Autoren Die verrückte Hausfrau
Ein dummes kleines Weibchen hatte sie sein sollen und wünschte sich auch nichts anderes als den gutaussehenden Mann, der möglichst schon beim ersten Rendezvous, ein diamantenes Ringlein im Anschlag, um ihre Hand anhielt und ihr die Gelegenheit gab, ihm ein bis zwei süße Kinder zu schenken.
Und kaum hatte sich der erste ernsthaft für sie interessiert, ließ sie sich schon entführen von ihm, heiratete auf der Flucht, kam zurück und wurde brav Vorstadtehefrau.
Es waren die fünfziger Jahre, und nichts wollte sich rühren. Der Mann ging arbeiten, Kinder kamen; alles verlief nach Plan. Nur sie drehte durch.
Mit 27 Jahren sah Anne Sexton Gesichter an den Wänden, hörte Stimmen, schrie, tobte, verzweifelte. Die Familie fürchtete um den guten Ruf; man verständigte sich auf eine Therapie. Der Psychiater Martin Orne sollte sie auf den rechten, langweiligen Weg zurückbringen: Kinder, Küche, Kaufhaus. Sie wehrte sich mit einem Selbstmordversuch, dem mindestens acht weitere Fehlversuche folgten.
Im Behandlungsgespräch mit Martin Orne sagte sie, sie sei zu nichts nütze, allenfalls eine »gute Prostituierte, die Männern das Gefühl vermitteln kann, sie seien stark«. Einmal kam sie aus der Sitzung und versorgte einen wildfremden Mann in ihrem Auto.
Der Psychiater Orne entdeckte mitten in diesen traurigen Fünfzigern ein ganz neues Berufsbild für seine Patientin. Er forderte sie auf, über ihre Erfahrungen zu schreiben, ermutigte sie, sich literarisch fortzubilden und brachte Anne Sexton zur Sprache.
Eines Abends hörte sie einen Literaturprofessor im Bildungsfernsehen das Wesen des Sonetts erklären - 14 streng gebundene Zeilen, 2 Quartette, 2 Terzette -, notierte sich das Schema und schrieb sofort ihr erstes Sonett.
Nur vier Jahre nach Beginn der Therapie veröffentlichte sie 1960 ihren ersten Gedichtband: »To Bedlam and Part Way Back« (etwa: In die Klapsmühle und halb wieder heraus) und wurde sofort berühmt. Folgten neun weitere Bände, Stipendien, Auszeichnungen, der Pulitzer-Preis darunter, schließlich sogar ein Lehrstuhl für Poetik an der Universität Boston.
Die verrückte Hausfrau aus der Vorstadt ohne akademische Vorbildung wurde Amerikas berühmteste Dichterin, eine Bestseller-Autorin, die bei Lesungen bis zu 2000 Dollar verlangte und manchmal 3000 Zuhörer anzog. Das Heimchen ernährte jetzt die Familie, bezahlte das Schulgeld für die Kinder und den Ausbau des Swimming-pools.
Nur gesund wurde sie nicht. Am 4. Oktober 1974, kurz vor ihrem 46. Geburtstag, zog sie den Pelzmantel ihrer Mutter an, setzte sich in der Garage ins Auto, drehte den Zündschlüssel herum und das Radio an und wartete mit einem Glas Wodka in der Hand auf den Erstickungstod.
Er kam spät - und als späte Reaktion auf einen anderen Selbstmord. 1959 hatte Anne Sexton im Seminar von Robert Lowell die Ehefrau eines englischen Dichters kennengelernt, die selber »auch ein bißchen schrieb« und einen Selbstmordversuch als 20jährige nur knapp überlebt hatte. Es war Konkurrenz auf den ersten Blick.
