Zur Ausgabe
Artikel 90 / 113

AUTOREN Die Elixiere des Springteufels

Martin Suter erreicht mit seinen Romanen ein Riesenpublikum, demnächst spielt Kinostar Daniel Brühl einen seiner Helden. Von der Kritik wird Suter grob unterschätzt. Von Wolfgang Höbel
aus DER SPIEGEL 49/2006

Was viele Fans und Verächter nicht über Martin Suter wissen: Der Mann ist im innersten Herzen ein Hippie.

Der Autor tarnt sich gut. Er trägt tolle Anzüge und meist streng nach hinten gestriegelte Haare; er bewegt sich vorwiegend in kühlen, kahlen Räumen; und er schreibt Kolumnen und Bestsellerromane, die so hochglanzpolierte Titel tragen wie »Business Class« oder »Small World«. Seine Helden essen stets edel, früher gern Spargel und Ricotta-Ravioli in Salbeibutter, neuerdings eher Sushi oder Saté-Spießchen, und sie trinken Champagner. Denn, so heißt es in »Der Teufel von Mailand«, Suters jüngstem Werk: »Champagner macht glücklich.«

Die Indizien für Suters hippieske Gesinnung sind trotzdem zahlreich: Sein Haar, das früher bis auf die Schultern reichte, trägt er eine Spur länger als der gewöhnliche Business-Class-Nutzer; sein strikt verfochtenes politisches Ziel ist die Abschaffung des Schweizer Militärs (über die eigene Rekrutenausbildung sagt er: »Die Armee hat noch jedem geschadet"); in seinen Büchern verlieben sich Karrieremänner und Luxusfrauen in süße Räucherstäbchenmädchen oder verlotterte Barpianisten - und gleich zweimal macht Suter die Wirkung bedenklicher Drogen wie LSD zum zentralen Motiv eines Romans.

Und weil Hippies nun mal ein unstetes Leben führen, wohnt der Schriftsteller Martin Suter jeweils die Hälfte des Jahres in Guatemala und auf Ibiza. Dem Besucher auf Ibiza schwärmt er vor: »Es herrscht unglaubliche Toleranz hier. Es ist ganz leicht, auf Ibiza für sich zu sein.«

Wer zum ersten Mal ankommt, der muss das für glatt gelogen halten. Er sieht einen mit Discos und Hotels, mit unfassbar vielen Rohbauten und Verkehrskreiseln vollgestellten Rummelplatz im Mittelmeer. Zu fast jeder Jahreszeit ist die Insel voll mit jungen Touristen, die es auf Tanzspaß bis zum Morgengrauen, bunte Pillen und viel Sex abgesehen haben. Auch dort, wo Ibiza nicht rohbaumäßig runtergerockt (sondern schön) ist, in Altstadtgassen und an den Stränden, lärmt rund um die Uhr die liebe, nervige Jugend der Welt.

Martin Suter und seine Frau Margrith Nay aber haben sich ein Haus in den Hügeln der Insel gebaut, das wie eine stolze Burg wirkt und zugleich wie ein Refugium. Ein sandfarbener Pueblobau, schön und spartanisch eingerichtet wie eine große Mönchsklause, inmitten von Weinstöcken und Olivenbäumen. Klar betätigt sich Suter als Bauer (der alte Hippietraum vom Selbstversorgerleben), ist Herr über einen Cabernet Sauvignon und Öl aus eigener Produktion, ein stolzer Landlord: »Ich habe nie über meine Verhältnisse gelebt, aber mein Geld immer mit vollen Händen ausgegeben«, sagt er mit seltsam schüchterner Stimme.

Suter wirkt wie ein Mann, der stets auf der Hut ist. Er faltet häufig die Hände über dem Couchtisch, während er spricht. Er ist lässig und teuer angezogen, sein weißes Hemd ist bis zum Hals zugeknöpft, sein Gesicht sieht sympathisch zerknautscht aus. Seine Augen aber werden oft schmal und misstrauisch, gerade wenn von Erfolgen die Rede ist: dass ihn das Schreiben ziemlich reich gemacht hat; dass praktisch alle Suter-Romane vom Erstling »Small World« (1997) über »Ein perfekter Freund« (2002) bis jetzt »Der Teufel von Mailand« zuverlässig auf der Bestsellerliste landen und zusammen weltweit in rund drei Millionen Exemplaren verkauft wurden; dass es bei Lesungen seines aktuellen Romans wie bei Popkonzerten zugeht, »weil seit kurzem ein neues, junges Publikum kommt, durch das ich mir vorkomme wie der Sänger einer Boygroup«.

