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LITERATUR Die Wut des Gao Yang

aus DER SPIEGEL 12/1997

Ein Bauer wird verhaftet, weil er angeblich der Rädelsführer bei der Verwüstung der Kreisverwaltung war - und schon bald setzen ihm die Mißhandlungen, die er als Gefangener der korrupten Dorfpolizei zu ertragen hat, böse zu. »Wenn das so weitergeht, dachte er, bin ich in einem Monat tot«, heißt es im jüngsten Roman des chinesischen Autors Mo Yan, »alles, was er tat, war falsch«.

Immerhin schafft es der Häftling Gao Yang trotzdem, mit knapper Not zu überleben. Der Mann und seine Familie ernähren sich seit Generationen vom Knoblauch-Anbau - so wie die meisten Bauern in Gaomi im Osten Chinas. Nur schrumpfen neuerdings die Gewinne der durch Preiserhöhungen und Steuern drangsalierten Bauern. Als sich die Behörden des Kreises - der den trügerischen Namen »Paradies« trägt - im Jahr 1987 auch noch weigern, die Ernte abzunehmen, breitet sich der Gestank faulender Knoblauchknollen über den Dörfern aus, und der Volkszorn kocht hoch. Die Bauern brüllen vor der Kreisverwaltung ihre Wut heraus. Gao Yang will sich zunächst davonschleichen. Doch dann wird er, vor Aufregung dem Weinen nahe, vom Furor der Menge mitgerissen - und als er sich, eher versuchsweise, einen Blumentopf greift und diesen durch eine Fensterscheibe schleudert, erfüllt ihn plötzlich ein seltsames Hochgefühl.

Der Mut des Rebellen verläßt Gao Yang nicht mehr, auch wenn er sich vor Angst mitunter in die Hosen macht. Jinjü, Gao Ma und »Tante Vier«, seine Gefährten, verlieren diesen Mut und machen ihrem Leben, das fast nichts war außer Ungerechtigkeit, Prügel und Schufterei, ein Ende.

Der 1956 geborene Autor Mo Yan beschreibt mit viel Sinn für Spannung den Kampf des einzelnen gegen die Übermacht staatlicher Willkür im heutigen China. Mitunter scheint die Handlung im Gewirr der detailliert nacherzählten Greuel verlorenzugehen, doch die Stärke des Romans ist dessen Mischung aus bitterem Realismus und Poesie. Mo Yans absurder Humor ähnelt dem der revolutionären Balladen des Volkssängers Zhang Kou, mit denen er seine Erzählung gliedert: »Von überall kam die Polizei«, heißt es in einem der Gesänge, »nahm 93 Menschen fest. Ob tot oder verhaftet - wann wird das Volk endlich den blauen Himmel sehen?«

Mo Yan: »Die Knoblauchrevolte«. Deutsch von Andreas Donath.Rowohlt Verlag, Reinbek; 384 Seiten; 42 Mark.

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