Die Frauen warben beide gleichzeitig um einen Dichter, sie erzählten sich ihre Todeserlebnisse und wie viele Therapien sie schon hinter sich hatten. Als Sylvia Plath vier Jahre später den Kopf in den Gasofen steckte und starb, färbte der gelbgrüne Neid Anne Sextons Erinnerung: »Diebin! - / wie bist du hineingekrochen, / allein hinuntergekrochen / in den Tod, nach dem ich mich so lang schon verzehrte / den Tod, über den wir doch beide weg sein wollten?«
Bereits in ihrem ersten Gedichtband fordert Anne Sexton aggressiv das Recht, von sich zu sprechen, von sich allein. Sie ist ihr ganzes Thema, ihr Leben liefert das Material, das sie unermüdlich bearbeitet, gefräßig verschlingt und wieder ausspuckt. Kaum etwas fürchtete sie mehr, als »wie eine Frau zu schreiben«, und dafür beutete sie ihre Weiblichkeit restlos aus. »Eine Frau wie sie ist keine Frau, nicht ganz. / Ich bin gewesen wie sie.«
Mit diesem Gedicht, mit »Her Kind«, eröffnete Anne Sexton ihre Lesungen, damit die Leute gleich aufstehen und gehen konnten. Sie sollten wissen, daß sie ausgezogen war, »um in der schwarzen Nacht umzugehen«, daß sie von »bösen Dingen träumte« und allein war, »zwölffingrig, verrückt«. Hier ging es nicht um Gänseblümchen und Sonnenuntergänge, sondern allein um sie, Anne Sexton.
Sexton pries ihren Uterus, bedauerte elegisch, wenn ihre Menstruation wieder einsetzte und sie ihrem Liebhaber keinen Sohn schenken konnte, »ein Bauer irgendwie, slawisch und entschlossen«, und sie erzählte immer wieder von ihren psychotischen Schüben. »Eine Frau, die schreibt«, sagte sie über ihre »Schwarze Kunst«, »fühlt zuviel/ Zauber und Zeichen!«
Sie gab an mit den Psychodrogen, die ihr die Ärzte verschrieben, den Zusammenbrüchen, den Selbstmordversuchen, und sie überforderte ihre Kritiker, die Männer zumal, mit ihrer Liebe zum geschmacklosen weiblichen Detail.
»Her Kind« war nur schwer erträglich. Vor kurzem hat ihre älteste Tochter, Linda Gray Sexton, heute 42 und selber Schriftstellerin, ein Erinnerungsbuch an die allerliebste Mama veröffentlicht, »Searching for Mercy Street«, in dem gnadenlos aufgezählt wird, wie die immer berühmter werdende Dichterin ihre Familie vernachlässigte; wie sie die Kinder zu Verwandten abschob oder vor dem Fernseher parkte, sie aus der unappetitlichen Konservenbüchse fütterte und für nichts mehr zugänglich war, wenn das lyrische Feuer einmal über sie kam.
Anne Sexton ließ keinen Fehler aus. Sie hatte eine Affäre mit einem ihrer Psychiater, der Honorar für die Stunden berechnete, die sie miteinander verbrachten, damit seine Frau, die ihm die Bücher führte, nicht mißtrauisch wurde. Auch darüber schrieb sie, ein Gedicht an »Meinen Liebhaber, der zu seiner Frau zurückkehrt": »Ich gebe dir dein Herz zurück / Ich gebe dir die Erlaubnis - / für die Entladung in ihr . . . Was mich betrifft, ich bin ein Aquarell / Abwaschbar.«
Die Mutter habe »wie ein Geier« über ihr gelauert und ihre Erfahrungen abgeschöpft, ihre Therapeutin ausgehorcht und das Tagebuch durchstöbert, weil sie es gleich wissen mußte, wie es bei ihrer geliebten Tochter war, das erste Mal. Und sofort schrieb sie auch darüber ein Gedicht, »The Taker«, nicht ohne es der Tochter zum Abnicken vorzulegen: »Und ihre Mutter segnete sie, / so gut sie konnte, / Glied an Glied.«
Wortreich beklagt die Tochter diesen Exhibitionismus, der auch sie nicht schonte, aber als die Verwalterin des Nachlasses ihrer Mutter hat sie »The Taker« selber veröffentlicht. »Eine Dichterin ist eigentlich Spionin«, hatte Anne Sexton bereits 1962 scharfzüngig verkündet.