Dass Suter, 58, gerade jüngere Leser begeistert, hängt damit zusammen, dass all seine Bücher von der Suche nach der eigenen Identität erzählen, die pubertierende und postpubertierende Leser nun mal besonders heftig interessiert. Mal durch einen Schlag auf den Kopf, mal durch eine unbedachte Lüge oder durch Drogen verlieren Suters Helden die Kontrolle über ihr Leben; mit kriminalistischen Mitteln müssen sie verschütteten Liebesgeschichten und Schicksalsschlägen nachspüren. Anders gesagt: Suters Bücher sind zeitgemäß schmissige Variationen von Max Frischs Identitätsverleugnungsroman »Stiller«, den junge Menschen ja auch bis heute lieben.

In der »Teufel von Mailand« flieht eine verwöhnte Frau von Mitte 30 nach einer kaputten Ehe und miesen LSD-Trips aus der großen Stadt in ein verregnetes Unterengadiner Bergdorf-Idyll*. Geplagt von durch die Drogen verursachten Gedächtnislücken und Wahrnehmungsstörungen, heuert sie als Physiotherapeutin in einem Hotel an - und plötzlich passieren allerlei unheimliche Dinge. Ein Haustier wird abgemurkst, ein Kind wird gequält, der Dorf-Grobian stirbt bei einem rätselhaften Unfall. Was hat das alles mit einer diabolischen Alpensage zu tun, die der Heldin Schrecken einjagt? Isabelle Huppert, so heißt es, will in einer Verfilmung des Stoffs die Hauptrolle spielen.

Noch rasanter und mehr zu Herzen gehend ist das Vorgänger-Erfolgsbuch »Lila, Lila«. In dem stößt ein junger, unglücklich verliebter Kerl auf ein Romanmanuskript, das er flugs als sein eigenes ausgibt, woraufhin ihm Ruhm und das Herz seiner Traumfrau zufallen; dann aber zeitigt der Schwindel böse Folgen. Anfang 2007 wird der Schweizer Regisseur Alain

Gsponer ("Rose") die Story verfilmen, mit den Stars Daniel Brühl und Johanna Wokalek in den Hauptrollen.

Statt über alle Backen zu strahlen darüber, dass Filmleute sich auf seine Bücher

stürzen (die Rechte aller seiner Werke sind verkauft), berichtet Suter so grummelig davon, als sagte es nichts Gutes aus über den literarischen Wert seiner Werke.

Es stimmt ja: Der Mann schreibt aufregende, gut und nahezu filmisch gebaute Geschichten; er fängt seine Leser mit schlanken, raffinierten Plots. Das macht ihn in der deutschsprachigen Literaturwelt, wo die Kritik stets zuallererst auf schlaue Reflexion und schöne Sätze erpicht ist, zu einem bestaunten Ausnahme-Schriftsteller.

Suter scheint zu glauben, dass er sich rechtfertigen muss: »Ich bin als Autor kein Freejazzer und kein atonaler Musiker, ich bin eher ein Komponist im klassischen, altmodischen Sinn«, sagt er. Und er finde es seltsam, »dass man in Romanen mit literarischem Anspruch nicht mehr erfährt, womit ein Mann sein Geld verdient und wie viel«.

Bei Suter erfährt man die Berufe der Figuren, versteht sich - und überhaupt viel über die Gegenwart, über das Essen, die Sehnsüchte, das Paarungsverhalten moderner Mitteleuropäer. (Wenn die Liebe vorbei ist wie im neuen Roman, formuliert der verlassene Mann geifernd die bösen Abschiedsworte: »Ich. Kill. Dich.")

Kritiker nennen den Erfolgsautor Martin Suter gönnerhaft den »wahrscheinlich kurzweiligsten deutschsprachigen Autor«; zugleich unterstellen sie ihm gern, er folge immer dem gleichen Erfolgsrezept aus exakter Milieuschilderung, mild kniffligen Rätseln und gediegener Unterhaltung.

»Das ist eine bodenlose Ungerechtigkeit, zu sagen, dass ich immer wieder dasselbe schriebe«, sagt Suter mit einem Anflug von Zorn.

