungen auf Masada haben schon vor mehr als 120 Jahren begonnen -, darunter der Deutschen F. Tuch (1863), G. D. Sandel (1905) und Adolf Schulten, der 1932 einen ganzen Monat in Masada weilte. Seinen Helfern widmet der Autor ein eigenes Dank-Kapitel, und es ist bezeichnend, daß er vor ihrer Tugend der Unterordnung ihren Sinn für Humor rühmt.
Heute gräbt Yigael Yadin im Palast des Königs Salomo bei Megiddo und Hazor. Möge er uns ein zweites Buch dieser Art bescheren!