Sie stand eine für sie unerträgliche Ehe fast bis zum Schluß durch, betrog aber ihren Mann, kaum daß der außer Haus und für die schwiegerväterliche Firma auf Reisen war, um sich dann vor Sehnsucht nach ihm zu verzehren. Wenn sie zusammenwaren, stritten sie und prügelten sich, einmal depperte er ihren Kopf mehrfach an die Wand.
Die Frau, die Mr. Sexton geheiratet hatte, das anspruchslose Gör, hatte sich vor seinen Augen in eine »besessene Hexe« verwandelt, die nicht kochen wollte und nicht einkaufen und die ihre Kinder haßte, im Wohnzimmer mit anderen Schriftstellern über den Literaturbetrieb klatschte und von einer Nervenkrise in die nächste stolperte. »Auf Cocktailpartys ganz gelassen, / während ich derweil im Kopf / eine Operation am offenen Herzen erlebe. / Das Herz, der arme Kerl, / hämmert mit leisem Todesrhythmus / auf seine kleine Blechtrommel ein.«
Mehr als 20 Jahre nach ihrem Tod, 2 Jahre, nachdem die große Biographie von Diane Wood Middlebrook auf deutsch erschienen ist*, wagt ein deutscher Verlag endlich die Übersetzung der Gedichte von Anne Sexton. Die auf vier Bände angelegte Werkausgabe, von einem überaus wissenschaftlichen Vorwort der Züricher Anglistin Elisabeth Bronfen ("Nur über ihre Leiche") eingeleitet, soll eine Autorin bekannt machen, die gut in die Jetztzeit zu passen scheint**.
Der Höhepunkt des gemeinsamen Menstruierens bei Mondenschein ist abgeklungen, die Frauen verlangt es nicht mehr, wie in den Siebzigern, nach »Häutungen« und Weiblichkeitswahn-Büchern. Als feministische Gründermutter kommt sie zu spät, aber als Dichterin ist Anne Sexton immer noch zu entdecken.
Einfach und kunstfertig zugleich sind ihre Gedichte, ganz hart am gesprochenen Englisch und deshalb so schwer ** Anne Sexton: »Liebesgedichte/Verwandlun- _(gen. Gedichte«. Zweisprachige ) _(Ausgabe. Aus dem Amerikanischen von ) _(Silvia Morawetz. S. Fischer Verlag, ) _(Frankfurt/Main; 336 Seiten; 48 Mark. ) _(* Diane Wood Middlebrook: »Zwischen ) _(Therapie und Tod. Das Leben der ) _(Dichterin Anne Sexton«. Aus dem ) _(Amerikanischen von Barbara von ) _(Bechtolsheim und Silvia Morawetz. Arche ) _(Verlag, Zürich 1993; 604 Seiten; 72 ) _(Mark. )
ins vielsilbige Deutsch zu übertragen. Vor allem in ihren ersten Gedichten, die seltsamerweise nicht übersetzt werden sollen, spielt sie noch mit den neuentdeckten Formen.
Immer aber geht es um die Substanz, den eigenen Körper, das einzig Wahre. Die Psychoanalyse gewährte ihr überraschend die Freiheit von Ehe, Vorstadt und Familie, und das freie Assoziieren in der Therapie übertrug sie auf ihre Gedichte. Sie schrieb nach Eingebung, bosselte dann aber tage- und wochenlang an einzelnen Zeilen herum, bis sie perfekt klangen.
Es sind Liedtexte, Verserzählungen wie die »talkings« der Bluessänger. Sie selber verglich sich mit den Beatles, maß sich an den Texten von Bob Dylan und gebot sogar über eine ergebene Band, die, wie sonst, »Anne Sexton and Her Kind« hieß. Ausgerechnet von einer Frau, deren Kinder sie vollkommen unmusikalisch fanden, stammen einige der besten Gedichte der sechziger Jahre. Sie war die geborene Herzrhythmusmaschine.
In den »Verwandlungen« erzählt sie Märchen der Brüder Grimm neu: Rotkäppchen, Dornröschen, Schneewittchen, Hänsel und Gretel. »Der Sprecher ist diesmal / eine Hexe, mittelalt, ich -.« Im Märchen vom Eisenhans spricht sie wieder von sich, von wem sonst? »Als ich ein wilder Mann war, / sagte Eisenhans, / verschandelte ich die ganze Welt. / Ich war ansteckend. / Ich atmete mein Gift vor mich hin. / Ich war ein Profi, / aber du hast mich errettet / vor dem schrecklichen Gestammel / dieser Berufung.«
Konnte es davor überhaupt eine Rettung geben? Das Schreiben hat sie vom Selbstmord abgehalten, das Schreiben hat sie auch ihrer Familie entfremdet, hat für Haß und Gewalt gesorgt und ihr wiederum Stoff für Gedichte geliefert. Das Schreiben hat sie umgebracht. Mit diesem perfekten Wahnsystem ist Anne Sexton einmalig in der Literaturgeschichte.
Nur ihre Geisteskrankheit - Hysterie, Paranoia, Agoraphobie, Schizophrenie oder wie die schönen Namen alle lauten - verhalf ihr zur Befreiung von der Existenz als versorgte Hausfrau. Gegen die Krankheit wurde ihr Lyrik verschrieben. Als auch die ausgeschöpft war, als sie alles über sich gesagt hatte, ihren Mann, ihre Liebhaber, ihre Kinder, ihre Therapeuten, ihre Hunde sogar im Gedicht verwertet hatte, als ihr auch Gott nicht helfen wollte, den sie zuletzt anflehte, gab sie die besessene Hexe auf, verabschiedete sich ganz und gar damenhaft im Pelz, den Drink in der Hand.
Die Wahrheit ist, so heißt es in solchen Fällen seit Kleist, die Wahrheit ist, daß ihr auf Erden nicht zu helfen war. Thorazin half nicht, Lithium auch nicht, und schon gar nicht der Alkohol, mit dem sie sich besinnungslos über ihre letzten Monate rettete.
Ihre Angst vor der Öffentlichkeit, vor Menschen hatte sie doch überwunden, hätte sie nicht auch, statt von ihrem Psychiater angeleitet, unter der Regie von Phil Spector auftreten können, mit der Gesangsgruppe Shirelles zum Beispiel, um mit ihnen dumme, kleine Lieder zu singen: »Will You Still Love Me Tomorrow?«
Sie hätte groß rauskommen können wie eine Generation später dann Madonna. Frau Ciccone, die mit größter Beiläufigkeit alles ausspricht, was ihr großes Vorbild Anne Sexton zum erstenmal öffentlich formulierte, fing es schlauer an, vermarktete sich auch gnadenlos, stilisierte sich aber zum reinen Image, »Material Girl«.
Madonna kann ohne weiteres die »besessene Hexe« sein, sie muß nicht dafür bezahlen. Die Vorarbeit haben andere geleistet. Anne Sexton vor allem, mit Gedichten wie diesem: »Das Herz, dieser Käfer ohne Augen, / riesig, dieser Kafka-Käfer, / rennt in Panik durch sein Labyrinth, / hört nicht auf, eine Stunde nach der andern / einen Fuß nach dem andern zu setzen, / bis er an einem Apfel würgt / und alles zu Ende ist.« Willi Winkler
»Ich war ansteckend, ich atmete mein Gift vor mich hin«
Das Schreiben hat sie erst gerettet und dann umgebracht
** Anne Sexton: »Liebesgedichte/Verwandlungen. Gedichte«.Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Amerikanischen von Silvia Morawetz.S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main; 336 Seiten; 48 Mark.* Diane Wood Middlebrook: »Zwischen Therapie und Tod. Das Leben derDichterin Anne Sexton«. Aus dem Amerikanischen von Barbara vonBechtolsheim und Silvia Morawetz. Arche Verlag, Zürich 1993; 604Seiten; 72 Mark.