In Wahrheit habe er Buch für Buch ein anderes Literaturgenre bedient: erst den Zeitreise-Roman (in »Small World"). Dann den Ritterroman (in »Die dunkle Seite des Mondes"). Den Detektivroman (in »Ein perfekter Freund"). Den Hochstaplerroman (in »Lila, Lila"). »Und ,Der Teufel von Mailand' habe ich als meinen Schauerroman geschrieben, als meine gothic novel.«

Wenn ein anerkannter Großautor wie Ingo Schulze einen Roman lang E.T.A. Hoffmanns »Die Elixiere des Teufels« huldigt, verzückt das Deutschlands Kritiker; bei Suter fällt es kaum einem auf. Seine Filmdrehbücher und Theaterstücke - vergangene Woche kam in Zürich die Alten-Komödie »Mumien« heraus, in Stuttgart die Single-Farce »Über den Dingen« - sind den Feuilletons eher schnurz.

Das ist bitter, aber so schlimm nun auch wieder nicht. Schließlich ist Suter ein Mann, der den Ball (und seine Ansprüche) programmatisch flach hält. »Zum Geschichtenerzählen braucht man keine Tricks«,

sagt er. Jedes Kind stört sich daran, wenn man ihm etwas nicht auf die gewohnte Weise erzählt.«

Es sei ein Irrtum, sagt Suter, dass Schriftsteller sich immer möglichst poetisch ausdrücken müssten, mit der Sprache zaubern, mit originellen Pointen brillieren. Als er angefangen habe zu schreiben, noch als Teenager und dann, mit Anfang 20, als Werbetexter, »da habe ich selber gern gespielt und geprunkt mit Tricks und Sprachspielen. Aber dann habe ich gemerkt, dass es darum nicht geht, dass es mich auch bei anderen langweilt, wenn ich vor jeder zweiten Formulierung niederknien muss«. Deshalb schreibt Suter Sätze wie: »Sie schaute in den Spiegel, um herauszufinden, ob sie so schrecklich aussah, wie sie sich fühlte.« Und sagt: »Das Wagnis an meiner Art der Schriftstellerei ist: Ich habe mir erlaubt, Romane so zu schreiben, wie ich sie gern lesen würde.«

Dann stapft er auf der roten Erde zwischen seinen Weinreben und Olivenbäumen vorneweg und führt den Besucher auf dem Anwesen herum. Vögel und Zikaden lärmen in der Abendsonne und übertönen das sanfte, aber stete Verkehrsgedröhn von der nahen Vierspur-Rennstrecke, die von einer Küste Ibizas zur anderen führt. An einer Stelle des Gartens kann man fern das Meer glitzern sehen. »Alle Schweizer haben den Impuls, die Schweiz zu verlassen«, sagt der Schriftsteller. »Aber manchmal fehlen mir die Jahreszeiten, der Schnee, der Herbst.«

Er sei in den Siebzigern ernsthaft ein Hippie gewesen, »ein später«, erzählt Suter. Mehr als ein Jahr reiste er in Afrika herum, war auch als Reporter für »Geo« unterwegs, doch immer wieder kehrte er in seinen Job als Werber zurück. »Ich war im Grunde ein Dilettant«, erinnert er sich - und fügt in seinem schweizerischen Singsang hinzu: »Aber es war eine sehr angenehme Art, Geld zu verdienen.«

Im Metier des Schriftstellers hat sich Suter nie als Dilettant gefühlt, »ich hatte immer die Frechheit, mir das zuzutrauen«. Als Vorbild nennt er den Romancier und Geheimagenten William Somerset Maugham. Von dem stammen elegante Romane wie »Auf Messers Schneide« und so schöne Lebensleitsätze wie »Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform« und »Man nimmt Stilprobleme viel zu wichtig«.

Zeit seines Lebens (1874 bis 1965) wies Maugham gern darauf hin, dass wirklich große Schriftsteller wie Balzac, Dickens und Tolstoi allesamt einen schlampigen Umgang mit ihrer Sprache pflegten; zugleich stellte er klar, dass er sich selbst (auch wenn er sich gleichfalls um schlichte und lässige Sätze mühte) nicht für einen wirklich großen Autor hielt.

Martin Suter, dem wie jedem guten Hippie Aufgeblasenheit und grimmiger Ehrgeiz zuwider sind, redet über den Rang seiner Arbeit so abgebrüht, wie es sein Vorbild Maugham tat. Sein Platz, fand der Brite, sei »unter den zweitklassigen Schriftstellern in der allerersten Reihe«.

* Martin Suter: »Der Teufel von Mailand«. Diogenes Verlag, Zürich; 304 Seiten; 19,90 Euro.

Zur Ausgabe
Artikel 90 / 113
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren